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Dublin: Warum 862.415 Iren Europa einen Korb gegeben haben

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Politik

Der Mangel an Information und die Angst vor Veränderungen waren angeblich ausschlaggebend für das klare Nein an Europa.

© Europäische KommissionDie Iren scheinen sich genau erklären zu können, warum 862.415 ihrer Landsleute 'Nein' zum EU-Vertrag gesagt haben. Eine kurze Unterhaltung mit den Landsleuten der grünen Insel genügt, um die Gründe dafür zu verstehen. "Zugegebenermaßen war die Oppositionskampagne sehr gut organisiert, während es den Befürwortern in ihrer Kampagne nicht gelungen ist, die Leute von einem 'Ja' zu überzeugen", sagt die Rezeptionistin Clarinda Jacob. Ihr Schwager Brian Noonan, der in einer Firma für Klimaanlagen arbeitet, stimmt zu: "Der Vertrag ist einfach zu kompliziert: Sogar unser Kommissar  (seit 2004 EU-Kommissar für den Binnenmarkt und den Dienstleistungssektor, A.d.R.) hat zugegeben, dass er den Vetrag beim Lesen nicht verstand."

Viele erwarten nun ein neues Referendum, wie bereits im Jahr 2001, als die Iren den Vertrag von Nizza zunächst abgelehnt und ihn dann ein Jahr später bestätigt haben. Auch die 30-jährige Italienerin Francesca Manunza, die seit zwei Jahren in Dublin lebt und arbeitet, ist skeptisch: "Ich frage mich, wie viele von den Leuten verstanden haben, worum es bei der Abstimmung ging. Ich habe die Broschüre zum Referendum, die von der Kommission auf Gälisch und Englisch zur Verfügung gestellt wurde, gesehen und fand sie ziemlich unklar."

'Viele geben ganz offen zu, nicht zur Abstimmung gegangen zu sein, da sie nicht wussten, worum es eigentlich ging.'

Desinformation! Da sind sich die Dubliner einig: Viele geben ganz offen zu, nicht zur Abstimmung gegangen zu sein, da sie nicht wussten, worum es eigentlich ging. Die Argumente der Euroskeptiker waren eindeutiger: Das Ende der Souveränität, die Legalisierung der Abtreibung, Gefahr für die irische Neutralität, Einwanderungsfragen und die Angst vor einer Renaissance der Nuklearenergie waren zentrale Themen in der Kampagne von Sinn Féin, der einzigen im Parlament vertretenen Partei, die sich klar für ein Nein ausgesprochen hatte. Am gleichen Strang zog die Plattform Libertas des Politaktivisten Declan Ganley, der sich damit rühmte, den Vertrag gelesen zu haben, und sich für mehr Demokratie und Transparenz in der EU einsetzen will.

Hochschulstimmen

©Paul Watson/flickr

Daniel Thomas wartet an einem regnerischen Morgen im University College Dublin. Der Amerikaner mit französischen Wurzeln väterlicherseits ist Direktor des Dublin European Institute, dem irischen Forschungszentrum für Integration und European Governance und konnte Berufserfahrungen in diversen EU-Institutionen sammeln. Für ihn bestehen keine Zweifel: "Der Vertrag von Lissabon ist innovativ, weil er den Entscheidungsprozess demokratischer und transparenter für die Bürger macht. Und gerade deshalb ist es ironisch, dass der Vertrag an einem Referendum gescheitert ist." Ben Tonra, der Direktor des Hochschulinstituts und waschechter Ire, hakt ein. "In meinen Augen ist der Vertrag ein ‘bescheidenes Dokument’, aber immerhin ein Schritt nach vorne."

In meinen Augen ist der Vertrag ein 'bescheidenes Dokument', aber immerhin ein Schritt nach vorne.'

"Die Iren sind sich darüber bewusst, weniger Einfluss als die Franzosen, Italiener und Engländer zu haben, und durch den Vertrag würde ihr Einfluss noch geringer", so Thomas. Dabei darf laut Tonra jedoch nicht vergessen werden, "dass eine Theorie der Politikwissenschaft besagt, dass die Wähler vor allem konservativ sind und den Status Quo bevorzugen: Der Vertrag wurde als Veränderung präsentiert, und genau das war der falsche Schachzug."

Europa ohne Irland? 

Mangelte es also an Information? "Nicht nur das", meint Thomas, "auch das geringe Verständnis für Europa und seine Funktionen hat eine entscheidende Rolle für das Nein gespielt. Dies ist aber kein rein irisches Phänomen, und bestätigt die Euroskeptiker in ihrer Meinung." 

"Außerdem fehlt es an Vertrauen. Viele wissen zwar nicht über die nationale Gesetzgebung beziehungsweise die Aufgaben ihrer Regierungsvertreter Bescheid, halten die Regierung aber für legitim. Gegenüber den europäischen Institutionen ist das Vertrauen allerdings nicht so groß, unter anderem auch, weil viele Politiker Europa zum Sündenbock für jeglichen Misserfolg machen." Wessen Aufgabe ist es aber, die Aufklärungsarbeit zu übernehmen? "Die Regierungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten müssen ihre Bürger über Europa genauso informieren, wie sie sie über die Geschichte und die Politik im eigenen Land informieren", fordert Thomas.

Tonra kreidet die mangelnde Kommunikation an: "Man muss den Leuten nur sagen: So sieht unsere Regierung aus und so die EU, die mit unseren Regierungen zusammenarbeitet. Die europäischen Gesetze scheinen für viele jedoch etwas Fremdes zu sein, obwohl es sich um Gesetze handelt, die vorher in den einzelnen nationalen Regierungen diskutiert und abgestimmt wurden."

October, And kingdoms rise, And kingdoms fall, But you go on.

Ist ein Irland abseits von Europa vorstellbar? "Eigentlich schon, aber ich denke, dass die Iren einen Austritt aus der EU wohl mehrfach überdenken würden", so Thomas. "Nicht nur wegen der Strukturfonds, die das Land in der Vergangenheit erhalten hat. Der Wirtschaftsboom der letzten zehn Jahre hat mehrere Gründe, vor allem die Tatsache, dass Irland das einzige englischsprachige Land in der Eurozone ist, das viele amerikanische Investoren angezogen hat." "Diese Stellungnahme sei, laut Tonra, jedoch ein problematischer Präzedenzfall." Plausibel sei, dass alle Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifizieren und in Folge auch von Irland ein Ja verlangen. "October, And kingdoms rise, And kingdoms fall, But you go on. (Oktober. Die Königreiche stehen auf. Die Königreiche gehen unter. Aber du bestehst)", sang die irischen Band U2 vor einigen Jahren. Die EU scheint sich diese Worte sehr zu Herzen genommen zu haben und hat alle Entscheidungen auf das nächste Gipfeltreffen am 15. Oktober vertagt.

Translated from L’Irlanda del «no» nella voce della gente