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Eine Kindheit in der DDR: Segen oder Fluch?

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Westler nehmen in der Regel an, dass eine Kindheit in der DDR eher problematisch gewesen sein müsse. Fest steht, dass ostdeutsche Kinder weniger Spielzeuge hatten und nicht so oft in den Urlaub fuhren. Ob dies zu einer unglücklicheren Kindheit führte, sei dahingestellt. Eik, 29 Jahre alt, hat seine Kindheit in der DDR auf jeden Fall genossen.

© Bruno van den Elshout„Ich wurde 1978 geboren und verbrachte meine Kindheit in Penig, einer kleinen Stadt im südlichen Teil Ostdeutschlands. Mein Vater arbeitete in einer Fabrik, meine Mutter in einem Geschäft. Wir wohnten in einem typisch ostdeutschen Wohnblock, wie die meisten ‚normalen’ Leute in dieser Zeit. Das politische System, in dem ich damals lebte, war mir nicht sonderlich bewusst. Ich begann erst in meinem späteren Leben darüber nachzudenken, als ich merkte, wie sehr sich der sozialistische Osten vom Westen unterschied.“

Die Pionierbewegung für die Jüngsten

© [martin] /flickr„Schulen waren in der DDR nicht nur Ausbildungsstätten im engeren Sinne des Wortes. Neben dem regulären Unterricht wurden ‚Pionier-Nachmittage’ zu unterschiedlichen Themen organisiert. Diese Aktivitäten dienten der ersten Vorbereitung, um später ‚gute sozialistische Bürger’ zu werden. Ich konnte es damals kaum erwarten, Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zu werden, aber das geschah nie: Das Regime brach zusammen, bevor ich an der Reihe war. In der Schule lernten wir auch die Grundlagen des sozialistischen Umgangs miteinander, einschließlich des richtigen Grüßens. Jeden Morgen, wenn der Lehrer den Klassenraum betrat, mussten wir aufstehen. Er rief dann ‚Seid bereit!’ worauf wir mit ‚Immer bereit!’ antworteten. Es gab nur einen Lehrer bei uns, der nicht diese Regel befolgte: Er grüßte uns einfach, indem er ‚guten Tag’ sagte. Wir fanden ihn deswegen ziemlich cool.“

Arbeit und Reisen

„Die Volkseigenen Betriebe (VEB) unterhielten Sportvereine und stellten auch Urlaubsplätze bereit. Sie organisierten auch Ferienlager für die Kinder ihrer Beschäftigten. Ich und meine Familie reisten häufig in die Tschechoslowakei. Einmal schafften wir es aber, bis nach Ungarn zu fahren. Weiter entfernte Ziele schienen für Parteimitglieder vorbehalten zu sein, die dann nach Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien reisen konnten. Die Freikörperkultur oder FKK war so etwas wie die ostdeutsche Antwort auf die eingeschränkte Reisefreiheit. FKK bedeutete im Grunde, dass sich Menschen entblößten, um ihre Freiheit auszuleben. Große Teile der FKK-Tradition verschwanden nach der Wiedervereinigung, wobei man in Ostdeutschland immer noch ausgewiesene FKK-Strände an der Ostsee finden kann.

Die Vorstellung, dass Ostdeutsche nichts über Westdeutschland wussten, ist ein Mythos. Auch vor 1989 konnten die meisten Haushalte westdeutsche Fernsehkanäle empfangen. Sehr viele Menschen taten das – auch meine Eltern. Allerdings waren sie so vorsichtig, nicht mit jedem darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Ostdeutsche wussten natürlich, dass Westdeutsche größere Autos und schönere Häuser hatten. Im Westen gab es dafür aber auch Arbeitslosigkeit und Armut. Bei uns gab es keines dieser Extreme.“

Die Wende

© phillygdr /flickr„1989 war ich 11 Jahre alt. Die Wiedervereinigung Deutschlands fiel mit anderen Veränderungen in meinem Leben zusammen. Der politische Wandel im Land bedeutete für mich persönlich zunächst keinen großen Bruch, da sich für mich gerade durch den Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium ohnehin viel veränderte. Bei mir vermischte sich der politische Wandel mit einem natürlichen Übergang vom Kind zum Jugendlichen. Die Jahre nach diesem magischen Moment sind etwas schwieriger zu beschreiben. Ab 1989 glich sich Ostdeutschland nach und nach dem westdeutschen Lebensstandard an. Ostdeutsche strebten verstärkt nach materiellem Wohlstand. Meine Familie und ich zogen, sobald es uns einigermaßen möglich war, aus dem grauen Wohnblock, in dem wir lebten, aus. Es galt die Devise: Das Leben beginnt von Neuem.“

Gegenwart und Zukunft

© phillygdr /flickr„Zu sozialistischen Zeiten war eine Arbeitsstelle so etwas wie ein Projekt auf Lebenszeit. Der Wandel ließ von dieser Gewissheit nicht mehr viel übrig: Die Menschen mussten die Stellenkürzungen als eine Folge des Fortschritts hinnehmen. Seit einiger Zeit beginnen jedoch Ostdeutsche, die nicht vom Wandel profitieren konnten, nach der Rückkehr sozialistischer Werte zu rufen. Ihre ‚Ostalgie’ geht so weit, dass sie die negativen Aspekte des Regimes ausblenden und ausschließlich die teilweise realisierten Ideale betonen. Für mich stehen eher die positiven Aspekte der Entwicklung im Vordergrund. Ich habe Politikwissenschaft studiert und bin durch Europa gereist – ich habe auch im Ausland gelebt. Ich bin in der Lage aus Optionen zu wählen, die meine Eltern niemals hatten. Es ist nicht mehr das System, das über meinen Weg entscheidet, ich bin es selbst! Und ich bin bereit die Chancen meiner Freiheit zu nutzen.“