Ein Triumph für die Hezbollah
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Im Westen gilt die Hezbollah als terroristische Gruppierung, im Libanon sehen viele sie als Verteidiger der nationalen Unabhängigkeit. Politische Partei, militärische Gruppe, religiöse Bewegung und karitative Organisation ist die Hezbollah vieles, vor allem aber eine bedeutende Macht. Eindrücke aus dem Libanon.
Juli 2008 im Libanon
Ein Fahnenmeer in gelb und grün, ein ganzes Stadium in den Farben der Hezbollah. Zehntausende sind am Abend dieses 16. Julis in den Süden Beiruts gekommen, um den Austausch der Gefangenen zwischen Israel und dem Libanon zu feiern, Hunderttausende haben sich vor den Fernsehern eingefunden, um die Übertragung in Al Manaar, dem Sender der Partei Gottes zu verfolgen. Aus den Straßenbistros, aus den Eckläden, aus den Hotellobbys erschallen bis spät in die Nacht die Siegesreden. Kaum ein Land, da die Politik so präsent wie im Libanon, doch selbst hier ist der Gefangenenaustausch ein Ereignis.
Es ist ein Triumph für die Hezbollah, der weit über den Kreis der Islamisten hinaus gefeiert wird. Mehr als 1200 Toten auf libanesischer und 160 Toten auf israelischer Seite hatte der Krieg zur Befreiung der beiden im Sommer 2006 von der Hezbollah entführten israelischen Soldaten zur Folge gehabt. Die Luftangriffe der Israelis hatten die nach dem Bürgerkrieg eben erst wieder aufgebaute Infrastruktur weitgehend zerstört. Am Ende jedoch war es weder gelungen, die Hezbollah auszuschalten, noch die gefangenen Soldaten zu befreien.
Eine bittere Niederlage für Israel
Und nun, zwei Jahre später, ist Israel gezwungen, einem Austausch zuzustimmen, dessen Bedingungen kaum ungünstiger sein könnten. Fünf Kämpfer der Hezbollah und die Leichen von 180 im Kampf gefallener Libanesen, um am Ende zwei Särge mit den sterblichen Überresten ihrer Soldaten zu erhalten. Eine bittere Niederlage für Israel, ein großer Erfolg für die Hezbollah. Der Held des Abends ist Samih Kontar, Symbol des Widerstands für die einen, Beweis der Grausamkeit für die anderen. Heute ein gealterter Mann mit Schnauzbart.
1978 soll er bei einem Kommandounternehmen in Israel drei Zivilisten ermordet haben, darunter ein vierjähriges Mädchen, dem er, so wird behauptet, den Schädel mit seinem Gewehr eingeschlagen hat. Er streitet alles ab, 28 Jahre hat er in Israel in Haft verbracht. Was damals geschehen ist, bereut er nicht. Auch nicht der Tod des Mädchens. Noch tagelang wird sein ausdrucksloses Gesicht auf den Bildschirmen und in den Zeitungen zu sehen sein, sein Porträt an allen Hauswänden der schiitischen Viertel Beiruts.
Schüsse zur Feier ihres Sieges
Schon am Vortag hatte sich in Baalbek, der Hochburg der Hezbollah im Bekaatal, der Gefangenenaustausch angekündigt. Am halben Nachmittag hatten Schüsse die Stille zerrissen, bald hallten Gewehrsalven und Explosionen von den Bergen wider, Rauchwolken stiegen über den Dächern auf. Was wie ein Feuergefecht klang, war nur die Art der Hezbollah, ihren Sieg zu feiern. In Baalbek ist die Hezbollah überall. Auch nach dem Abzug ihrer syrischen Verbündeten im Frühjahr 2005 ist ihre Stellung ungeschwächt.
Grün-gelbe Fahnen und Plakate ihrer Märtyrer hängen von allen Laternenmasten. Von den Hauswänden grüßt das bärtige Porträt Hassan Nasrollahs und selbst am Eingang des Baal-Tempels, der großen Sehenswürdigkeit der Stadt, haben die Islamisten einen Propagandastand aufgebaut. Und doch tragen die Frauen hier farbenfrohe Kopftücher anstatt der in Syrien so verbreiteten schwarzen Schleier, die Männer sind glatt rasiert, an der Straße wird offen für Heineken geworben.
Fest in der Hand der Hezbollah
Wenige Tage später im Südlibanon: Ein Checkpoint der libanesischen Armee und der UN-Schutztruppe markiert den Zugang zum Grenzgebiet. Direkt davor ein Banner der Hezbollah, um den letzten Zweifel zu zerstreuen, wer hier wirklich die Kontrolle hat. Seitdem die Hezbollah nach einem jahrelangen Guerillakrieg die israelischen Besatzer und ihre Verbündeten von der South Lebanese Army (SLA) im Jahr 2000 zum Rückzug gezwungen hat, ist der Südlibanon fest in ihrer Hand.
Nach dem Abzug der Besatzer hat sie zur Erinnerung an die Schreckensherrschaft in Khiam, nicht weit von der israelischen Grenze, in einem früheren Gefängnis der SLA ein Museum eingerichtet. Zehn Menschen sind in dem befestigten Lager angeblich zu Tode gefoltert worden. Heute empfängt den Besucher am Eingang ein Schild ‚The prison is open’, doch hinter dem Gittertor finden sich nichts als Haufen geborstenen Betons, verbogenen Metalls, in der Mitte des Hofes eine Reihe ausgebrannter Militärfahrzeuge.
Bier statt Bart im Land der Partei Gottes
Israel hat im Sommer 2006 den Krieg genutzt, dieses Mahnmal ihrer Schande zu beseitigen. Kaum etwas ist vom einstigen Lager geblieben, um an die Lebensbedingungen der Gefangenen zu erinnern, die hier zu acht, zu zwölft in engen Zellen wohnten, ein Loch im Fußboden als Toilette. Noch stehen einige der Bettgestelle, Laken auf den Matratzen, als hätten die Bewohner erst kürzlich den Raum verlassen, doch die Decke ist unter der Wucht der Bomben zerrissen und zersplittert.
Auf dem Rückweg nach Beirut bleibt das Sharetaxi an einer Kreuzung stehen. Die Straße ist voller Menschen mit Fahnen der Hezbollah. Ein Konvoi nähert sich, vorneweg ein schwarzer Jeep, am Fenster ein bärtiger Mann, der der Menge zuwinkt. Es ist einer der fünf Kämpfer der Hezbollah, der nun in seine Heimatstadt zurückkehrt. Unbeteiligt sieht der Fahrer des Taxis dem Konvoi nach, trinkt das Bier aus, das er in Khiam am Kiosk gekauft hat, und wirft die leere Flasche auf die Straße hinaus. Libanon: Land der Widersprüche.