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Ein Auslandssemester in Quarantäne

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Ein Austauschsemester stellt für viele die perfekte Gelegenheit dar um ins Ausland zu ziehen, in eine neue Kultur einzutauchen, eine neue Sprache zu lernen und Studenten aus ganz Europa zu treffen. Doch wie sieht so ein Semester während einer globalen Pandemie aus?

Ganz egal in welcher Stadt man beschließt sein Auslandssemester zu machen, manchen Eindrücke entkommt man nicht: Das Schwindelgefühl wenn man zum ersten Mal in eine Millionenstadt zieht, die intime Beziehung die man in kürzester Zeit mit Übersetzungs App eingeht sowie Abende während denen die Ortssprache mit den verschiedensten Akzenten und Redewendungen beschmückt wird.

Für Ardian Ameti war es nicht anders. Der Student in Wirtschaftsinformatik zog im Februar 2020 von Ljubljana (Slowenien) nach Kiew (Ukraine) um dort ein Auslandssemester anzugehen. Doch nach anderthalb Monaten mischten sich ganz unerwartete Eindrücke in seine Auslandserfahrung ein: der Geruch von Desinfektionsmittel in den Gängen seines Studentenwohnheims, Polizeikontrollen auf den Straßen, die Omnipräsenz von Krankenwagen und die Gerüchte, Ärzte seien beauftragt worden das neue Virus als normale Grippe abzutun.

Am 12. März war Ardian noch bei einem Fußballspiel. Ein Tag später beschloss die ukrainische Regierung alle öffentliche Veranstaltungen abzusagen. Kurz darauf entschied er sich wie zwei weitere Erasmus-Studenten in seiner Gastuniversität, das Land zu verlassen und buchte einen Flug nachhause von Warschau nach Ljubljana. „Ich schrieb der Universität um ihnen mitzuteilen, dass ich zurückreisen würde. Ich habe mich einfach nicht wohl gefühlt“, sagt er. Von Zuhause aus nahm er weiterhin an den Seminaren seiner Gastuniversität teil und beendete sein Austauschsemester Anfang Mai.

Das Abenteuer geht weiter

Einige andere Studenten entschieden sich zu bleiben. „Ich wusste, dass ich nicht alleine sein würde. Deshalb beschloss ich, das Abenteuer weiterzuführen“, so Marysia Lewinska, sie studiert Russische Philologie in Wroclaw und lernte ihren Freund während ihres Austauschsemesters in Skopje (Mazedonien) kennen. Zu diesem Zeitpunkt dachte sie es wäre sicherer zu bleiben, da es weniger bestätigte COVID-19-Fälle in Mazedonien als in Polen gab.

Ihre Mitstudentin Anna Gomza hingegen, hatte nicht die Wahl woanders hinzugehen. Als sie für ihr Studienaustausch nach Zagreb zog, kündigte sie ihre Wohnung in Wroclaw. Doch Ende März erlitt die Stadt ein Erdbeben und worauf sich Anna überlegte Kroatien doch noch zu verlassen. „Wir hatten wirklich Angst“, sagt sie. Schlussendlich gingen ihre internationalen Mitbewohner weg, ihr Freund und sie blieben.

„Ich fühlte mich sehr allein und als der Unterricht während der Quarantäne wieder begann, bekam ich Angstzustände und Depressionen.“

Martina Kvapilova aus der Tschechischen Republik blieb ihrerseits in Kaunas (Litauen), wo sie Sozialwissenschaften studierte. Anfangs konnte sie gar nicht anders denn nachdem sie im März, als das Land die Grenzen schloss, von einem Ausflug nach Litauen zurückkehrte, musste sie für vierzehn Tage in Quarantäne. Als sie ihre Wohnung wieder verlassen konnte entschied sie sich dann doch in Kaunas zu bleiben, aus Angst vor administrativen Schwierigkeiten. „Ich habe den Repatriierungsbus nicht genommen weil ich dachte, es wäre egal ob ich von zuhause oder von hier aus den Onlineunterricht verfolge“, erklärt Martina.

„Doch das war eine schlechte Entscheidung“, fügt sie bei unserem Gespräch Ende Mai hinzu. Nach einer langen, schlaflosen Reise von Kaunas über Frankfurt nach Wien, musste sie dort noch auf einen Bus warten der sie schlussendlich in ihre Heimatstadt zurückführte.

„Ich fühlte mich sehr allein und als der Unterricht während der Quarantäne wieder begann, bekam ich Angstzustände und Depressionen. Die Universität unterstützte mich zwar, zum Beispiel anhand von Webinaren aber es gab nichts neues für mich. Ich wusste bereits alles aus dem ersten Jahr meines Psychologie-Studiums.“ Der Umzug vom Studentenwohnheim in eine Wohnung half auch nicht. Während der Ausgangssperre gingen ihre litauischen Mitbewohner zurück nach Hause und sie blieb alleine. „Ich dachte mir, dass ich zu meinen früheren Mitbewohner aus dem Studentenwohnheim gehen könnte um zusammen mit ihnen Spiele zu spielen, oder einfach nur zu reden, so wie früher“, erklärt sie, „aber wenn man nicht dort wohnt, gehört man irgendwie nicht dazu.“

Hausunterricht weg von zuhause

Für die vier Studenten begann der Online-Unterricht schon nach kurzer Zeit und die Professoren passten sich dem digitalen Lernumfeld an. Einige begannen Aufgaben zu verteilen die innerhalb der üblichen Unterrichtszeiten zu erledigen waren. Ardian musste zum Beispiel ein Pluszeichen in den Gruppenchat eingeben, um seine Anwesenheit bei der Vorlesung zu bestätigen.

Die meisten Lehrkräfte begannen über Zoom zu unterrichten. Barrieren die der Fernunterricht stellte, führten auch zu unerwarteter Kreativität. Ardian kichert beim Gedanken an diese Professorin die ihre Klasse durch ihre Wohnung und anschließend in ihre Küche geführt hatte, um dort ein Souffle im Rahmen der Lehrstunde vorzubereiten.

„Ich bin der Meinung, dass der Online-Unterricht nicht so produktiv ist.“

Das neue Lernumfeld wurde zu einer Herausforderung, nicht nur für die Professoren sondern auch für die Studenten. „Professoren begannen uns mehr Aufgaben zu geben als sonst“, merkt Martina an. „Wahrscheinlich, weil die Studenten im Online-Unterricht nicht so aktiv sind, wie vor Ort an der Universität.“

Es wurde auch ermüdender. „Ich bin der Meinung, dass der Online-Unterricht nicht so produktiv ist“, sagt Marysia. „Es ist schwierig sich zu konzentrieren.“ Für Ardian wurde es auch schwieriger zu verstehen, was die Professoren genau von ihm in den Klausuren erwarteten.

Anna hingegen bemerkte, dass das Studieren von zuhause aus viel angenehmer war. „Der Unterricht ist normalerweise über den ganzen Tag verteilt und man weiß nie wohin man zwischen den Stunden gehen soll. Zuhause ist es leichter, andere Sachen zu machen.“

Auf Entdeckungsreise in den eigenen vier Wänden

Wenn man in der eigenen Wohnung eingeschlossen ist, scheint es schwierig sich zu vernetzen, aber es machte es nicht unbedingt unmöglich in Kontakt zu bleiben. Studenten, die Martina vor der Ausgangssperre getroffen hatte, brachten ihr nicht nur Dinge über ihre Kultur, sondern auch über das Leben in ihren Heimatländern, bei.

Dank ihrer Freunde und ihrem Freund erfuhr Marysia viel über den Balkan, trotz den begrenzten Reisemöglichkeiten auf der Halbinsel. Besonders viel erfuhr sie über die Geschichte des Landes und über das Essen. Außerdem konnte sie ihr Russisch verbessern indem sie sich auf Russisch mit ihren Professoren unterhielt, da sie kein Mazedonisch spricht.

Ardian ist immer noch mit seinen ukrainischen Freunden in Kontakt, vor allem über Telegram-Gruppenchats. Trotz dem kurzem Aufenthalt behauptet er viel aus seinem Austausch mitgenommen zu haben. Er möchte die Ukraine unbedingt erneut besuchen und bereisen und sei es nur um seine Sache zu holen, die er in seinem Wohnheim in Kiew liegen lassen hat.


Bilder: Veronica Snoj

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Story by

Veronica Snoj

A journalist from Slovenia, now living and working in Poland.

Translated from An Erasmus exchange under quarantine