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Eurobubble: Praktika bis zum Burnout in Brüssel

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Translation by:

Bertram Lang

Gesellschaft

Ausgehend von Voltaires Gedanken über die Arbeit berichtet ein Student aus Brüssel von seinen eigenen Erfahrungen und denen seiner Kommilitonen als Praktikanten bei den europäischen Institutionen. Eine Reise in eine Welt "der Langeweile, des Lasters und der Not."

In seinem berühmten Werk Candide bemerkte Voltaire: „Die Arbeit hält drei große Übel von uns fern: die Langeweile, das Laster und die Not.“ Voltaire zufolge schützt die Arbeit - in jenem Falle die Gartenpflege - vor Langeweile, da sie sowohl die Zeit des Betroffenen als auch seine volle Konzentration in Anspruch nimmt. Die Not, da man von den Früchten seiner Arbeit leben und seine Produkte veräußern kann, um dadurch andere Güter erwerben zu können. Das Laster, da der Arbeitende nicht seinem Nachbar dessen Besitz neiden muss und nicht in Versuchung gerät, die Güter eines anderen zu stehlen oder sonst einem Laster zu verfallen, da er ja selbst alles besitzt um glücklich zu sein. Kann man ernsthaft behaupten, dass diese idealisierte Darstellung der Arbeit dem entspricht, was heute Tausende von Praktikanten, die in den europäischen Institutionen arbeiten, tagtäglich erleben?

Leider bieten wir nur unvergütete Praktika an - Die Not

Mit einer lächerlichen Summe für eine Arbeit abgespeist zu werden, die im Regelfall schnell über 35 Stunden pro Woche in Anspruch nimmt, scheint inzwischen zur Norm geworden zu sein, zum 'gewohnten Zustand'. „Was die Vergütung angeht, ja ich glaube, dass die Praktikanten so ungefähr 450 Euro im Monat bekommen. Wie bitte? Ach ja, vielleicht sind es auch 430 Euro irgendwas, in dem Rahmen, vielleicht hab ich ein bisschen übertrieben (lacht)... Aber, wenn Sie bei uns arbeiten, bekommen Sie auch noch ein kostenloses Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel. Und so viel Kaffee wie man an einem Tag nur konsumieren kann.“ - Ein großes Lobbyingbüro in Brüssel.

„Ach ja die Bezahlung... Leider können wir da nicht über das gesetzliche Minimum hinausgehen, nicht wahr? Dabei habe ich es wirklich versucht! Aber nichts zu machen, so ist das eben.“ - Eine Regionalvertretung in Brüssel.

„Praktika sind nur mit einer Konvention möglich und werden zu den üblichen Konditionen vergütet.„ - Eine öffentliche Einrichtung im Bereich Industrie und Handel.

„Praktikanten einzustellen ist mit nicht zu unterschätzenden Kosten verbunden, insbesondere was die Infrastruktur angeht, das stellen Sie sich gar nicht vor. Daher wird das Praktikum nicht auch noch zusätzlich in irgendeiner Weise vergütet. Es ist allerdings möglich, eine Ermäßigung für die unternehmenseigene Kantine zu erhalten, unter Umständen... darüber muss ich mit meinen Vorgesetzten noch sprechen. Aber vergessen Sie nicht, dass ihre Vergütung mit einem so renommierten Praktikum vor allem in der zusätzlichen Zeile im Lebenslauf besteht, die Sie für immer herausheben wird.“ - Eine internationale Organisation.

Diese Norm des unbezahlten Praktikums scheint sich bereits so in den Köpfen festgesetzt zu haben, dass man sie selbst in der Konvention zwischen unserer Universität, der Université Libre de Bruxelles – und dem Praktikumsgeber wiederfindet: „Außer im Fall einer speziellen Übereinkunft zwischen dem Praktikanten und dem Praktikumsgeber, wird das Praktikum im Prinzip nicht vergütet, unbeschadet einer eventuellen Aufwandsentschädigung des Praktikanten für entstandene Unkosten.“ Warum muss der Vergütungsaspekt in dieser Art und Weise geregelt werden? Ist es inzwischen so normal, dass wir nicht geeignet sind, um für geleistete Arbeit auch ein entsprechendes Gehalt zu bekommen? Man könnte natürlich argumentieren, dass Praktikanten letztendlich keine wirkliche Arbeit leisten, dass sie ihren Arbeitgebern keinen tatsächlichen Mehrwert bringen. Dieses Argument ist allerdings sehr leicht zu widerlegen, wenn man bedenkt, dass heutzutage ein Praktikum als Test für eine wirkliche Anstellung angesehen wird oder um zu niedrigen Kosten Leerstellen in dem betreffenden Unternehmen oder der jeweiligen Institution auszufüllen. Die Praxis des Einstellungsgesprächs selbst zeigt ja, dass die Kandidaten entweder einen mehrstufigen Prozess durchlaufen müssen (Durchsicht der Bewerbungsunterlagen, Telefoninterview, Bewerbungsgespräch), oder aber gleich durch eine Serie verschiedener Tests gejagt werden (Verfassen eines kurzen Aufsatzes, Sprachprüfungen, etc.), um die am besten geeigneten Kandidaten herauszufiltern. Wie für ein 'richtiges' Stellenangebot eben.

Letztendlich ist das Hauptargument, das zur Erklärung der lachhaften Bezahlung vorgebracht wird, sehr einfach: unsere Belohnung ist die Möglichkeit, seinem Lebenslauf eine weitere Zeile hinzufügen zu können (für ein weiteres Praktikum?) und vor allem, sich 'ein Netzwerk' aufzubauen.

„Was bei diesem Praktikum wirklich klasse ist... Sie werden in Kontakt mit verschiedensten Führungspersönlichkeiten sein, Chefs von Unternehmen, sogar mit der Presse. Schauen Sie, unsere Büros sind direkt neben dieser Züricher Zeitung: Sie werden jederzeit die Gelegenheit haben, hier Kontakte zu knüpfen, sich ein Netzwerk aufzubauen, um dann ein weiteres Praktikum ergattern zu können!“

Die Netzwerkkultur nimmt in diesem europäischen Milieu inzwischen teils bizarre Züge an, bisweilen mit speziellen Angeboten, die es einem ermöglichen sollen, endlich die richtige Person zu treffen, die einem einen Job anbietet - im Idealfall. So zum Beispiel die Initiative Eat to meet, die einem gegen das nötige Kleingeld Zugang zu erlesenen Kreisen ermöglicht, sodass im Anschluss an ein prunkvolles Lunch oder Dinner eine Stelle in dieser oder jener Institution, Firma oder Verwaltung in Aussicht stehen soll.

Die jungen Nachwuchsarbeitskräfte haben die Wichtigkeit dieses Netzwerks, das ihnen Zugang zu den gewünschten Praktikumsplätzen, oder gar einer Stelle, verschaffen soll, bereits voll und ganz verinnerlicht. Geradezu sprachlos macht die exponentielle Vermehrung von Gruppen und Organisationen mit der Vorsilbe 'Youth', die den Lebenslauf der jeweiligen Teilnehmer aufpolieren, außeruniversitäre Erfahrungen verschaffen und, vor allem, Netzwerke etablieren sollen. Ist das der Königsweg? Befördert es die eigene Karriere, bei einer Konferenz, die vom eigenen Netzwerk junger Europäer organisiert wurde, oder bei einem professionell organisierten Abendessen die richtigen Leute kennenzulernen? Aus meiner Sicht sind die Auswirkungen hiervon extrem beschränkt. Die wirklich effizienten Netzwerke finden sich entweder von Haus aus in der eigenen Familie, oder werden über jene Personen hergestellt, mit denen man tatsächlich zusammengearbeitet hat.

Es scheint daher in der Tat so, dass die Praktikanten, während sie mit dem mühsamen Aufbau eines effizienten Netzwerks beschäftigt sind, als eine wirkliche "Reservearmee des Kapitalismus" herhalten müssen.

Das Praktikum als Berufung, oder zumindest als Berufsvorbereitung?  – Die Langeweile

Ein Praktikum in den europäischen Institutionen zu finden ist dabei alles andere als einfach. Die Konkurrenz ist enorm, in gewisser Weise ähneln sich viele Profile der unzähligen Mitbewerber - woraus sich natürlich auch der unbedingte Wille erklärt, sich durch das eigene Netzwerk und zusätzliche außeruniversitäre Aktivitäten aus der Messe abzuheben.

Dennoch scheint es in der Realität eher eine Seltenheit zu sein, ein Praktikum ganz nach den eigenen Wünschen und Hoffnungen zu finden. Der Praktikumsort wird mehr vom gerade verfügbaren Angebot bestimmt als vom Willen des jeweiligen Bewerbers. Natürlich ist es wahr, dass Bewerber mit einem sehr speziellen Profil bessere Chancen haben, ein Praktikum in ihrem bevorzugten Bereich zu finden - sei es nun tatsächlich dank des Profils oder aufgrund der Bereichtschaft alles, was nicht dem direkten Verfolgen eines bestimmten Karriereplans dient, beiseite zu lassen. Und, um auf unseren ersten Punkt zurückzukommen, natürlich muss jeder, der eine Chance in diesem Karussell haben will, auch die nötigen eigenen Ressourcen mitbringen, um für seinen Lebensunterhalt aufkommen zu können, während man sich zwischen all den Absagen endlich zum gewünschten Arbeitsplatz durchkämpft.

Was die tatsächlich geleistete Arbeit während des Praktikums angeht, so glaube ich nicht, dass das alte Klischee des Praktikanten, der nur am Kopierer und an der Kaffeemaschine arbeitet, noch tatsächlich zutrifft. Nichtsdestotrotz kann die Praktikanten anvertraute Arbeit aus zwei anderen Gründen sehr undankbar sein: zum einen aufgrund der Angst des Arbeitgebers, einem Neuankömmling die Durchführung eines ganzen Projekts von A bis Z in Eigenregie zu überlassen, zum anderen die häufig vorhandene Absicht des Arbeitgebers, die durch Praktikanten erworbenen zusätzlichen Ressourcen zur Umsetzung ganz bestimmter Ziele einzusetzen: zum Management sozialer Netzwerke, zur Formatierung von Dokumenten, oder in beschränktem Maße zur Organisation von Events. Diese drei  Tätigkeitsbereiche finden sich nach meiner eigenen Erfahrung und der meiner Mitpraktikanten in der Mehrzahl der Praktikumsprofile wieder. So kommt es, dass Studenten mit einem oder zwei Masterabschlüssen letztendlich oft nur für Sekretärstätigkeiten eingesetzt werden. Natürlich muss diese Feststellung nuanciert werden, ich selbst habe beispielsweise im Laufe meiner letzten Praktika auch mehrere wirklich interessante und lehrreiche Aufgaben anvertraut bekommen. Dennoch scheint diese Beschränkung auf einige bestimmte Aufgabenbereiche in der Welt der Praktika weit verbreitet zu sein.

Moderne Sklaverei als unvermeidbare Karierrestufe? - Das Laster: Arbeitsmüdigkeit, Wut und Neid

„Was das Arbeitspensum in diesem Praktikum angeht, das wird so in der Regel zwischen 9 und 18 Uhr sein, im unteren Mittel, natürlich mit der Möglichkeit am Wochenende zu arbeiten, ich selbst arbeite ja schließlich auch an manchen Wochenenden.“

Ist es mit Blick auf die geringe Entlohnung für seine Arbeit und den Charakter der ihm anvertrauten Aufgaben anständig, so etwas von einem Praktikanten zu verlangen? Es scheint jedenfalls die Norm zu sein, egal ob für Praktikanten als auch für Festangestellte. Sich auf seine gesetzlich festgeschriebenen Arbeitszeiten zu berufen scheint vor allem aus zwei Gründen unmöglich zu sein: zum einen ist da der Zwang für jeden Praktikanten, sich von den anderen abzuheben, zu zeigen, dass man bereit ist sich für seinen Arbeitgeber voll und ganz ins Zeug zu legen - vielleicht könnte man ja doch im Anschluss einen wirklichen Arbeitsvertrag angeboten bekommen? Zum anderen ist diese Art zu arbeiten im Umkreis der europäischen Institutionen absolut üblich - auch wenn sie nicht unbedingt sehr produktiv erscheint.

Es gilt, präsent zu sein. Immer auf dem Posten, egal an welchem Moment am Tag oder gar in der Nacht. Dieser Druck wird sicher auch von Arbeitnehmern in vielen anderen Bereichen empfunden. Angesichts dieser enormen Belastung kann sich daher durchaus beim einen oder anderen Arbeitsmüdigkeit einschleichen. Und überhaupt, wozu soll man eigentlich einen bedeutenden Teil seines Karriere für eine solche Fassadenbeschäftigung aufopfern, wenn man doch weiß, dass das Praktikum ohnehin nicht zwingend in zu einer wirklichen und anständig bezahlten Arbeit führt?

„Welche Zukunft sehen Sie für Ihre Praktikanten? Gibt es die Möglichkeit zu einer Beschäftigung im Anschluss oder ist es nur ein endloser Turnover?“

„Nun, es ist schon so, dass es die Möglichkeit gibt, eine anschließende Vertragsverlängerung zu bekommen. Aber der Sektor befindet sich in der Krise [Jahresumsatz 2007 in diesem Lobbying-Unternehmen: 1,532 Mrd. Euro, mit einem Nettogewinn von 83 Mio. Euro, A.d.R.]. Die Welt des Lobbying verändert sich. Daher wird es höchstens möglich sein, Ihnen einen Vertrag auf Basis des doppelten Praktikumsgehalts anzubieten. Also für ungefähr 800 Euro pro Monat.“

Angesichts solch beschämender Angebote scheint es schwierig, seine Kräfte voll und ganz für ein Unternehmen einzusetzen, das auf die eigenen Bemühungen in dieser Weise reagiert. Zudem zeigt das Angebot eines so niedrig vergüteten Vertrages am Ende des Studiums das ganze Problem der Auswahl nach der geringsten Bezahlung auf. Diese Beispiele sind weit verbreitet. Doch was ist die Lösung? Wie steht es um den Einfluss von Aktionen wie der Demonstration von Praktikanten auf dem Place du Luxembourg vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, die für eine offizielle Anerkennung des Praktikantenstatus und insbesondere eine bedeutende Anhebung des Gehalts eintreten?

Sandwich Protest: Eine Demonstration unterbezahlter Praktikanten im vergangenen Jahr in Brüssel

Im Moment scheint das System festgefahren zu sein. Wer ein Praktikumsangebot ablehnt, weil es schlecht oder gar nicht bezahlt ist, wird schlicht und ergreifend sofort von einem anderen willigen Praktikanten ersetzt.

Was kann man also über jene sagen, die bereit sind dieses Opfer zu bringen? Nicht jeder kann es sich leisten, so viel Zeit für ungenügend bezahlte Arbeit aufzubringen und gleichzeitig für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. In Anbetracht der fast zu vernachlässigenden Fortschritte in diesem Bereich - wie zum Beispiel der französischen Initiative um das monatliche Mindesteinkommen von Praktikanten um ca. 100 Euro zu erhöhen - scheint das Absolvieren mehrerer Praktika hintereinander, wie es derzeit in und um die europäischen Institutionen üblich ist, einem bestimmten sozialen Milieu junger Menschen vorbehalten zu sein. Diese verfügen über das nötige Startkapital, um diese Zeit finanziell zu überstehen. Andernfalls muss man bereit sein, sich während der ersten Jahre nach dem Studium trotz Vollzeit-Arbeit auch noch zu verschulden. Umso besser für sie - Pech für uns.

Die französische Originalversion dieses Artikels wurde auf der Homepage von Eyes On Europe veröffentlicht.  

Translated from Bruxelles : être stagiaire dans les affaires européennes