Egoistisches Plädoyer für den Flughafen Tegel
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von Sébastien Vannier, Übersetzung Christiane Lötsch
Der Berliner Flughafen Tegel wird schließen. Das finde ich blöd. Ob mein kleines, persönliches Plädoyer ohne vernünftiges Argument die Situation kippen kann ? Nichts ist unwahrscheinlicher als das.
Der 2. Juni wird kommen. Jeden Tag etwas näher. Nicht, dass ich nicht informiert wäre, aber es ist so, ich kann mich nur schwer damit abfinden.
An diesem Tag, in dieser Nacht, um genau zu sein, wird der Flughafen Tegel seine Schiebetüren schließen und das finde ich einfach sch….und ich werde Euch auch sagen, warum.
Foto: Günter Wicker (Photur), Berliner Flughäfen, 2008
Erstens : Der Flughafen Tegel war das Erste, das ich bei meinem ersten Besuch in Berlin gesehen habe. Das war zu einer Zeit, als ich noch jung war. Zu einer Zeit, als Frankreich noch Fußballweltmeister und die Linke sowohl in Frankreich als auch in Deutschland an der Macht war (ja, ja, ich sehe Euch nachrechnen. Sagen wir so, es ist einfach lang her). Nicht, dass ich nostalgisch wäre, aber trotzdem, es war mein erstes Mal. In Berlin.
Zweitens : Tegel ist MEIN Flughafen. Wir vergessen jetzt mal Tempelhof, den ich nie wirklich gekannt habe, außer einmal, als er schon außer Betrieb war. Moi, ich bin ein Weddinger. Wedding (französisch ausgesprochen védïng), ist der noch nicht gentrifizierte Bezirk im Norden der Stadt. Deshalb sehe ich eine Unmenge von Flugzeugen vorbeifliegen, jeden Tag. Wenn ich mich ein bißchen aus dem Fenster lehne, kann ich sagen, ob der Typ mit der Krawatte auf Sitz 23F den süßen oder den salzigen Snack gewählt hat. Wenn Zeit und Verkehr miteinander harmonieren, brauche ich 18 Minuten (Den Rekord müsst Ihr erstmal schlagen !), um zum Flughafen zu kommen. Wenn man in der letzten Minute aus dem Haus geht (ach, ich doch nicht…) oder total fertig von einer Reise zurückkommt, ist das schon ziemlich genial. Und nein, weder meine Wände noch mein Trommelfell sind durch den Lärm beschädigt worden.
Foto: Günter Wicker (Photur), Berliner Flughäfen, 2008
Drittens : Tegel ist ein Flughafen mit übersichtlicher Größe. Das bedeutet nichts, aber ich sage es trotzdem. Keine unendlichen Flure (ich spiele hier überhaupt nicht auf einen bestimmten Flughafen an), um von Halle 2D nach Halle 2F zu kommen, die theoretisch gesehen nebeneinander liegen müssten. Kein stundenlanges Warten, dass Dir den Schweiß auf die Stirn treibt, weil vielleicht Dein Gepäck nicht angekommen ist.
Viertens : Tegel ist immerhin der Flughafen im ehemaligen französischen Teil von Berlin. Ich bin überhaupt nicht nationalistisch, aber wenn Du Deine Freunde aus Frankreich abholst und mit dem Bus an der « Rue Aristide Briand » oder dem Kino « L’Aiglon » vorbei fährst, vereinfacht das den Übergang von Frankreich nach Deutschland erheblich. Nicht wie an dem anderen Berliner Flughafen, wo einen das Plakat « kriminelle Ausländer, raus ! » willkommen heißt.
Kommen wir zum anderen Flughafen. Es ist zwar nicht sehr nett, eine komplett subjektive Lobrede zu halten, ohne ein einziges vernünftiges Argument zu haben, trotzdem darf man nicht vergessen, genauso unbegründet, auf dem Rücken des Gegners herumzureiten.
Schönefeld ? Ein Witz, sage ich Euch. Schönefeld ist die Endstation einer S-Bahn. Und diejenigen, die Berlin kennen, werden verstehen : Die Endstation einer S-Bahn ist das Ende der Welt. Wie Erkner. Oder Henningsdorf. Ortsnamen, die wie Stadtmythen klingen. Jeder kennt sie, weil sie auf den Bahnhofsschildern stehen, aber niemand ist jemals wirklich dort gewesen. Also : Schönefeld, das liegt am Ende der Welt. Vor allem, wenn Du aus Wedding kommst. Wenn Zeit und Verkehr nur suboptimal miteinander harmonieren, brauchst Du 1h45 für den Weg. Und wenn Du einmal die paranormale Erfahrung gemacht hast, dass die Strecke Berlin-Berlin länger dauert als Paris-Berlin, versinkst Du in eine tiefe Raum-Zeit-Depression. Und ich meine, « wenn der Verkehr gut läuft ». Das ist Definitionssache. Wenn man nach Schönefeld fährt, gibt es immer eine kleine Tücke. Ein kleiner Pendelverkehr aus dem Nichts heraus. Ein gestohlenes Kabel auf den Gleisen. Kurz, das normale S-Bahn-Chaos.
Foto: Günter Wicker (Photur), Berliner Flughäfen, 2006
Ihr lacht, aber stellt Euch die Situation vor : Besuch aus Frankreich. Flug mit einer Low-Cost-Line, deren Namen ich nicht nennen werde. Blöde Ankunftszeiten, sagen wir 22h40 in Berlin. Verspätung inbegrifffen (was, welche Verspätung… ?), 23h15. « Sag’ mal, kommst Du mich abholen ? ». Ihr braucht drei Stunden für den Weg, die S-Bahn ist kaputt oder streikt, die letzte U-Bahn habt Ihr gerade verpasst, Ihr nehmt also den Ersatz-Ersatzverkehr, der das Zahnfleisch bluten lässt, und außerdem regnet es. Ihr verbringt ein scheiß Wochenende, weil Ihr zu wenig geschlafen habt, Ihr habt Euch eine Erkältung eingefangen, als Ihr auf den Bus gewartet habt und streicht Euren Freund von der Facebook-Liste. Jawohl, das ist die brutale Wirklichkeit von Schönefeld. Ihr glaubt, dass ich übertreibe ?
Und glaubt Ihr wirklich, dass der neue Flughafen am 3. Juni fertig sein wird ? Ich jedenfalls nicht, ich bleibe bei meiner Meinung, aber die kennt ihr ja schon. Weil es Berlin ist, weil es Schönefeld ist, das Ganze wird in den Sand gesetzt, ich sag’s Euch. Die Landebahn wird zu kurz sein, die Rolltreppen werden still stehen, die Sitze zu Lounge-mäßig, die Sicherheitskontrollen chaotisch und die Türen nicht breit genug. Ich weiß jetzt schon, wie das wird.
Und nun ? Was machen wir mit einem neuen, leeren Flughafen ? Drachensteigen mit Inliners an de Füßen ? Strandsegler fliegen lassen ? Hausrentiere aufziehen ? Ein Yogging-Platz (das bedeutet yoga-joggen) ? Also, meine Lieben, macht keine Blödheiten, ich bin sicher, wir können uns einigen. Bis zum 2. Juni müssen wir eine Lösung finden. Ich biete Euch 100 Miles Air Berlin und wir vergessen das Ganze einfach !