EM 2012 in Polen und Ukraine - Die unsicheren Kandidaten
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Ob die EM 2012 tatsächlich in Polen und der Ukraine stattfindet, ist ungewiss. Eine Reise in die Problemzone des Fußballs.
Ostap Protsyk steht auf einer Wiese am Stadtrand von Lemberg (Lwiw) und redet zuversichtlich von der Finanzierung des künftigen EM-Stadions. „Wo wir hier stehen, werden in vier Jahren Mannschaften aus ganz Europa spielen“, sagt der Büroleiter des Lemberger Bürgermeisters. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau nährt dort, in der westlichen Ukraine, die Hoffnung auf dringend benötigtes Kapital für den Stadionbau - rund 100 Millionen Euro.
Über Protsyks Kopf durchzieht ein Jet der ungarischen Billigflieger-Airline Wizzair den Himmel. Bald sollen solche Flugzeuge das riesige Verkehrsproblem der Ukraine lösen. Davon träumt zumindest Oleksandr Sahrewa. Der Flughafendirektor steht auf dem sowjetischen Beton des Rollfeldes und redet über die 200 Millionen Euro-Pläne für eine verlängerte Landebahn und ein zusätzliches Terminal. „Auf ihrer Reise haben die UEFA-Inspekteure auch unseren Flughafen besucht. Unser Programm zum Flughafenausbau genügte ihren Ansprüchen“, erzählt Sahrewa.
Massives Hooliganproblem
Weil Michel Platini, Präsident des europäischen Fußballverbandes, schon seit einiger Zeit an den Vorbereitungen in den beiden Austragungsländern zweifelt, flog er gleich im Anschluss an die erfolgreiche EM 2008 nach Warschau und Kiew. Ende September nun tagte das Exekutivkomitee der UEFA in Bordeaux, um unter anderem über das Problem der EM 2012 zu beraten. Neben den Stadien und dem Verkehr, sorgt sich der Verband um die Themen Korruption und Sicherheit. Beide Länder haben ein massives Hooliganproblem.
Nach einem Lokalderby zwischen Polonia und Legia in Warschau vor einem Monat verhaftete die Polizei 741 mutmaßliche Randalierer, die sich in der Altstadt eine wüste Straßenschlacht geliefert hatten. Fast alle sind wieder auf freiem Fuß. Eine Hooligandatei nach westeuropäischem Vorbild, in der auffällige Fußballrowdys zentral erfasst werden, gibt es nicht.
Im Hausflur des polnischen Fußballverbandes (PZPN) in der Ulica Miodowa blättert der Putz von den Wänden. Statt Farbe wünscht sich jedoch mehr Zeit. „Wenn die EM erst 2016 stattfinden würde, hätten wir überhaupt kein Problem“, sagt er. Listkiewicz hatte - wie sein ukrainischer Kollege Grigorij Surkis - Michel Platini bei dessen Wahl zum UEFA-Präsidenten im Januar des vergangenen Jahres unterstützt. Drei Monate später fiel die Entscheidung zu Gunsten Polens und der Ukraine für 2012.
Bei der Bekanntgabe des Zuschlags im walisischen Cardiff tanzte Listkiewicz durch den Bankettsaal, umarmt von dem damaligen polnischen Sportminister Tomasz Lipiec. Der wurde kurz darauf wegen einer Korruptionsaffäre verhaftet.
Schuldig sind Andere
In Danzig gibt es beim Stadionbau Schwierigkeiten mit den Kleingärten.
Listkiewicz sucht die Schuldigen für die Probleme mit der EM 2012 aber lieber woanders. „In Danzig etwa gibt es beim Stadionbau Schwierigkeiten mit den Kleingärten“, sagt er. Dort klagen im Stadtteil Letnica die Hobbygärtner auf Entschädigung. Witold Baginski ist einer von ihnen. Ihm kommen fast die Tränen, wenn er von den Wochenenden auf seiner Datscha erzählt. Aber seit die Bagger kamen, hat sich sein Leben geändert.
Die EM 2012 ist dem Hobbygärtner egal, die Baltic Arena, die auf dem Boden seines Kleingartens entstehen soll, sowieso. Er will nur noch sein Geld. Aber das fehlt auch dem Bürgermeister Pawel Adamowicz. Denn private Investoren gibt es für das Danziger Stadion bislang nicht. „Bis zum eigentlichen Stadionbau müssen wir noch Anleihen herausgeben, oder wir nehmen einen Kredit auf.“ Rund 230 Millionen Euro soll das gesamte Projekt Baltic Arena kosten.
Keine Autobahn in Richtung Ukraine
„Das größte Problem aber ist der Verkehr“, fährt Verbandspräsident Listkiewicz mit seinen Anschuldigungen fort. „Von Danzig nach Donezk sind es schließlich über 1500 Kilometer! Das ist nicht wie in Österreich und der Schweiz, wo alles beieinander liegt.“ Seit Platinis Kontrollfahrt ist Listkiewicz längst dazu übergegangen, sämtliche Probleme zuzugeben, statt sie zu dementieren. „Realistisch betrachtet werden wir bis 2012 keine guten Straßen haben“, sagt er heute. Erst vor wenigen Tagen hat das Verkehrsministerium zugegeben, dass es bis zur EM wohl nichts werde mit dem Ausbau der A4 in Richtung Ukraine.
Ohne die volle Unterstützung der Oligarchen geht es nicht.
Dort ist indes von Autobahnen erst gar nicht die Rede. Das Netz der Überlandstraßen ist marode. Die Fahrt von Lemberg in die 500 Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew dauert einen ganzen Tag. Wegen der anhaltenden Regierungskrise ist die Verwaltung in der Ukraine seit Monaten gelähmt. Der ukrainische Intellektuelle Andrij Pavlyshyn, sonst für seine differenzierten Analysen bekannt, kennt nur eine Lösung: Ohne die volle Unterstützung der Oligarchen geht es nicht. Vom Staat sei schließlich keine Handlungsfähigkeit zu erwarten.
Angesichts dieser Verhältnisse kommen Michal Listkiewicz, dem polnischen Verbandspräsidenten, grundsätzliche Zweifel an dem EM-Partner. „Wir und die Ukraine sind eine Familie“, sagt er über die Wahl des EM-Partners. „Aber wenn es jetzt nicht gut läuft, und die UEFA einen anderen Vorschlag hat, dann wäre es auch in Ordnung, wenn die UEFA eine andere Entscheidung trifft“.
Der Autor des Artikels, Olaf Sundermeyer, ist Mitglied des Korrespondenten-Netzwerks n-ost.