Eine Kommission der Neoliberalen?
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timo gossmannNoch nicht einmal im Amt, und schon im Kreuzfeuer der Kritik! Die Kommission Barroso ist manch einem zu „liberal“. Aber die Linke geht im Kollegium des Portugiesen keinesfalls unter.
Nieder mit den Neoliberalen! Der neue Präsident der Europäischen Kommission, der frühere portugiesische Premierminister José Manuel Durão Barroso, hat sich in der Vergangenheit durch eine sehr liberale Wirtschaftspolitik ausgezeichnet. Zudem hat er eine ausgesprochen pro-amerikanische Position im Zuge der Intervention im Irak eingenommen. Plötzlich sind einige – insbesondere in Frankreich – beunruhigt über die ideologische Ausrichtung der von ihm geführten Kommission.
Die Vergabe einiger Schlüsselpositionen scheint auf den ersten Blick tatsächlich darauf hinzudeuten: Die Generaldirektionen Binnenmarkt und Wettbewerb wurden an Personen vergeben, die sich in ihren Heimatländern als ausgesprochene Verfechter des ökonomischen Liberalismus erwiesen haben. Es handelt sich zum einen um die Holländerin Nellie Kroes (Wettbewerb), die bereits Schlagzeilen über ihre nicht unbedingt mit ihrem Amt zu vereinbarenden Verbindungen in die Geschäftswelt provoziert hat. Sie musste sich verpflichten, alle Vorgänge, die ehemalige Arbeitgeber der Kommissarin betreffen, an Kollegen weiterzugeben. Zum anderen ist Charlie McGreevy (Binnenmarkt), der ehemalige Finanzminister Irlands, der für das irische „Wirtschaftswunder“ verantwortlich zeichnete, als äußerst wirtschaftsliberal bekannt.
So rechts, wie Europa nun mal ist
Ist die Kommission Barroso also wirklich wesentlich liberaler als die vorherigen Kommissionen, insbesondere aber der Kommission Prodi, die ihre Geschäfte aufgenommen hat, als die Linke im Europa der 15 gerade dominierte? Stellt sie das europäische Sozialmodell in Frage?
Die Kommission Prodi zählte zwölf eher sozialdemokratische Kommissare gegenüber sieben eher „rechten“ Amtskollegen. Doch die Posten des Binnenmarkts und des Wettbewerbs wurden von einem holländischen Liberalen, Frits Bolkestein, aus der gleichen Partei wie Nellie Kroes (VVD), und einem Ökonomen, Mario Monti, ausgeübt. Und im Verlauf der zweiten Hälfte der Amtszeit des Mandats von Prodi wurden im Zuge von Wahlen in den Mitgliedsstaaten zwei sozialdemokratische Kommissare durch Mitte-Rechts-Politiker abgelöst.
Die Kommission Barroso wird gewiss konservativer geprägt sein, was eine aktuelle Tendenz in Europa widerspiegelt. Nicht mehr als sieben (unter 25) Kommissaren werden die Linke repräsentieren. Die anderen sind aber nicht zwangsläufig liberal: Der Rest des Kollegiums umfasst acht Liberale, fünf Christdemokraten und vier Konservative. Während die drei Familien auf Seiten der Rechten sich in wirtschaftlicher Hinsicht angenähert haben, sind Konservative und Christdemokraten weit davon entfernt, sich sozialpolitisch den Liberalen anzunähern. Die Kommission ist somit ausgeglichener als es zunächst den Anschein hat.
Die wichtigsten Ressorts
Man muss zudem auf die Verteilung der Ressorts schauen. Ist die Linke dabei so schlecht aufgestellt? Sie stellt mit dem Deutschen Günter Verheugen (Unternehmen und Industrie) sowie der Schwedin Margot Wallström (Kommunikation) zwei von fünf Vize-Präsidenten. Sie sind nicht nur beauftragt, Barroso in Abwesenheit zu vertreten, sondern auch, um für die Kommission im Rat für Allgemeine Angelegenheiten zu sprechen, dem wichtigsten der europäischen Ministerräte. Wenn die Verfassung ratifiziert wird, wird Sie einen dritten Vize-Präsidenten stellen, und zwar in der Person des spanischen Sozialisten Javier Solana, dem zukünftigen Außenminister der Union.
Unter den anderen fünf der Linken zugesprochenen Ressorts zählt man zudem: Arbeit, Soziales und Chancengleichheit, Energie, Haushalt, Regionalpolitik; Wirtschaft und Währung (das der Spanier Joaquin Almunia verlieren könnte wenn Solana, ebenfalls Spanier, erneut der Kommission angehören wird). Dazu, wenn man ihn dazuzählen möchte, Peter Mandelson beim Handel. Sehr wichtige Ressorts für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Union.
Darüber hinaus werden Verheugen, Wallström und Spidla (Arbeit, Soziales und Chancengleichheit) jeweils eine Arbeitsgruppe zur Koordination der Kommissionsarbeit in besonders wichtigen Feldern leiten: Wettbewerbsfähigkeit, was Verheugen einen gewissen Einfluss auf die wirtschaftliche Grundrichtung der Kommission gibt, Kommunikation für Wallström, dem „Gesicht“ der Kommission; und Chancengleichheit für Spidla. Der Einfluss der Linken in der Kommission ist somit garantiert.
An der Angel der Amerikaner?
Das wichtigste Ziel der Kommission Barroso ist die Wiederbelebung des Lissabon-Prozesses, der aus der EU „die wettbewerbsfähigste und dynamischste Wissensgesellschaft der Welt“ machen will, die ihr Wachstum dank der zahlreichsten und besten Arbeitsplätze und der größten sozialen Kohäsion aufrechterhalten könne, mit dem Ziel der Vollbeschäftigung für 2010. Ein 2000 vereinbartes Ziel, von einer Mehrheit sozialdemokratischer Regierungen. Der Lissabon-Prozess beruht insbesondere auf der Entwicklung von individuellem Sozialkapital, durchaus nicht inkompatibel mit liberalen Interpretationen, einem Schlüsselkonzept des „Dritten Weges“. Das Ziel der Vollbeschäftigung bleibt eine der Hauptforderungen der klassischen Linken.
Es stellt sich folgendes Problem: Für viele Kritiker ist das Adjektiv „liberal“ gleichbedeutend mit einer Orientierung an den USA. Oder einfach die Botschaft an die USA, dass die neue Kommission gewillt sei mit der Vergangenheit zu brechen. Manche können sich schon McGreevy, Kroes und Mandelson vorstellen, wie sie europäische Schlüsselindustrien zugunsten amerikanischer Interessen verscherbeln, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Natur. Doch man sollte keinesfalls außer Acht lassen, dass auch die Europäer am Ende nicht allein über solcherlei Fragen zu entscheiden haben.
(Ultra-)liberal, die Kommission Barroso? Die „Institution“ Kommission hat schon aufgrund ihrer Kompetenzen – stärker in Ressorts wie dem Wettbewerb, im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen Markt, als in Sozialfragen, die gerade in jüngster Zeit verbissen von den Nationalstaaten als eigene Kompetenz verteidigt werden – schon immer ein eher liberales Image gehabt. Das neue Kollegium sollte eher moderate Positionen entwickeln, denn ein, wenn auch fragiles, Gleichgewicht lässt sich durchaus in ihren Reihen verzeichnen. Die Verfassung sollte die Rechte der „Sozialkommissare“ stärken, da sie die rechtliche Grundlage der Union in Sozialfragen vergrößert: Ein weiterer Grund, in einem möglichen Referendum für die Verfassung abzustimmen.
Falls die Tschechische Republik und Deutschland bei den nächsten Wahlen an die „Rechte“ fallen sollten, könnte sich die Zusammensetzung und auch die Orientierung dieser Kommission verändern. Falls Spidla und Verheugen tatsächlich ersetzt werden sollten, besteht tatsächlich Anlass zur Sorge um das derzeitige Gleichgewicht, mit möglicherweise schwer wiegenden Konsequenzen für das europäische Sozialmodell.
Translated from (Trop) Libérale, la nouvelle Commission ?