Eine Stimme für Europa!
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Die Spaltung Europas im Irakkrieg hat gezeigt, welchen Einfluss es in der Welt hat, wenn es nicht mit einer Stimme spricht. Ein gemeinsamer Sitz im Sicherheitsrat würde die EU zwingen, effektive Mechanismen zur Konsensfindung in außenpolitischen Fragen zu entwickeln.
Mag man die Spaltung Europas im Irakkrieg als Desaster europäischer Außenpolitik werten oder nicht. Eines hat sie deutlich gezeigt: wenn wichtige nationale Interessen einzelner Mitgliedsstaaten berührt sind, spricht die EU nicht mit einer Stimme. Nationale Egoismen behalten dann die Oberhand. Die gegenseitige Abstimmung, wie sie auch der neue Verfassungsvertrag für alle außenpolitischen Fragen vorsieht, ist dann nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. Plötzlich scheint die Flamme des europäischen Staatensystems im 19. Jahrhundert wieder aufzuflackern: Außenpolitik wird als ureigene Domäne des souveränen Nationalstaates begriffen. Das gemeinsame Interesse an einer friedlichen Regelung von Konflikten verschwindet unter den schweren Stiefeln nationalstaatlicher Alleingänge.
Die Geschichte als Lehrmeister
Diese kurzsichtige Haltung, die Europa im 20. Jahrhundert in zwei verheerende Weltkriege gestürzt hat, versuchten die sechs Gründungsstaaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch gemeinsames Handeln ein für allemal der Vergangenheit zu übergeben. Die besonnenen Väter der europäischen Einigung beabsichtigten, durch die geteilte Kontrolle über kriegswichtige Güter wie Kohle und Stahl Krieg in Europa unmöglich zu machen. Das Ziel der wirtschaftlichen Prosperität durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes kam erst später hinzu. Insofern ist die europäische Integration vom Grundgedanken ein zutiefst friedenspolitisches Projekt – und Frieden hat bekanntlich viel mit dem außenpolitischen Verhalten von Staaten zu tun. Trotzdem dauerte es bis nach dem Ende des Kalten Krieges, dass die EU eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) schuf. Diese Politik beruht jedoch in erster Linie auf der Zusammenarbeit der europäischen Regierungen und wird koordiniert von 'Mister GASP' Javier Solana. Supranationale Organe wie die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, die ein wahrlich europäisches Interesse vertreten, sind von den Entscheidungsprozessen der GASP fast vollständig ausgeschlossen. Auch der im neuen Verfassungsvertrag vorgesehene Außenminister der Union wird nichts an der intergouvernementalen Ausrichtung der GASP ändern – obwohl der berühmte Wunsch des ehemaligen amerikanischen Außenministers Kissinger nach einer Telefonnummer der Union damit endlich Wirklichkeit wird. Das grundsätzliche Problem aber bleibt bestehen: Ohne einen geeigneten rechtlichen Rahmen weht am Ende wieder der nationalstaatliche Egoismus seine Siegesfahnen.
Eine europäische Außenpolitik ist unabdingbar
Die Überwindung der außenpolitischen Vielstaaterei der Union kann nur heißen: Außenpolitik wird europäisiert! Nationale Egoismen müssen endlich zugunsten des übergreifenden, friedenspolitischen Interesses in der Welt zurückgestellt werden. Die nach einem der weisen Gründungsväter der Gemeinschaft benannte Methode Monnet, nach der sich die europäischen Organe die Macht untereinander teilen, muss auch die Außenpolitik bestimmen. Ähnliche Gedanken haben vermutlich den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt beschäftigt, als er 1991 als Erster auf die Idee kam, den britischen und französischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in europäische Sitze umzuwandeln. Die Grundidee ist dieselbe: Es ist an der Zeit, dass eine neue Ära europäischer Außenpolitik und damit das Ende nationaler Außenpolitiken eingeläutet wird. Die ewigen Zankereien der Europäer, wie jüngst wieder der Zwist zwischen Deutschland und Italien um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat, müssen endlich der Vergangenheit angehören. Die europäischen Nationalstaaten dürfen nicht länger verhindern, in außenpolitischen Fragen gemeinsame Positionen zu erarbeiten – also mit einer Stimme zu sprechen! Wenn nationale Außenpolitik Europa im 20. Jahrhundert ins Unglück gestürzt hat, wäre es dann infolge der europäischen Einigung nicht konsequent, deren verheerende Auswirkungen einzudämmen, indem man sich auch außenpolitisch (und nicht nur in Handels- und Binnenmarktfragen) auf gemeinsames Handeln verpflichtet? Und wäre es nicht auch nahe liegend, dies genau in der Institution zu tun, die nach dem 2. Weltkrieg mit einem ähnlichen friedenspolitischen Anspruch wie die Europäische Gemeinschaft angetreten ist?
Europa kann stolz auf das bisher Erreichte zurückblicken. Es hat der ganzen Welt gezeigt, wie durch den Prozess einer auf Recht basierenden Einigung friedliche Konfliktregelung auf Dauer möglich ist. Daraus schöpft es seine Glaubwürdigkeit und gleichzeitig seine Verantwortung, auch international für eine Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen im multilateralen Rahmen einzutreten. Und eine zweite Berechtigung für eine gemeinsamen Sitz im Sicherheitsrat könnte sie ebenfalls für sich reklamieren: Dass sie als erfolgreiche Vorreiterin und Förderin einer neuen Weltordnung dem Zukunftsmodell regionaler Integration ein weithin sichtbares Gesicht verleihen würde.