Erasmus auf dem Catwalk Campus Istanbul
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Istanbul ist in. Zu dem Schluss kommt man zumindest, wenn man sich die steigenden Erasmus-Zahlen an den rund 30 Universitäten der Bosporus-Metropole vergegenwärtigt. Teil 1 eines Erfahrungsberichts.
Vor zweieinhalb Jahren dachte ich das erste Mal über einen Studien-Auslandsaufenthalt in Istanbul nach. An meiner Uni versicherte man mir, dass ich ohne Probleme einen Platz bekommen würde, da ohnehin niemand nach Istanbul wolle. Als Gründe wurden oft die Angst vor islamischen Terrorübergriffen, die Kurdenkonflikte und die geographische Nähe zum Irak erwähnt. Doch schon ein Jahr später, als ich mich für einen der drei Erasmus-Studienplätze meines Instituts bewarb, hatten bereits 11 andere Studenten dieselbe Idee. Einer Studie vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) zufolge, liegt Deutschland vor Frankreich und Spanien auf Platz eins in puncto studentischer Auslandsförderung. Im Studienjahr 2007/2008 wurden über 26.000 Studis über Erasmus ins Ausland befördert. Meine Austausch-Universität in Istanbul begrüßte im Winter-Semester 2004 ihren ersten Erasmus-Studenten. Drei Jahre später, als ich für 2 Semester zum Studium kam, waren es schon 94. Während vor ein paar Jahren noch die wenigsten Universitäten in Istanbul einen bilateralen Vertrag mit anderen europäischen Hochschulen hatten, gibt es heute kaum mehr eine Hochschule in der türkischen 20-Millionen Megapolis, die ihre Tore nicht für die auslandbegeisterten Studis öffnet.
Der bürokratische Aufwand an der Istanbuler Uni war für mich zwar nicht unerheblich, aber geringfügig, wenn man es mit den Hürden vergleicht, die türkische Schüler auf sich nehmen müssen, wenn sie an einer Istanbuler Universität studieren möchten. Denn das ist nur möglich, wenn sie zu den Besten der Aufnahmeprüfungen gehören, die nach Abschluss des Gymnasiums absolviert werden müssen. Gehören sie zu den Auserwählten dürfen sie auf die Elite-Unis in Ankara und Istanbul, der Rest wird auf zweit- oder drittklassige Universitäten im ganzen Land verteilt.
Türkische Elite trägt ihr Haar glatt
Das türkische Hochschulsystem ist gespalten - in staatliche und private Universitäten. Diese unterscheiden sich hauptsächlich durch die Portemonnaies ihrer Studierenden beziehungsweise deren Eltern. Während das Studium an den staatlichen Hochschulen noch kostenfrei ist, wird an den privaten gelöhnt - und zwar nicht zu knapp. Die Yeditepe Universität, an der ich seit zwei Semestern studiere, kostet Studenten, die nicht über das Erasmus-Programm oder ein anderes Stipendium eingeschrieben sind, rund 15.000 US-Dollar im Jahr.
Das Resultat: auf dem protzigen Marmor-Glas Campus tummeln sich hauptsächlich Gucci-Taschen schwenkende, Prada-Schühchen tragende Studentinnen, die soviel Make-up tragen, dass sie mehr wie Puppen, als Menschen aussehen. Sollten ihre elaborierten bed-hair-style Frisuren einmal verrutscht sein, haben sie auf der Damentoilette die Möglichkeit gegen ein Entgelt von 25 Cent eine Haarglättemaschine zu benutzen. Was das Thema Eitelkeit und Show-Off auf dem Catwalk-Campus betrifft, stehen die männlichen Studenten ihren weiblichen Kommilitoninnen in nichts nach, wobei sie mindestens so große Sonnenbrillen und vorzugsweise Adidas-Trainingshosen tragen.
Bei dem Gedanken, dass ihre Studenten später einmal hochkarätige Positionen in der Wirtschaft besetzen werden, wird mir mulmig.
Eine meiner türkischen Professorinnen erzählte neulich im Seminar, wie sie von ihrer Friseurin darüber aufgeklärt wurde, dass es mittlerweile schon einen Blondton gibt, der den Namen meiner Universität trägt, da er vorwiegend von studentischen Kundinnen dieser Hochschule getragen wird. Aussehen und Auftreten haben Vorrang, studiert wird hauptsächlich, um einen angesehen Abschluss in der Tasche zu haben. Dazu eine kleine Anekdote: Ein Erasmus-Student, der an der Wirtschaftsfakultät meiner Universität hier in Istanbul studiert, wurde bei der Abgabe einer Hausarbeit von seiner Professorin freundlich darauf hingewiesen, dass er zu viel Arbeit in sein Essay investiert hätte. Ihr hätte es vollkommen genügt, wenn er ein paar gegoogelte Infos mit Hilfe der bewährten copy&paste Methode abgegeben hätte. Bei dem Gedanken, dass ihre Studenten später einmal hochkarätige Positionen in der Wirtschaft besetzen werden, wird mir mulmig. Was dieses Gefühl noch verstärkt ist, dass im Büro des für seinen rigorosen Nationalismus bekannten Gründers und Rektors der Yeditepe Universität, einem ehemaligen Bürgermeister von Istanbul, unlängst eine nicht unerhebliche Anzahl an Waffen gefunden wurde. Seit diesem Vorfall hat der Direktor das Land in Richtung Westen verlassen und wird bis auf weiteres auch gut daran tun, nicht mehr zurück zu kommen.
Doch die Universitäten Istanbuls sind so unterschiedlich wie die Menschen, die in dieser Stadt leben. Ein Beispiel ist die Boğazıcı Universität, die als eine der besten, aber auch als eine der politischsten Hochschulen des Nahen Ostens gilt, einen wunderschönen, grünen Campus hat und jedem potentiellen Erasmus-Studenten, der nach Istanbul will, wärmstens zu empfehlen ist. Ein anderes Beispiel ist mein Institut, das die Studierenden durch das Engagement zumindest einiger Lehrkräfte zum kritischen Denken anregt. Auch wenn dies nicht immer klappt und unter den Studenten Politikverdrossenheit und Plagiat weit verbreitete Krankheiten zu sein scheinen, wird es grundsätzlich geschätzt und anerkannt. Das hat dazu geführt, dass ich hier in zwei Semestern wahrscheinlich mehr geschrieben, gelesen und gelernt habe, als in drei Jahren Studium in Deutschland. Unter meinen Kommilitoninnen habe ich deshalb schon einen gewissen Streber-Status.
In einer anderen Kultur zu leben bedeutet nicht nur "andere" Menschen kennenzulernen, sondern vor allem auch sich selbst neu zu erleben und zu erfinden. Das ist vor allem einem wesentlichen Umstand zu verdanken: Auf einmal ist man selbst der oder die "Andere" - der oder die Fremde vor der Tür…
Lest hier den zweiten Teil von Harikas Erasmus-Porträt!