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Emotionale Eiszeit

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Michael Haneke irritiert mit Filmen, die bohrende Fragen stellen und jede Antwort verweigern. Und die man nicht vergisst.

Wer bis zum Ende von „Der siebte Kontinent“ durchgehalten hat, wird minutenlang gelähmt vor einem rauschenden Bildschirm sitzen, wie im Film der Familienvater, der Gift genommen hat und neben der bereits toten Frau samt Kind auf sein Ende wartet. Endlich markiert der Schnitt auf Schwarz den Tod und der kollektive Selbstmord die Erlösung aus einem erstarrten Dasein. Der Betrachter wird irritiert in sein Leben entlassen, wo ihm fortan Insignien der Bürgerlichkeit wie eine Küchenmaschine oder ein elektrisches Garagentor als Metaphern der Unmenschlichkeit gelten mögen.

So sinnlos wie die Realität

Die „Vergletscherung der Gefühle“ in der postmodernen Konsum- und Mediengesellschaft ist das große Thema des österreichischen Filmemachers Michael Haneke. Keine Unterhaltung, kein Zerstreuungskino erwartet den Zuschauer in Filmen wie „Benny’s Video“, in dem sich ein Halbwüchsiger filmt, als er eine Freundin mit einem Bolzenschussgerät abschlachtet, oder „Funny Games“, einer eiskalten Horrorfilmparodie, die den Betrachter am Schlafittchen des eigenen Voyeurismus packt und in einen Gewaltalptraum wirft, der so sinnlos ist, wie die Realität selbst. „Was ich wollte, ist, dass die Welt am Schluss nicht wieder in Ordnung ist: Der nette Nachbar von nebenan kann dich genauso umbringen wie der arabische Terrorist, vor dem im Moment alle Angst haben“ sagt Haneke, und setzt einen Denkprozess über die Medienrealität und die eigene Lust am spannungsvollen Erschauern in Gang. Im Gegensatz zur Dramaturgie des Thrillers wird der Kinobesucher nicht mit einem Happy End belohnt, bei dem das Gute siegt und sich die Leichen in irgendeiner konstruierten Sinnhaftigkeit auflösen. Am Ende der „Klavierspielerin“, der Verfilmung eines Romans von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, piekt sich Isabelle Huppert ein Messer in den Bauch und stakst verletzt aus dem Bild – der Selbstmord ist genauso missraten wie jede gefühlsgeleitete Handlung. Wenn am dünnen Lack des Lebens gekratzt wird, entladen sich die unterdrückten Gefühle und die Entfesselten schlagen dem Nächsten den Kopf ein – oder sich selbst. Der Tod, das Leiden bleiben sinnlos, unverständlich und unvermeidbar.

Flucht nach Frankreich

Die bruchlose Idylle Österreichs mit Alpenglühen, Sunnyboy Haider und einer verdrängten Vergangenheit hinterm Berg ist Ausgangspunkt einer sezierenden Gesellschaftskritik bei Autoren wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Filmemachern wie Haneke, die ihnen in der Heimat kaum Freunde einbrachte. Dabei geht es Haneke bei seiner Aufdeckung der emotionalen Vereisung nicht um ein österreichisches Phänomen. Nach der Aufführung des Films „Der siebte Kontinent“ in Cannes – wo Haneke seit Jahren Stammgast ist und zuletzt mit der „Klavierspielerin“ für Aufsehen sorgte – wurde der Regisseur von einem Journalisten gefragt, ob das Leben in Österreich tatsächlich so schrecklich sei. „Seither versuche ich, meine Filme nicht an bestimmte geographische Orte zu binden. Sie sollen überall verständlich sein, wo sie gesehen werden.“

Österreich hat Haneke als Filmer bereits seit längerem Verlassen. Im Cineastenland Frankreich hat der Nestbeschmutzter weit mehr Erfolg als in seiner biedermeierlichen Heimat. „Wolfzeit“, sein letzter Film, ist eine französische Produktion und mit Stars wie Patrice Chereau, Beatrice Dalle und abermals Isabelle Huppert besetzt. Nach einer undefinierten Katastrophe kämpfen die Menschen um die einfachsten Dinge wie Wasser, Nahrung oder ein Dach über dem Kopf. In der Not offenbaren sie ihr wahres Gesicht: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Doch abermals verweigert Haneke die runde Dramaturgie des Hollywoodfilms, die Auflösung der Geschichte nach einem dramatischen Höhepunkt, nachdem der Zuschauer den lustvollen Schauer des Films in der Schublade der Konsumgüter ablegen kann. Es gibt keine Antwort, kein sinnvolles Ende. Das vorher und nachher ist das Leben selbst und die Irritation des Films soll sich im Denken des Publikums fortpflanzen: „Filme, die den Schrecken unserer Gesellschaft zum Thema haben, kann man nur als Frage formulieren. Und wenn eine Frage bohrend genug gestellt wird, vergisst der Zuschauer sie nicht so schnell wie eine Antwort, die ihn beruhigt hat.“

„Caché“, „Versteckt“ heißt der neue Film von Haneke, der 2005 in die Kinos kommen wird. Abermals eine französische Produktion, mit Juliette Binoche in der Hauptrolle, nimmt er sich vor dem Hintergrund des Algerienkriegs der Frage persönlicher Schuld und Verantwortung an. Wir werden den Kinosaal irritiert verlassen.