Ende der transatlantischen Eiszeit?
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Bushs Besuch in Brüssel nächsten Dienstag ist ein erster Schritt zur Entspannung in den Beziehungen zwischen Europa und den USA. Er sollte von den Europäern mit vorsichtiger Zuversicht begrüßt werden.
Drinnen erste Annäherung, draußen weiterhin Ablehnung: Wenn der neu gewählte amerikanische Präsident George W. Bush am 22. Februar mit den 25 EU-Regierungschefs und der Kommission zusammen trifft, werden in Brüssel viele Menschen gegen den Besuch demonstrieren. Rund 50 Nichtregierungsorganisationen haben zu Massendemonstrationen gegen den mächtigsten Mann der Welt aufgerufen. Der Vorwurf lautet kurz und knapp: „Die Vereinigten Staaten sind das größte Hindernis für eine auf internationalem Recht basierenden Weltordnung“, wie es in einem gemeinsamen Manifest heißt.
Der erste Besuch bei der EU
Umso überraschender mag nach den Zerwürfnissen über den Irak-Krieg erscheinen, dass der erste Antrittsbesuch nach der Wiederwahl Bush ausgerechnet nach Brüssel führt – ins Zentrum des ‚alten’ Europa, das der US-Präsident vor nicht allzu langer Zeit noch als irrelevant bezeichnete. Dabei gilt das erste Ziel der Antrittsbesuche gemeinhin als richtungweisend für die Außenpolitik eines neu gewählten amerikanischen Präsidenten. Und es ist das erste Mal überhaupt, dass ein US-Oberhaupt die EU-Institutionen besucht. Sollen, wo bisher das Prinzip divide et impera – teile und herrsche – galt, plötzlich Signale für eine verstärkte Zusammenarbeit gesetzt werden?
Europa und Amerika haben im Zusammenhang mit der Irak-Politik die Grenzen ihrer Macht erfahren. Europa kann die USA nicht stoppen, und Bush hat gelernt, dass Amerika zwar den Krieg allein gewinnen kann, nicht aber den Frieden. Seine Außenministerin Rice versprach vor dem Senatsausschuss eine „Konversation mit dem Rest der Welt, keinen Monolog“. Nach den im Irak-Krieg schockgefrorenen transatlantischen Beziehungen ist nun vorsichtige Zuversicht angebracht.
Alte Probleme, neuer Anlauf
Nicht nur Bushs Visite in Brüssel, schon der Austausch von gegenseitigen Nettigkeiten auf der Münchner Sicherheitskonferenz und während des Antrittsbesuchs der US-Außenministerin Condoleezza Rice Anfang Februar legen nahe: dahinter steckt mehr als eine vorübergehende Charmeoffensive. Beide Seiten haben erkannt, dass man einander braucht. Die Herausforderungen, vor denen Europäer und Amerikaner stehen, sind groß. Weltweit brodelt ein halbes Dutzend Konfliktherde, die auch uns betreffen: Der Iran baut weiter Atombomben, im Nahen Osten ist die aufkeimende Hoffnung nach wie vor fragil, China strebt kontinuierlich nach globaler Größe, Afghanistan ist von einer stabilen Ordnung noch weit entfernt und die Herausforderungen im Irak bleiben bestehen. Auch die globale Bekämpfung der Armut und der weltweite Kampf gegen Umweltzerstörung müssen fortgesetzt werden. Diese Probleme können nur im Gleichschritt von Europa und Amerika gelöst werden. Dass Bush hier den ersten Schritt macht, sollte für die Europäer Anreiz genug sein, einen neuen Anlauf in den transatlantischen Beziehungen zu wagen. Allerdings bedarf es dazu diplomatischer Tugenden wie Gespür für den richtigen Ton, Empathie für die Position der Gegenseite und am Ende echte Kompromissbereitschaft. Die symbolische Annäherung zwischen Europa und Amerika muss mit dem Willen einhergehen, diese Tugenden zu pflegen, wenn der Wunsch der Demonstranten nach einer auf Recht basierten Weltordnung irgendwann Wirklichkeit werden soll.