Dreisprachige Milchtüten aus Bozen
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Eine Entdeckungsreise im europäischen Sprachenmeer kann man mit ein wenig Glück an der FU Bozen starten. Hier kommt Freud und Leid von Mehrsprachigkeit zusammen.
In der UB in Bolzano hört man einen Mix aus drei Sprachen
Während der Blick durch die Straßen von Bozen wandert, fühlt man sich wie ein Sprachschüler. Die gesamte Beschilderung gleicht einer Vokabelprüfung. Neben der polizia verteilt die Polizei die Strafzettel und der sonnendurstige Tourist bekommt im Café an der Ecke nicht nur gelato, sondern auch Eis serviert. Neben der Universität dürfen sich Studenten auch an der università einschreiben. Selbst die Stadt ist doppeldeutig: Man kann wahlweise ins Südtiroler Bozen oder das Bolzano in Alto Adige (Hoch-Etsch) einfahren.
Das zweisprachige Erbe hat die Hauptsstadt der autonomen Provinz Italiens seinen geschichtlichen Wirrungen zuzuschreiben. Die Zwangsauswanderung von Deutschen und Zuwanderung von Italienern aus dem Süden im 20. Jahrhundert brachte die heutige Vielfalt des malerischen Fleckchens mit sich, das eingespannt zwischen Österreich und Italien von beiden Kulturen profitieren kann.
"Just capisco Bahnhof"
Die Freie Universität Bozen lebt seit ihrer Gründung 1997 genau von dieser Sprachfülle: "Just capisco Bahnhof" - und jeder versteht, was gemeint ist, ohne sich als außergewöhnlicher Polyglott outen zu müssen. Neben den offiziellen Sprachen Deutsch und Italienisch wird auch dem nunmehr obligatorischen Englisch im Vorlesungssaal gelauscht. Wer sich im Fachbereich der Bildungswissenschaften tummelt, darf sich sogar zu den Ladinisch Sprechenden zählen, eine der kleinsten Sprachen Europas, die nur in Norditalien fortlebt.
Die Universität lebt von ihrer Offenheit, die sich unschwer in den Biographien ihrer Angehörigen wiederfinden lässt. Der offiziellen Universitätsstatistik zufolge sind 42 Prozent der 62 Professoren und Forscher aus dem Ausland berufen worden. Der Ruf der Uni Bozen reicht dabei bis nach Australien. Der 30-Prozent-Anteil ausländischer Studenten katapultiert die verschiedenen Nationalitäten der insgesamt 3.053 Studenten auf die stattliche Zahl von 51.
Es verwundert also nicht, dass die Mehrsprachigkeit als Hauptmotivationsgrund für die FU Bozen wie aus der Pistole geschossen kommt. "Das ist ein großer Vorteil für die Arbeitswelt", sagt Ann-Christin Gerlach, angehende Absolventin der Wirtschaftswissenschaften. "Es sind ganz andere Anforderungen. Du gehst von 'Diritto pubblico' zu 'Economics' auf Englisch und dann kommt am Abend noch mal 'Public Economics' auf Deutsch. Da muss man einfach flexibler sein."
Multilingual ist in
Das sprachliche Plus ist hörbar: "Das ist der Wahnsinn, dass die so schnell wechseln können", erzählt Franzisca Pritzl, Würzburger BWL-Erasmusstudentin, mit glänzenden Augen. Sie verweist auf jene sprachgewandten Kommilitonen, die ihren Kaffee auf Italienisch bestellen, ihren Prof auf Englisch grüßen und nebenbei in einer deutschen Zeitung blättern. Wie man sich dabei im Sprachgewirr zurechtfinden kann, ist gar nicht so schwer. "Es ist ein Spiel, das man spielen kann", sagt Professorin Baroncelli. Sie verrät, dass Italiener am besten an ihrem Modestil zu erkennen sind. 300 Sonnentage und Skipisten in 20-Minutennähe sind neben der gelebten Dreisprachigkeit in Bozen ein weiteres Plus.
Gelebt werden jedoch nicht nur die Vorteile, sondern auch der triste Alltag. Welche Identität hat die Freie Universität Bozen? Welche Kultur setzt sich durch? Läuft sie nicht Gefahr zu einer neutralen Plattform mit intensivem Sprachunterricht zu werden, auf der sich viele treffen, aber niemals zusammenfinden? Cliquenverhalten, Vorurteile und deutliche Gruppenlinien sind in vielen Milieus unvermeidbar. An der Uni verlaufen Trennlinien allerdings anhand von Sprachzugehörigkeiten und bilden im schlimmsten Fall ein soziales Sortierungskriterium.
"Manche haben irgendwie vergessen, dass sie hier in Italien sind"
Wer sich nicht um Vielfalt in seinem Freundeskreis bemüht, fällt automatisch durch das Raster: Italiener zu den Italienern, Südtiroler zu den Südtirolern, Deutsche zu den Deutschen und Erasmusstudenten unter sich. Am Verhalten beim Anstellen wird es ganz besonders deutlich. "Typisch italienisch" - wer sich nicht ordnungsgemäß anstellt. "Typisch deutsch" - wer es geflissentlich tut. Schließlich sind es meistens deutsche Studenten, die pünktlich bei der Mensaöffnung vor der Tür stehen. "Ich glaube, am Abend möchte man ein Bier trinken gehen, mit jemanden, der die eigene Sprache spricht", sagt Ann-Christin. Die Muttersprache bleibt der Rückzugspunkt, der zur konstanten Nische werden kann. "Manche haben irgendwie vergessen, dass sie hier in Italien sind", stellt Ann-Christin fest.
Für die Rektorin Rita Franceschini ist Mehrsprachigkeit ein Gewinn. Die Universität hat sich längst von der Idee verabschiedet, drei Sprachen bei Studenten perfektionieren zu wollen. Sie soll junge Menschen für ihre Zukunft rüsten: und zwar mit funktioneller Mehrsprachigkeit. "Natürlich muss man eine Sprachkompetenz immer weiter pflegen", sagt die Universitätsrektorin. Die Ausbildung gibt lediglich die Grundlage für den weiteren Weg. Die Vielfalt ihrer Studentenschaft sieht die Rektorin gelassen: "Eigentlich ist es der Normalfall, dass man Leute vor sich hat, die nicht wie identische Milchtüten nebeneinander stehen. Jeder ist eine andere Milchtüte. Und nicht jede Milch schmeckt gleich, auch wenn sie weiß ist." Auf der Südtiroler Alm lässt sich eben auf internationale Weise grasen.