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Einklang in der EU? Das European Union Youth Orchestra zeigt wie

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Berlin

Was für die meis­ten In­sti­tu­tio­nen der EU wie ferne Zu­kunfts­mu­sik klingt, ist für das "Eu­ro­pean Union Youth Or­ches­tra" All­tag. Seit 1976 bie­tet es be­gab­ten Nach­wuchs­mu­si­ke­rIn­nen aus allen Mit­glieds­staa­ten der EU die Mög­lich­keit, mit an­spruchs­vol­len Pro­gram­men und nam­haf­ten Pro­fis auf Tour zu gehen. Ganz ne­ben­bei zei­gen sie, wie harmonisch Eu­ro­pa sein könn­te.

Do­mi­nik aus Deutsch­land, Babis aus Grie­chen­land, Pa­trycia aus Spa­ni­en sowie Vilém und Radka aus der Tsche­chi­schen Re­pu­blik haben einen straf­fen Zeit­plan. Als Mit­glie­der des EUYO sind sie nicht zum Baden nach Grie­chen­land ge­kom­men, son­dern ab­sol­vie­ren wäh­rend ihres ein­wö­chi­gen Auf­ent­halts in Thes­sa­lo­ni­ki ein be­acht­li­ches Pro­gramm: Pro­ben, ein Kon­zert abends, zwei am nächs­ten Vor­mit­tag für Kin­der und Ju­gend­li­che sowie ein abend­li­cher Auf­tritt in einem Nacht­club. Ne­ben­bei er­klä­ren sie Grup­pen von Schü­le­rin­nen und Schü­lern, was genau sie da für In­stru­men­te haben und wie die funk­tio­nie­ren.

Eines ist ihnen allen ge­mein­sam: Sie spie­len im Eu­ro­pean Union Youth Or­ches­tra (EUYO), das aus bis zu 140 jun­gen Nach­wuchs­mu­si­ke­rIn­nen aus allen (in­zwi­schen) 28 Mit­glieds­län­dern der Eu­ro­päi­schen Union be­steht, die zwei­mal pro Jahr auf Tour gehen. In die­sem Früh­jahr ging es nach Abu Dhabi, wo keine Ge­rin­ge­ren als Vla­di­mir Ash­kena­zy am Pult und EU­YO-Alum­ni und Star­cel­list Gar­tier Ca­pu­con mit dem Or­ches­ter auf­tra­ten. Der Tour­auf­takt fand in Thes­sa­lo­ni­ki statt, wo es, neben der Musik, vor allem um Be­geg­nung ging.

Auf meine Fra­gen nach ihrer Ein­stel­lung zu Eu­ro­pa, ob dies ein Thema war, als sie für das Or­ches­ter vor­ge­spielt haben und ob sie sich als Eu­ro­pä­er füh­len oder nicht, ernte ich zu­nächst ver­wirr­te Bli­cke. „Es geht ei­gent­lich nur um die Musik“, sagt Babis, Mu­sik­leh­rer aus Athen. „Es ist ein­fach ein gutes Or­ches­ter. In Graz, wo ich stu­die­re, spie­len wir per­ma­nent mit Leu­ten aus der gan­zen Welt, also ist das für mich nor­mal“, er­gänzt Pa­trycia, Cel­lis­tin aus Ma­drid. So­viel eu­ro­päi­sche Selbst­ver­ständ­lich­keit über­rascht mich und Char­lot­te, PR-Frau sowie or­ga­ni­sa­to­ri­scher Dreh- und An­gel­punkt des Or­ches­ters, sieht mir meine Ent­täu­schung an: „Wir sagen, dass das Or­ches­ter eine Me­ta­pher dafür ist, wie die EU funk­tio­nie­ren soll­te. Es er­zeugt Har­mo­nie und zeigt das Beste aller eu­ro­päi­schen Na­tio­nen.“

"Wir sit­zen nicht herum und dis­ku­tie­ren über Po­li­tik"

Das klingt schon eher nach einer druck­rei­fen Ant­wort, wobei es nicht die theo­re­ti­sche Idee ist, die dem Or­ches­ter seine be­son­de­re Aura ver­leiht, son­dern der zwang­lo­se Um­gang der Mu­si­ke­rIn­nen un­ter­ein­an­der. Po­li­tik ist Ne­ben­sa­che. Viel­mehr set­zen sie um, was in Brüs­sel so ver­zwei­felt her­bei­ge­sehnt wird: di­rek­ter Aus­tausch, Be­geg­nun­gen und ein (pro­fes­sio­nel­les) Mit­ein­an­der. „Wir sehen viel, wenn wir auf Rei­sen sind“, sagt Kon­tra­bas­sist Do­mi­nik, der sich eher als Bayer denn als Deut­scher de­fi­nie­ren würde. „Und dabei tau­schen sie sich aus“, er­gänzt Char­lot­te. „Wir sit­zen hier nicht rum und dis­ku­tie­ren über Po­li­tik. Das würde kei­nen Sinn er­ge­ben. Aber ich be­ob­ach­te, wie sie kul­tu­rell von­ein­an­der ler­nen. Sie stel­len sich Fra­gen, z.B. über die vie­len Graf­fi­tis, die wir hier in Grie­chen­land sehen, und sie be­kom­men Ant­wor­ten. Und dann be­ginnt ein in­ter­kul­tu­rel­ler Dia­log.“

Auf Tuch­füh­lung mit Musik und Eu­ro­pa

Im Kon­zert­haus in Thes­sa­lo­ni­ki sind an die­sem Vor­mit­tag Schul­klas­sen zu Gast, die das EUYO zu einer be­son­de­ren Ver­an­stal­tung ein­ge­la­den hat. Eine Mo­dera­to­rin stellt die ein­zel­nen Na­tio­nen des Or­ches­ters vor. Fre­ne­ti­scher Ap­plaus für die grie­chi­schen Mu­si­ker, ver­ein­zel­te Buh­ru­fe für die Deut­schen. Selbst bei jun­gen Grie­chen unter 16 macht sich die Kri­sen­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung be­merk­bar.

Dann aber spricht die Musik und löst den po­li­ti­schen All­tag in Wohl­klang auf. Ein Junge und ein Mäd­chen aus dem Pu­bli­kum wer­den auf die Bühne ge­holt und pro­bie­ren sich im Di­ri­gie­ren. Die Ak­ti­on er­fährt ihre Sym­bo­lik vor allem vor dem Hin­ter­grund, dass man in einem Land, wo die Ju­gend­ar­beits­lo­sig­keit die 60%-Mar­ke über­schrit­ten hat, be­reits von einer ver­lo­re­nen Ge­ne­ra­ti­on spricht. Nach dem Kon­zert tei­len sich die Mu­si­ker auf und prä­sen­tie­ren ein­zel­nen Schü­ler­grup­pen ihre In­stru­men­te. „Das haben die sich selbst aus­ge­dacht“, er­klärt Char­lot­te, wäh­rend die Kin­der ge­bannt auf die Gei­gen und Celli star­ren oder sich über die gro­tes­ken Töne freu­en, die man mit Blas­in­stru­men­ten er­zeu­gen kann.

Das Trom­pe­ten­kon­zert von J.N. Hum­mel in­ter­pre­tiert vom Eu­ro­pean Youth Or­ches­tra (2012). 

Das EUYO ist eine Ta­lent­schmie­de, die künst­le­ri­sche Pro­fes­sio­na­li­tät ver­bin­det mit einem Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein für Kul­tur und Ge­sell­schaft. Fern­ab der po­li­ti­schen Büh­nen in Brüs­sel, Ber­lin oder Lon­don, leben die jun­gen Mu­si­ke­rin­nen und Mu­si­ker eine Rea­li­tät, die ex­em­pla­risch steht für das, was Eu­ro­pa sein könn­te. In der In­ter­ak­ti­on un­ter­ein­an­der herr­schen keine Wi­der­sprü­che zwi­schen den di­ver­sen na­tio­na­len und re­gio­na­len Iden­ti­tä­ten und der eu­ro­päi­schen Idee. „Wenn ich in Spa­ni­en bin, fühle ich mich als Eu­ro­päe­rin und wenn ich im Aus­land bin als Spa­nie­rin“, er­klärt Cel­lis­tin Pa­trycia beim In­ter­view. Deut­lich wird dabei vor allem eines: Po­li­tik ist nicht ein­fach ein Ver­wal­tungs­akt, son­dern ent­steht erst im ge­leb­ten Mit­ein­an­der.

Die­ser Ar­ti­kel ist erst­mals am 28. April 2014 auf www.​eu­dys­see.​net er­schie­nen.