Eltern, nennt Euer Kind Europa!
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Scharlachrot, Nike oder Solidarität: Die Kinder auf dem Europa-Spielplatz haben es nicht leicht. Was die beliebtesten und außergewöhnlichsten Vornamen Europas über ihre Träger verraten.
Merkwürdige Szenen spielen sich im Europa-Kindergarten ab. Da buddeln Liebling (hebr. David), Engel (lat. Angelina) und Wundervoll (suaheli-amerikan. Shania) arglos im Sandkasten, als der Größte (lat. Maximilian) sich vor ihnen aufbaut, Schiefe Nase (schottisch-gäl. Cameron) am Arm packt und sagt: „Gebt mir mein Spielzeug, ihr Knechte (arab. Abdullah)!“ Der Tapfere (griech. Andreas) läuft vor Wut scharlachrot (engl. Scarlett) an und deutet auf den Wald (lat. Silvia). „Dort ist dein Spielzeug versteckt“, fügt die Anmutige (griech. Hannah, arab. Shakira) aufrichtig (griech. Katharina) hinzu.
Was war passiert? Eltern nehmen sich das Sprichwort „Nomen est Omen“ immer mehr zu Herzen. Anstatt ihren Sohn einfach wie früher üblich nach dem Vater zu benennen, suchen sie nach individuellen, mit positiven Charakterzügen besetzten und möglichst international aussprechbaren Vornamen. So ist Julia (vom altrömischen Geschlecht der Julier) in England, Polen und Finnland gleichermaßen beliebt. Lukas (aus dem griechischen Lucania) könnte ebenso in Norwegen, Frankreich und Litauen daheim sein.
Gewiefte Eltern haben außerdem erkannt, dass Markennamen die Arbeitsmarktchancen des Nachwuchses um ein Vielfaches erhöhen. Glück für deutsche Babys: Coca Cola oder Nutella dürfen sie nicht heißen, das kann man seit kurzem sogar in einem neuen Onomastik-Master an der Uni Leipzig studieren. Mégane ist in Frankreich verpönt, seit der französische Autohersteller Renault in den 1990ern ein gleichnamiges Modell auf den Markt brachte. Nike dagegen ist in Norwegen und anderswo ein ganz normaler Mädchenname, stammt er doch aus dem Altgriechischen und bedeutet „Sieg“.
Es geht aber noch weitaus politischer. Eine polnische Familie beispielsweise nannte ihren Sprössling in den Achtzigern Solidariusz (Solidarität), der Junge ließ seinen Vornamen jedoch ändern, sobald er volljährig war. Europäer können ihre Töchter jetzt auch Europa nennen. Wie groß Europa (griech. weit, geräumig) einmal wird, verraten sie damit nicht. Falls Europa ihren Vornamen wider Erwarten nicht mag, kann sie ihn entweder ändern lassen, was in manchen Ländern leichter ist als in anderen, oder gerichtlich dagegen vorgehen. Letzteres hat ein 9-jähriges Mädchen aus Neuseeland getan. Deren Eltern offenbarten ihre eigene Erziehungsunfähigkeit, als sie das arme Kind Talula Does the Hula From Hawaii nannten. Dann doch lieber Europa!