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Drahtseilakt Immigrationspolitik

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Die Einwanderungspolitik innerhalb der EU ist einer der am meisten diskutierten Punkte des europäischen Verfassungsvertrages. Was wird sich ändern?

Die Notwendigkeit einer europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik entstand aus dem Vorhaben der Europäischen Union, die Grenzen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten zu öffnen und die Freizügigkeit innerhalb der EU zu gewährleisten.

Um dies zu ermöglichen ist es wichtig, für alle Mitgliedsstaaten geltende Prinzipien festzulegen, die die Einreisebestimmungen regeln sollen. Dabei sollen in einem besonderen Maße jene Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden, die auf Grund ihrer geografischen Lage die Grenze der Europäischen Union bilden.

Schwieriger Prozess

Kompetenzen in der Einwanderungspolitik waren stets eng mit staatlicher Souveränität verbunden, und die Staaten waren immer eifersüchtig bedacht, hier ihre Bestimmungsgewalt zu wahren. Das EU-Recht beschränkte sich lange Zeit auf die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen, und zwar außerhalb des institutionellen Rahmens.

Die Verträge von Maastricht und Amsterdam veränderten diesen Kurs, indem sie die Frage der Immigration zunächst institutionalisierten und sie schließlich auf die gesamteuropäische Ebene hoben, und zwar mit Titel IV des Vertrags von Nizza: „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“ (http://europa.eu.int/eur-lex/de/treaties/selected/livre214.html)

Doch die faktische Vereinheitlichung durch den Vertrag von Amsterdam sah sich mit der Vergangenheit der Einwanderungspolitik konfrontiert, als sie Gegenstand einzelstaatlicher Reglungen war: geteiltes Initiativrecht, Einstimmigkeit, Klauseln zur öffentlichen Ordnung und die eingeschränkte Machtbefugnis des Gerichtshofs. Ein veritables Puzzle von Eintritts- und Austrittsoptionen wurde schließlich mit dem Vertrag von Schengen hinzugefügt.

Viel Sicherheit, wenig Menschlichkeit

Mit diesem monströsen juristischen Apparat versuchten europäische Institutionen (in erster Linie die Europäische Kommission) das ambitionsreiche Programm, das auf dem EU-Gipfel in Tampere entwickelt wurde, umzusetzen. Die Initiativen, die von der Europäischen Kommission und insbesondere von der Generaldirektion für Justiz und Inneres unter der Leitung des Portugiesen Antonio Vitorino ausgingen, und zu Fortschritten auf Gebiet der EU-Einwanderungspolitik führen sollten, stießen auf Widerstand seitens des Rates für Justiz und Inneres. Die erste Bilanz der europäischen Einwanderungspolitik kann also nicht besonders positiv ausfallen.

Die Union hat von ihren neuen Kompetenzen Gebrauch gemacht, ist dabei jedoch recht einseitig vorgegangen: Die Möglichkeiten legaler Einwanderung wurden zugunsten von erhöhten Sicherheitsverkehrungen eingeschränkt. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 spielten dabei eine ganz besondere Rolle. Die EU entwickelte ein komplexes juristisches System im Kampf gegen die illegale Einwanderung; was jedoch die legale Einwanderung und den juristischen Status von Bürgern aus Drittstaaten betrifft, fallen die Ergebnisse viel bescheidener aus.

Ein Fortschritt war immerhin die Verabschiedung der Direktive zum Status von Langzeitansässigen in November 2003.

Die lang erwartete Direktive zur Familienzusammenführung hingegen, weicht im wesentlichen Maße von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission ab und entfernt sich von dem auf dem Gipfel in Tampere gesetzten Ziel, Einheimische und Langzeitansässige aus Drittländern gleich zu behandeln. Aus diesem Grund wurde die Direktive zum Gegenstand der Klage des Europäischen Parlaments beim Europäischen Gerichtshof.

Die Vorschläge hinsichtlich der Zulassungs- und Aufenthaltsreglungen zeigen enttäuschende Resultate. Die einzigen Reglungen, die durchgesetzt wurden, sind etwa die Direktive zum Aufenthaltsrecht von Studenten oder die erst kürzlich beschlossene Einreiseerlaubnis für ausländische Forscher. Diese Bestimmung macht deutlich, das die Europäische Kommission beschlossen hat den Rat für Justiz und Inneres zu umgehen und mit anderen Institutionen, wie etwa dem Wettbewerbsrat, zusammenzuarbeiten: bekanntlich wird ja alles in Bewegung gesetzt, sobald wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen.

Die Verfassung – mehr als nur gute Vorsätze?

Zweifelsohne soll der Verfassungsvertrag große Fortschritte auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik ermöglichen. Dazu gehört die Verallgemeinerung von nationalen und grenzüberschreitenden Beschlüssen in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament sowie die Anerkennung der uneingeschränkten Machtbefugnis des Gerichtshofes. Diese Faktoren könnten zweifellos zu einer Änderung der gegenwärtigen Situation beitragen. Auch die Integration der EU-Grundrechtscharta und der mögliche Beitritt der EU zur Europäischen Konvention für Menschenrechte werden die Einwanderungspolitik zweifellos positiv beeinflussen.

Doch die größte Herausforderung der künftigen Immigrationspolitik liegt nicht etwa in den Neuerungen, die die Verfassung mit sich bringt. Viel problematischer ist das in den letzten fünf Jahren entwickelte EU-Recht, das lediglich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der einzelnen Mitgliedsländer basiert. Die wirtschaftliche Immigration wurde dabei außer Acht gelassen. Somit wird die Verfassung auch nicht den Anforderungen eines erweiterten Europas gerecht werden können. Es bedarf also Verfassungsreformen, die diesen Sachverhalt wieder ausgleichen könnten.

Translated from Cuerda floja para la inmigración