Ein bisschen öko: Warum wir weniger nachhaltig leben, als wir denken
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Nachhaltigkeit ist in. Wir kaufen Bio-Joghurt, trennen akribisch unseren Müll und lassen kein Wasser beim Zähneputzen laufen. Aber ganz ehrlich - eigentlich sind wir inkonsequent. Denn wir jetten auch mal eben mit dem Billigflieger durch Europa, können den neuen Turnschuhen nicht widerstehen und essen im Winter Tomaten. Warum also sind wir im Kopf umweltbewusster als in der Realität?
Die Verbraucherstudie Greendex zeigt, dass die Europäer weniger nachhaltig leben als gedacht. Gerade die Deutschen halten sich selbst für umweltfreundlich, landeten aber nur auf Platz 12 von 17 untersuchten Ländern. Abgefragt wurden beispielsweise Energieverbrauch, Verkehrsmittelnutzung und Herkunft der Lebensmittel. Inder, Brasilianer und Chinesen belegen die vorderen Nachhaltigkeitsplätze. Daran wird deutlich, dass Menschen in Schwellenländern umweltfreundlicher leben, obwohl sie keine Autos mit Katalysatoren fahren oder Bioprodukte kaufen. Der Lebensstandard bestimmt also darüber, wie stark wir unsere Umwelt mit unserem Konsum belasten.
Das gilt auch innerhalb Deutschlands, erklärt Ulf Schrader, Nachhaltigkeitsexperte von der Technischen Universität in Berlin: „Nachhaltiger Konsum wird vor allem von den Ärmsten betrieben.“ Das leuchtet ein, denn sie haben kein Geld für Flugreisen, ein großes Auto und die neuesten technischen Spielereien. Wenn Nachhaltigkeit also nichts mit Reichtum zu tun hat - womit dann?
Jedes Produkt hat seinen Preis
Zeit, den Begriff des nachhaltigen Konsums unter die Lupe zu nehmen. Nachhaltig Leben, nicht mehr zu verbrauchen, als die Erde hergibt. Ein nachhaltiges Produkt muss nicht nur wirtschaftlich sein, sondern auch fair und umweltfreundlich. Mit jeder Tiefkühlpizza, jedem Computer kaufen wir ein Produkt, dessen Herstellung eine bestimmte Menge an Energie und Rohstoffen gekostet hat. Die oftmals günstigen Preise spiegeln das nicht wider. Wie kann ein 5 Euro-T-Shirt Material-, Verarbeitungs- und Transportkosten decken? Ganz zu schweigen von den indirekten Kosten durch Pestizide, CO2-Belastung und die Armut der Näherinnen.
Wir verschließen also unsere Augen vor dem Missverhältnis von Kosten und Preis. Melanie Jaeger-Erben, Mitarbeiterin am Zentrum für Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin, hat eine ganz simple Erklärung dafür: „Bei vielen Menschen ist nachhaltiger Konsum nicht alltagstauglich“. Denn wer wirklich eine bewusste Entscheidung treffen will, muss viel Aufwand betreiben, um alle Informationen zusammenzutragen. Die Psychologin fand heraus, dass nachhaltige Entscheidungen leichter fallen, wenn sie im Alltag sowieso praktischer sind: „Bus oder Fahrrad nehmen geht schneller, der Wochenmarkt mit regionalen Produkten ist gleich um die Ecke, wenn man den Schlafwagen nach Paris nimmt, ist man am nächsten Tag fitter für die Stadterkundung“.
Wunsch und Wirklichkeit
Dass Ideale und Realität oft auseinander klaffen, stützen auch die Erkenntnisse von Deutschlands zentraler Umweltbehörde. Das Umweltbundesamt untersuchte 2010 in einer Studie das Umweltbewusstsein der Deutschen. Dabei schaffte es die Umwelt unter die drei wichtigsten Politikthemen. Die Ansprüche an Wirtschaft und Politik sind hoch: 85 Prozent der Befragten wünschen sich den Ausbau erneuerbarer Energien. Trotzdem beziehen nur acht Prozent der hiesigen Haushalte Ökostrom. Zwei Drittel der Deutschen halten ihr Konsumverhalten für wichtig, dennoch will die Hälfte nicht mehr für nachhaltige Produkte ausgeben. Aktiv für den Umweltschutz sind vor allem Jüngere. 12 Prozent der unter 29-Jährigen gaben an, sich für die Umwelt zu engagieren. Denn der Einsatz für die Natur ist über das Internet einfacher geworden und hat stark an gesellschaftlichem Ansehen gewonnen.
Dennoch ist unsere westliche Welt weiterhin vom Konsum geprägt. Eine neue Jeans, ein Besuch im Wellnessbad, ein Wochenende in London sind niemandem vorzuwerfen. Denn jede dieser Aktivitäten verbraucht Ressourcen, ohne dass sich dies im Alltag konkret niederschlägt. Klimawandel, CO2-Ausstoß oder Kinderarbeit sind Konsequenzen, die für die Verbraucher nicht direkt sichtbar sind.
Warum ändern wir nichts?
Gute Vorsätze reichen also nicht, um unser Verhalten zu ändern. Aufgerüttelt werden wir durch einschneidende Ereignisse. Dazu zählen etwa die Skandale um dioxinverseuchtes Tierfutter, zuletzt in Deutschland Ende 2010 und Anfang 2011 zu beobachten. Plötzlich wollen alle wissen, wie genau Schnitzel und Frühstücksei hergestellt werden. Genauso schnell wie das öffentliche Interesse aufgetaucht ist, ebbt es auch wieder ab, wir fallen in alte Gewohnheiten zurück.
Tiefgreifende Änderungen unserer Lebensverhältnisse sind nötig, um uns bei einem so unübersichtlichen Thema wie der Nachhaltigkeit umdenken zu lassen. Eine Krankheit, der Umzug in eine neue Stadt oder die Geburt eines Kindes zählen dazu. Jaeger-Erben untersuchte in ihrer Doktorarbeit, wie sich solche Ereignisse auf Kaufentscheidungen auswirken. „Die befragten Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes eher knapp bei Kasse sind, haben alle Bio-Produkte gekauft. Ihnen war das in dem Moment einfach wichtig und keiner von ihnen hat über die hohen Kosten geklagt“.
Ob ein nachhaltiges Leben also gleichbedeutend mit Verzicht ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn wer Shoppen mit Lebensfreude verbindet, ist kaum bereit, sich einzuschränken und dadurch unglücklich zu machen. Die Hersteller nachhaltiger Produkte versuchen deshalb, die bewussten Konsumenten für sich zu erobern. Sie versprechen ein besseres Lebensgefühl, Selbsterkenntnis, Gesundheit und manchmal auch Geldersparnis.
Die Macht der Konsumenten
Genau dort setzt die Macht der Kunden ein. „Paradoxerweise unterschätzen Konsumenten ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten häufig. Sie haben mit ihren Einkaufsentscheidungen natürlich einen gewissen Einfluss auf das Marktgeschehen“, bestätigt Jaeger-Erben. So verhinderten deutsche Kunden 2007 durch einen Boykott der Bio-Supermarktkette Basic, dass der Discounter Lidl Anteile des Unternehmens kaufte.
Die Nachhaltigkeitsforscherin verweist aber auch auf die Grenzen der Verbrauchermacht. Damit nachhaltiges Handeln einfacher, praktischer und damit massentauglich wird, müssen sich unsere gesellschaftlichen Strukturen ändern. „So wie wir jetzt leben, wirtschaften und verbrauchen, bringt es nicht viel, wenn ein paar tausend Personen mehr oder weniger Bio-Milch kaufen“.
Fotos: Bionade (cc)formanella/flickr; Dioxin-Skandal (cc)alles-schlumpf/campact/flickr