Erasmus: European Psycho
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Katha KlossErasmus feiert ein Vierteljahrhundert – und trotzdem: noch nie war das Programm so gefährdet wie dieses Jahr. 25 Jahre haben den europäischen Studis aber gereicht, um 12 Sprachen zu lernen, 1000 Orte zu erkunden, sich 2 Millionen Mal in Selbstgefallen zu suhlen – all das, um schlussendlich im Brüsseler Berlaymont zu landen. Warum Erasmusstudenten tierisch nerven.
25 Jahre. Klinisch gesehen wäre es das Alter, an dem der Körper eines Hochleistungssportlers anfängt abzubauen. In der Natur ist es das Alter, in dem man endlich erwachsen ist. Und praktisch gesehen, zumindest in Frankreich, ist es auch das Datum, zu dem alle Reduzierungen, sei es für Zugtickets (Carte 12-25) oder Studenten, auslaufen und man überall volle Preise blechen muss.
In Zeiten der systematischen Hinternzusammenkneiferei wäre es eigentlich völlig normal, müsste nun auch das Erasmus-Programm daran glauben. Aber: in allen Ecken Europas ist man schockiert. Und da komme nun plötzlich ich daher und klapische dir einen Leitartikel entgegen oder schicke dir einen Liebesbrief an die Redaktion von cafebabel.com. Seit der kleinen Bedrohung über fehlende Finanzen, die ein Europaabgeordneter gewagt hatte in den Raum zu stellen, wird der Weltuntergang jeden Tag heraufbeschworen. Von jedermann. Jedermann? Nein, nicht von mir.
Es liegt mir fern, hier über ein Austauschprogramm zu lästern, dass auf wunderliche Art und Weise einem Italiener ermöglicht hat Englisch zu sprechen, einem Franzosen Deutsch zu sprechen oder einem Katalanen Spanisch zu sprechen. Jetzt mal im Ernst – Bravo Erasmus! Es gibt da nur eine Sache, mir, der nicht Erasmus gemacht hat, gehen diese Studis, die mit 27 verschiedenen Kulturen jonglieren, tierisch auf den Wecker.
Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Nähe des südfranzösischen Toulouse. In diesem Sinne bin ich auch in einer Umgebung aufgewachsen, die dem kulturellen Austausch nicht unbedingt förderlich war. Wie die Erasmusstudenten habe auch ich Kurse geschwänzt, die schlimmsten Mischungen literweise in mich reingebechert und auf meinem Weg viele verschiedene Leute getroffen. Das einzige Ding ist, anstatt in Bars IN NEUEN LÄNDERN abzuhängen, habe ich ganz einfach NUR in Bars abgehangen.
Und jetzt haltet euch fest, ich weiß auch nicht, wie das passiert ist, ich fing plötzlich an für cafebabel.com zu arbeiten. Das heißt für das journalistische Epizentrum der Eurogeneration, denn das Magazin definiert sich immer noch als das Sprachrohr der Erasmusstudenten. Am Anfang war alles in Butter. Ich denke mal, die Leute mochten mich, weil man mit mir über den blöden Akzent im Süden, Rugby und getrocknete Salami reden konnte. Ich war der sympathische Frenchie, von dem niemand so genau wusste, wo er nun eigentlich herkommt, und dessen große Klappe nach Heimat schmeckte.
Einzig und allein, seitdem lebe ich in einem sozialen Kontext, der mehr und mehr von dieser transnationalen Ader durchzogen wird. Umzingelt von ehemaligen Erasmusstudenten, habe ich mich immer mehr von der Landmeute in Jack Wolfskin abgewandt, die ständig lamentierte, dass ein halber Liter Bier unglaubliche 4 Euro kostet. Innerhalb von zwei Monaten war ich in der Lage, die Monographie eines ehemaligen Erasmusstudenten zu schreiben!
Bierpreise, Fahrräder und Korinthenkacker
Zunächst mal ist der ehemalige Erasmusstudent schrecklich öde. Wenn seine glorreichen Errungenschaften als Expat erstmal der Vergangenheit angehören, drehen sich die Diskussionen entweder um ein absolutes Vakuum oder um praktische, todlangweilige Infos, die jeder im Handumdrehen und mit wenigen Klicks auf Tripadvisor finden kann. Bierpreise, der Geschmack von Kaffee, Fahrräder… die Themen, über die Erasmusstudenten sinnieren, sind genauso interessant wie eine Versammlung im Europäischen Parlament.
Zweitens : Erasmus ist eine Verarsche. Und zwar genau da, wo das Programm eigentlich Versprechen halten sollte: in puncto Fremdsprachen. Sobald das Jahr im Ausland absolviert ist, hat man eine neue Sprache gelernt. Und danach? Trefft ihr weitere Expats, die nicht im gleichen Land waren wie ihr. Und selbst in Paris finden die Treffen unter Globetrottern auf Englisch statt. Und da ist der kleine Spanier, der in Polen Erasmus gemacht hat, plötzlich ziemlich in der Bredouille. Denn sein Englisch reicht nicht wirklich für eine gute Diskussion aus. Wovon wird also mal wieder gesprochen? Essen, Bier und Fahrräder.
Glaubt es mir, Erasmus ist chauvinistisch. Man könnte sogar von „entwurzeltem“ Chauvinismus sprechen. Ein Rezept: Man stecke 10 Erasmusstudenten in einen geschlossenen Raum. Fragt einen, ob er nach folgendem Prinzip stänkern könnte: "Wien ist echt total überteuert…“ Lasst das Ganze ein paar Minuten köcheln. Und wartet darauf, dass die Wiener Erasmusstudentin reagiert. Geplatzte Trommelfelle. Blut an den Wänden. Eine Schlachterei.
European Psycho
Und eine letzte Sache : all diese Leute, die sich noch Jahre lang nach ihrem Eramsusaufenthalt gerühmt haben, Weltbürger zu sein, sitzen heute im Tempel der Raumtrennung. Im Berlaymontin Brüssel. Anzugmänner und Korsettfrauen in kleinen Boxen. Sie sprechen alle die gleiche Sprache und vergessen mit den Jahren – triste Wahrheit – ihre eigene Muttersprache. Aber manchmal kommt ihre Menschlichkeit dann doch noch zum Vorschein. Hat man während eines Essens einen Witz über Kosovaren erzählt, dann kriegt man schonmal ein Glas Lussac-Saint-Emilion ins Gesicht geschüttet. Am nächsten Tag kommunizieren sie dann ein x-tes Spraprogramm.
Und dann, eines Tages, wird alles glasklar. Ein Typ kommt mit einer eierschalengelben Visitenkarte daher, auf der „spricht 7 Sprachen“ steht. Eine mehr als der andere Typ, der dir gestern das Glas Wein ins Gesicht geschüttet hatte. Dieser rennt schnurstracks zur nächsten Toilette. Pulsader. Blutbad. Erasmus – European Psychos!?
Illustrationen: Teaser (cc) jiuck/flickr; Im Text: Auberge Espagnole ©Allocine offizielle Seite zum Film, Axt (cc)Mecaniques/flickr: Video (cc)charasmanali/YouTube
Translated from Erasmus : european psycho