EuGH: Unsolidarisches Urteil für Europas Zuwanderer?
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EU-Bürger, die ohne Arbeitsabsicht in ein anderes Land einwandern, können von den dortigen Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am Dienstag entschieden. Ein kluges Urteil, das die Debatte um "Sozialtourismus" abkühlt, loben einige Kommentatoren. Andere warnen, dass Populisten auch nach dem Urteil neue Angriffspunkte finden werden.
SZ: Deutschland Hartz-IV-Urteil zeigt Grenzen der Solidarität; Deutschland
Die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist richtig und wird die Lage in Städten mit vielen Zuwanderern beruhigen, meint die linksliberale Süddeutsche Zeitung: "Der Europäische Gerichtshof hat über einen Extremfall entschieden: eine junge Rumänin, die nach Deutschland zog, die nie gearbeitet hat und sich nie um Arbeit bemühte, dann aber vergeblich Hartz IV beantragte. Das ist nicht typisch für EU-Zuwanderer, es ist ein krasser Einzelfall. Es ist aber einer, an dem sich gut bestimmen lässt, wann die europäische Solidarität noch greifen muss. Die EU-Richter haben nun entschieden: Deutschland muss in diesem Fall keine Hilfe leisten. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. [...] Deutschland, aber auch die EU-Bürger aus dem Osten, profitieren insgesamt von der Zuwanderung. Das 'insgesamt' gilt jedoch nicht für eine Reihe deutscher Städte, wo die bisherige Rechtsunsicherheit die Probleme verschärft und die Stimmung angeheizt hat. Das Urteil wird dazu beitragen, die Lage zu beruhigen." (12.11.2014)
Il Sole 24 Ore: Cameron bleibt Geisel der Euroskeptiker, Italien
Der europäische Gerichtshof hat Armutszuwanderung innerhalb der EU Grenzen gesetzt. Der britische Premierminister David Cameron hat sich durch Annäherung an die Ukip dennoch zur Geisel der Europaskeptiker gemacht, meint die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore. „Das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs stützt die Londoner Regierung, aber die politische Orientierungslosigkeit, mit der die Torys [von Cameron] kämpfen, seit sie sich für das Referendum über die EU-Mitgliedschaft entschlossen haben, ist tief. Deshalb wird sich die politische Diskussion in Großbritannien bis zu den Wahlen im Mai einzig um das Verhältnis zu Brüssel drehen – immer getrieben von den Umfragewerten der [euroskeptischen Partei] Ukip.“ (12.11.2014)
The Times: Nicht mit Sozialtourismus auf Stimmenfang gehen; Großbritannien
„Sozialtourismus“ stellt für Großbritannien überhaupt kein Problem dar, meint die konservative Tageszeitung The Times und warnt vor populistischen Debatten: "Das Komitee zur Beratung der britischen Regierung in Migrationsfragen hat gezeigt, dass Zuwanderer, die als Gruppe jünger und gesünder sind als in Großbritannien geborene Menschen, 30 Prozent mehr an Steuern zahlen, als sie an staatlichen Leistungen beziehen. [...] Doch die britische Öffentlichkeit glaubt diesen Daten nicht. Es ist richtig, bei den Anspruchsvoraussetzungen für Sozialleistungen hart zu sein. Es ist nur schwer zu erklären, warum jemand, der in diesem Land nie gearbeitet hat, vom Steuerzahler unterstützt werden sollte. Neben harten rechtlichen Gegenmaßnahmen müssen Politiker aber sicherstellen, dass sie das Problem nicht anheizen, indem sie es größer machen, als es ist." (11.11.2014)
Der Standard: EU sollte Arbeitsmarkt für Asylbewerber öffnen; Österreich
Als Konsequenz aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs sollte die EU nach Meinung der linksliberalen Zeitung Der Standard ihren Arbeitsmarkt auch für Flüchtlinge von außerhalb Europas öffnen: "Denn die Arbeitsmigration innerhalb der EU ist grundsätzlich positiv. Wie zahlreiche Studien zeigen, erhöht sie das Wachstum und schafft dadurch mehr Jobs. Sie gibt den Einzelnen bessere Chancen und lässt Europa zusammenwachsen. Und Zuwanderer, die arbeiten, werden von den Einheimischen viel eher akzeptiert. Es wäre daher zu wünschen, dass der Geist des EuGH-Urteils auch in der europäischen Flüchtlingspolitik Eingang findet. Wenn Asylwerber Zugang zum Arbeitsmarkt hätten, würden sie genauso davon profitieren wie die übrige Bevölkerung. Denn die Flüchtlingsströme nach Europa lassen sich nicht stoppen. Doch zumindest das Nichtstun sollte bei Zuwanderern weder erzwungen noch gefördert werden." (12.11.2014)
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