Dublin: Zwischen Scheren und Saiten
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Lara HampeDublin ist eine Stadt voller Leben, an jeder Ecke steht ein Musiker, in jeder Bar fängt gerade ein Konzert an oder irgendjemand packt seine Geige aus, während man auf den Bus wartet. Der ist hier zweistöckig: blau und gelb.
Das ist also die liebenswürdige Seite Dublins, die kosmopolitische Seite. Am liebsten würde man in Dublins Klängen spazieren gehen und nur zuhören. Dublin und der Geruch von Gras, Pub, Meer; Dublin und sein Rock’n’Roll, Blues, Folk; Dublin und die Möwen, der Geschmack von Whiskey und dunklem Bier. Die Stadt kann sich aber auch als lästig herausstellen, aggressiv dem Besucher gegenüber. Die Mauern im Stadtzentrum sind mit unangenehmen Anti-Abtreibungsplakaten beschlagen, man begreift hier sehr schnell, wo Gute und Böse ist.
Spricht man mit einem Einwohner in der Lord Edward Street (Zentrum des historischen Wikinger-Dublins) über das neu gewählte Abtreibungsgesetz, redet der nicht lange über den heißen Brei herum: Er ist gegen Abtreibung. Ein paar Minuten später kommen Nachbarn dazu und mischen sich ins Gespräch ein – mit einer ganz anderen Meinung. Die Szene würde ein gutes Foto vom aktuellen politischen Puls der Stadt abgeben, weil die Iren gerne reden, ihre Meinung offen sagen.
Bye Bildungsbudget
Die Wahrheit ist aber, dass in einem Teil der irischen Gesellschaft gerade ziemliches Unbehagen herrscht, besonders unter den Progressisten. Die Regierung hat entschieden, ziemlich heftig in die Haushaltspolitik einzuschneiden. Und dafür fiel ihr nichts Besseres ein, als ebendiese Einschnitte ab 2014 mit der großen Schere in der Bildungspolitik vorzunehmen. Eine ziemlich geniale Idee für die Zukunft des Landes und die Entwicklung der Jugend. Die Auswirkungen kann sich jeder selbst zusammenreimen – gestrichen werden unter anderem Subventionen für die Instandhaltung der Schulen und Hilfskräfte für Förderunterricht. Auf eine immer größer werdende Anzahl Schüler kommen immer weniger Lehrer. Im Ganzen seien es 20 soziale Errungenschaften, die die irische Regierung derzeit niedersäbele, so John Holoan, Verantwortlicher für Kommunikation der NGO für Bildung, Educate Together.
Die Zahlen sprechen für sich, und im Allgemeinen sind sie objektiv. Sie lassen sich nicht wie Menschen von den Worten eines Politikers einfangen oder einem politisch engagierten Zeitungsartikel. Wo führt das hin, wenn eine Gesellschaft sich nicht auf ihre Bildungspolitik und Kultur stützen kann? Im institutionellen Sektor Irlands sind mittlerweile viele pessimistisch, ein ziemlicher Kontrast zu den lebenslustigen Straßenszenen in Dublin. Schnell holt einen jedoch die Realität ein, wenn man über schlecht verlegten Teppichboden läuft und dem ein oder anderen Krawattenträger heuchlerisch die Hand schütteln muss.
„Die Sparpolitik tut der irischen Gesellschaft nicht gut. Die da oben am Machthebel sitzen sehen das Land als bloßen Wirtschaftsraum und erst danach als eine Gesellschaft. Was die Bildung anbelangt, ist das Geld wohl wichtiger als die Zukunft der Jugend“, bedauert Fintan O’Mahony, Englisch-, Geschichts- und Politikwissenschaftslehrer.
Stimmung im Keller
Fintan ruft mir die Neuigkeit über die Lehrergehälter zurück in Erinnerung, die um 14 bis 20 Prozent gesunken sind. Die Stimmung ist im Keller. Der einzige Ausweg, den junge Iren sähen, sei die Flucht aus dem Land und ein Job, wo auch immer. Die Globalisierung habe es aber bis jetzt noch nicht geschafft, uns davon zu überzeugen, dass es anderswo leichter ist, sein Brot zu verdienen. Die sollen uns doch bitte Beschedi sagen, wenn es soweit ist, schmunzelt er.
„Ich glaube, dass die jungen Iren immer noch sehr optimistisch denken, dennoch bedeutet es eine Menge Arbeit, um ihnen einen stabilen Job bieten zu können – und genau das wird benötigt, damit sie sich ihre Selbstsicherheit und Zukunftsperspektiven bewahren können“, stellt John klar. Was bliebe ihnen denn sonst noch? Hier scheint es, dass alle schon in andere Länder verschwunden sind, bis auf die wenigen, die mit Gitarre oder Ukulele noch auf der Straße stehen.
Ins kalte Wasser springen
In einem der vielen Cafés um die Dawson Street herum kann man sich ein Bild vom jungen Dublin machen. Zwischen Studenten, Touristen und Musikern mit Klingelbeutel und den Neugierigen, die noch den Geschmack vom letzten Fish and Chips im Mund haben, sitzt Alonso. Er studiert an der Hochschule für Zeichentrickfilm und erzählt von seinen Problemen, in der irischen Hauptstadt überleben zu können. „Studiengebühren sind für die Iren billiger als für uns Ausländer. Die Trickfilmwelt wurde zwar noch nicht von der Krise eingeholt, aber überhaupt erst einmal in dieser Industrie Fuß zu fassen, ist schier unmöglich“, bedauert der lustige Spanier aus Malaga. Er sagt, er würde kämpfen, um seinen Traum zu verwirklichen, egal welche Grenzen er dafür überwinden müsse.
Unterdessen wird man das Gefühl nicht los, dass alle Sorgen, Abenteuer und Vorschläge der jungen Dubliner, ob nun Iren oder nicht, ziemlich diffus und vor allem nicht an die Regierung gerichtet sind. Die Schließungen von Hochschulen, Demonstrationen und die Unsicherheit der Zukunft – all das hängt in der Luft, wenn man durch die Gänge von egal welcher schulischen Einrichtung streunt. Nur in wenigen Ecken verbreitet sich noch ein Parfüm des Optimismus – von denen ausgehend, die noch daran glauben, dass auf der grünen Insel alles möglich ist.
Ich spreche mit David, der Musikmanagement studiert hat – an einer der Schulen, die nächstes Jahr wegen finanziellen Gründen geschlossen werden sollen. Seinen Master hat er in München gemacht. Er ist traurig über die Lage, nur in Deutschland hätte er vielleicht eine Chance, sich über Wasser zu halten. Sich selbst bezeichnet er als einen Träumer, gleichzeitig sagt er: „Scheiße, vielleicht ist diese Krise aber auch eine Möglichkeit, Großes zu schaffen.“ David ist für Bildung, vor allem aber auf kreativen Niveau – genau die, von der die irische Regierung nichts mehr wissen will.
In Dublin stößt man aber auch auf Leute, die es immer noch nicht fassen können, was hier gerade passiert, wie die Sängerin Wallys Bird. Sie lebt irgendwo zwischen London, München und Dublin und fängt an zu halluzinieren, wenn sie daran denkt, wie viele Schulen bald geschlossen werden. Sie denkt vor allem an die vielen Talente, die dabei auf der Strecke bleiben. „Bildungsinstitutionen stillzulegen ist eine der dümmsten Entscheidungen, die ich je erlebt habe, man müsste die Uni ganz einfach neu erfinden!“, ruft sie aus. Sie hat festgestellt, dass der beste Weg immer noch der nicht-offizielle ist. Anstatt sich mit dem amtlichen Weg geschlagen zu geben, plädiert sie für Eigeninitiative: „Um deine Kunst zu perfektionieren, musst du auf deiner Strecke lernen, deine eigene Familie zu sein, sowie deine Kunst und deinen Stil zu kennen.“ Diese Lebensphilosophie findet man dann auch im irischen Kulturgut und bei Bands wie Villagers, Lisa Hannigan oder Little Green Cars wieder.
Inmitten des Bohème- und Touristenambiente in der Temple Bar treffe ich Eric und Dave, zwei Musiker, die mich an The Band erinnern. Wir diskutieren über ihre Musik, die sie immer mittwochs und freitags auf einem Platz zwischen Bier und Banjos spielen. Ihre Meinung, wie sie mit ihrer Musik leben, ist gespalten. „Auch wenn man uns irgendwann den Geldhahn zudreht, unsere Kultur nimmt uns keiner weg!“
Vielleicht war das schon immer die Lösung.
Dieser Artikel ist Teil der Reportagereihe EUtopia on the ground, die jeden Monat die Frage nach der Zukunft Europas aufwerfen soll. Dieses cafébabel-Projekt wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium, der Fondation Hippocrène sowie der Charles Léopold Mayer-Stiftung unterstützt.
Translated from Entre la tijera y las cuerdas