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Erdoğans Sieg: Warum die Gezi-Bewegung scheitert

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Politik

Kürz­lich hat Erdoğans Par­tei die Kom­mu­nal­wah­len deut­lich für sich ent­schie­den. Twit­ter und YouTube sind in­zwi­schen in der Tür­kei ge­sperrt, Goog­le könn­te fol­gen. War die Tür­kei nicht bei den Gezi-Pro­tes­ten er­wacht? Nur ein klei­ner Teil, wie sich her­aus­stellt. Wer sind die „An­ti-Er­doğans“ und was haben sie ihrem Mi­nis­ter­prä­si­den­ten ent­ge­gen zu set­zen? 

Um eine wei­te­re Fa­cet­te des Pro­tests ken­nen­zu­ler­nen, be­su­chen wir Ali Ercan Özgur und sei­nen Kol­le­gen Levent Koç an ihrem Ar­beits­platz, einer Be­ra­tungs­fir­ma für so­zia­le und wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung in Ka­ra­köy, Is­tan­bul. In die­ser hip­pen Ge­gend am Ufer des Bos­po­rus sie­deln sich stil­vol­le Lo­ka­le mit alten Sofas, gutem Café und frei­em In­ter­net­zu­gang an. Hier trifft sich eine neue junge, kos­mo­po­li­ti­sche Elite des Lan­des. Ali sitzt an einem weiß ge­lack­ten Schreib­tisch vor sei­nem App­le-Com­pu­ter: „Es ging bei den Ge­zi-Pro­tes­ten vor allem um ge­sell­schaft­li­che Par­ti­zi­pa­ti­on, um ein tie­fe­res Ver­ständ­nis von De­mo­kra­tie“. Er scheint je­doch nach dem Ab­eb­ben der Pro­tes­te etwas re­si­gniert: „Die Leute da drau­ßen im gan­zen Land wol­len gar keine Par­ti­zi­pa­ti­on. Sie sind froh, wenn für sie je­mand Po­li­tik macht.“  

„Gezi hat mitt­ler­wei­le seine ‘Seele’ ver­lo­ren”, fin­det auch Koray Özdil. Koray ar­bei­tet für eine NGO, die sich mit den Be­lan­gen der Exil-Kur­den be­fasst hat. „Ich wünsch­te mir, die Vor­fäl­le im letz­ten Som­mer hät­ten eine grö­ße­re Be­we­gung für die Bür­ger­rech­te in der Tür­kei aus­ge­löst.” Doch auf­grund der bru­ta­len Po­li­zei­ge­walt, der noch aus­ste­hen­den Straf­pro­zes­se, Dis­kri­mi­nie­rung am Ar­beits­platz und einer mitt­ler­wei­le ver­stärkt zen­sier­ten Me­di­en­land­schaft, hät­ten viele Men­schen Furcht davor, sich wei­ter­hin zu en­ga­gie­ren.

Auf der Suche nach neuen For­men des Po­li­ti­schen

Be­reits als die Ge­zi-Pro­tes­te im Juni 2013 zu ver­sie­gen droh­ten, tra­fen sich täg­lich Tau­sen­de Men­schen in ver­schie­de­nen Parks in Is­tan­bul zu den „Park­fo­ren”. Be­son­ders be­liebt war das Forum in Beşkitas, einem eher pro­le­ta­ri­schen Vier­tel der Stadt. Die Men­schen mach­ten dort die Nacht durch und gin­gen dann di­rekt zur Ar­beit. Ge­mein­schaft­lich wurde dar­über ge­spro­chen, wie es nach den Ge­zi-Pro­tes­ten wei­ter­ge­hen soll­te. 

Ähn­lich wie auf dem Ta­hir-Platz in Kairo oder auf der Ave­nue Habib Bour­gui­ba in Tunis, tra­fen sich bei den Pro­tes­ten die un­ter­schied­lichs­ten Men­schen über neue so­zia­le Me­di­en. De­zen­tral ver­netz­ten sich Ale­vi­ten, Kur­den und Trans­gen­der-Ak­ti­vis­ten, das li­be­ra­le Bür­ger­tum, an­ti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Mus­li­me und die „Ul­tra­na­tio­na­lis­ten“. Die Pro­tes­te wur­den, wie auch in Kairo und Tunis, vor allem von der jun­gen Be­völ­ke­rung ge­tra­gen. An­ders als in die­sen Län­dern des ara­bi­schen Früh­lings, blieb die Be­we­gung in der Tür­kei je­doch bis heute in der Min­der­heit. „Die Pro­tes­te von Gezi waren mit Blick auf die ganze Stadt mar­gi­nal. Schon in den an­gren­zen­den kon­ser­va­ti­ve­ren Stadt­tei­len Fatih und Sul­ta­nah­met, wo ich viel mit jun­gen Leu­ten ge­re­det habe, wurde die Pro­test­be­we­gung nicht ver­stan­den“, be­rich­tet uns die ehe­ma­li­ge Kreuz­ber­ger Po­li­ti­ke­rin und Wahlis­tan­bu­le­rin Cor­ne­lia Rein­au­er. 

Die Gezi-Bewegung hat jetzt ihre eigene Partei

Die Pro­tes­te aus un­ter­schied­li­chen Ecken der Ge­sell­schaft, for­dern nach­hal­tig das po­li­ti­sche Sys­tem der Tür­kei her­aus: der au­to­ri­tä­re Po­li­tik­stil, der dort ge­pflegt wird, nimmt sel­ten Rück­sicht auf Min­der­hei­ten und An­ders­den­ken­de. „Eine neue Ge­ne­ra­ti­on ist her­an­ge­wach­sen, die aus­ge­zeich­net aus­ge­bil­det ist. Sie hegt den Wunsch nach mehr Frei­heit“, pro­phe­zeit uns  der in Is­tan­bul le­ben­de Schau­spie­ler Hay­dar Zorlu.

Eine Grup­pe von Mu­si­kern und Künst­lern macht nach Gezi den Ver­such, die zen­tra­len Ideen der Pro­test­be­we­gung von frei­er Mei­nungs­äu­ße­rung, einer Viel­falt der Le­bens­for­men, Par­ti­zi­pa­ti­on und Teil­ha­be auch in die po­li­ti­sche Par­tei­en­land­schaft ein­zu­brin­gen: trotz der weit­ver­brei­te­ten Skep­sis ge­gen­über eta­blier­ten For­men der Po­li­tik, grün­de­ten sie die Ge­zi-Par­tei (GZP). Die neue Par­tei will sich für Men­schen­rech­te, De­mo­kra­tie und Ge­rech­tig­keit ein­set­zen und hat als vor­ran­gi­ges Ziel die Ver­fas­sung zu än­dern. Me­di­en­wirk­sa­mer Par­tei­chef ist der Rock­mu­si­ker Reşit Cem Kök­sal. Die Par­tei­füh­rung dürfe je­doch le­dig­lich als Sprach­rohr der Basis die­nen. Eine Face­book-Sei­te stellt die all­ge­mei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form dar. Ganz wie zu Pro­test­zei­ten.

Die Ge­zi-Par­tei hat es bei den kom­mu­na­len Wah­len nicht ge­schafft einen Bür­ger­meis­ter zu stel­len. Für die na­tio­na­len Wah­len 2014 gilt die Zehn-Pro­zent-Hür­de um ins Par­la­ment ein­zie­hen zu kön­nen und die Chan­cen hier­für ste­hen sehr schlecht. Erdoğan wird die Zehn-Pro­zent-Klau­sel ent­ge­gen sei­ner an­ge­kün­dig­ten Pläne nicht kip­pen. „Wahr­schein­lich wie­der aus der alten Angst her­aus, die Kur­den könn­ten ins Par­la­ment ein­zie­hen“, mut­maßt Rein­au­er. 

Ein neuer po­li­ti­scher Geist für die Re­pu­blik?

Zen­tral bleibt wei­ter­hin die Frage, wie die Pro­tes­te das po­li­ti­sche Sys­tem der Tür­kei nach­hal­tig ver­än­dern kön­nen. Men­schen wie die So­zi­al­wis­sen­schaft­le­rin Deniz Sert er­war­ten die Prä­si­dent­schafts­wah­len in die­sem Jahr mit Skep­sis: „Sind Wah­len tat­säch­lich ein ef­fek­ti­ves Mit­tel in der Tür­kei, um einen grund­le­gen­den Wan­del im Land her­bei­zu­füh­ren?“

Es be­darf neuer, ganz an­de­rer For­men der po­li­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on, mut­ma­ßen auch Ali und Levent in ihrem fu­tu­ris­ti­schen Büro im avant­gar­dis­ti­schen Ka­ra­köy. Es be­darf neuer For­men po­li­ti­scher Ak­ti­on, wel­che die Dik­ta­tur der Mehr­heit über­win­den. Kor­rup­ti­on und so­zia­le Un­gleich­heit müs­sen be­kämpft wer­den und die letz­ten at­men­den Grün­flä­chen in Is­tan­bul müs­sen er­hal­ten blei­ben. 

Dies ist der Dritte von drei Tei­len einer Re­por­ta­ge, die sich mit dem heu­ti­gen Stand des tür­ki­schen Wi­der­stands gegen öko­no­mi­sche, kul­tu­rel­le und po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen des Erdoğan-Re­gimes aus­ein­an­der­setzt. Teil 1 und Teil 2