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Diskriminierung in Deutschland: Dann geh' doch nach Korea

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Gesellschaft

Längst ist die Einwanderungsoase Deutschland zur Legende geworden. Bereits seit mehreren Jahren verlassen mehr Menschen das Land als tatsächlich ankommen. Unter ihnen bestausgebildete junge Deutsche, die dem Land wegen Diskriminierung den Rücken kehren.

Martin ist in Deutschland geboren, hat Politikwissenschaften in den USA und Belgien studiert und spricht drei Fremdsprachen fließend. Trotzdem findet er in seiner Heimat keine Anstellung, die seinen Qualifikationen entspricht. „Alle sprechen davon, dass Koreaner oder Vietnamesen Integrationsvorbilder sind, weil sie sich anpassen können, bildungsmotiviert und verfassungstreu sind. Aber wozu ist das gut, wenn sie nicht die gleichen Chancen wie ihre deutschen Altersgenossen haben“, sagt Martin Hyun in einwandfreiem Deutsch.

„Als ich mich für eine Stelle beim Auswärtigen Amt beworben habe, lautete die erste Frage, ob ich als Koreaner loyal zu Deutschland sein würde. Bei der deutschen Filliale des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat man mich sogar gefragt, ob ich nicht für die koreanische Kandidatur bei den Olympischen Spielen 2018 lobbyieren würde. Als Mensch, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, beleidigt mich das sehr.“

Die meisten Bewerbungsgespräche bei bekannten deutschen Firmen enden Martin zufolge mit der freundlichen Empfehlung, doch besser einen Job in Korea zu suchen: Angeblich könne er sich dort mit seinen Qualifikationen und Sprachkenntnissen eher auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen. „Viele meiner Freunde sind tatsächlich nach Korea umgezogen“, ergänzt Martin. Doch er lässt den Kopf nicht hängen: Schlussendlich hat sich der 28-Jährige für eine Promotion an der Universität Bonn entschieden.

In Deutschland fehlen 70.000 Fachkräfte

Die Statistik gibt Martin Recht. Kaum hatte sich Deutschland damit abgefunden Einwanderungsland zu sein, in dem fast jeder fünfte Einwohner Migrationshintergrund hat, muss man sich nunmehr an das Gegenteil gewöhnen: Bereits seit drei Jahren ist Deutschland eher Aus- als Einwanderungsland. Durchschnittlich verlassen jährlich etwa 15 000 Menschen mehr das Land als kommen. Gekoppelt mit der Gentrifizierung der Gesellschaft und der niedrigsten Geburtenrate in Europa (7,9 neugeborene Kinder pro 1000 Einwohner im Jahre 2009 bei einem EU-Durchschnitt von 10,7 Kindern) ist der bevölkerungsreichste Staat der EU in den letzten acht Jahren fast um eine Million Menschen geschrumpft.

Die Wirtschaft und Experten schlagen längst Alarm: Deutschland verliere seine Konkurrenzfähigkeit. Ärzte, Forscher oder Ingenieure wandern aus. Und dabei handelt es sich bei weitem nicht mehr nur um Deutsche. Auch immer mehr junge Zuwanderer, die in Deutschland oft keine Perspektive für ihre Karriere sehen, packen zunehmend ihre Koffer. Und das zu einem Moment, zu dem es der deutschen Wirtschaft an bis zu 70.000 Fachkräften mangelt. Der Versuch neue qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzulocken, hat einen verschwindend kleinen Erfolg: 2009 haben nur 142 internationale Fachleute eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis in Deutschland erhalten.

Thilo SarrazinDie Abwanderung von ausgebildeten Migranten trägt weiterhin zur Diskussion über eine angeblich gescheiterte Integration von Zuwanderern in Deutschland bei, die Thilo Sarrazin 2010 mit seinen kontroversen Thesen über Muslime losgetreten hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Multikulturalismus derzeit für “absolut gescheitert“ erklärt. Laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière seien bis 15 % Zuwanderer „Integrationsverweigerer“. 

„Sprechen wir über Diskriminierung und Rassismus“

Fast 900 Vertreter der türkischen Elite in Deutschland protestierten in einem offenen Brief gegen die einseitige Diskussion in Politik und Medien: „Unser Vertrauen und Engagement für unser Land und unsere Gesellschaft leiden darunter.“ Der Protestbrief beruft sich auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, laut der fast ein Drittel der Deutschen folgenden Aussagen zustimmen: „Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen“ oder bei knappen Arbeitsplätzen „sollte man Ausländer wieder in ihre Heimat schicken.“ „Ich halte nichts von Integration. Sprechen wir über Diskriminierung und Rassismus. Sprechen wir darüber, dass Migranten wegen ungleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt frustriert sind“, brüskiert sich Kenan Kolat, Präsident der Türkischen Gemeinde in Deutschland, bei einer Diskussion über Integrationsindikatoren in Berlin. Vier Fünftel der Studenten mit türkischem Migrationshintergrund stammen aus bildungsfernen Familien, bei Studenten ohne Migrationshintergrund liege der Anteil nur bei 16 %.

Wieviele Generationen wird es noch dauern, bis Multikulti auch in der deutschen Jobwelt angelangt ist?

Zu den Vorzeigefiguren einer erfolgreichen Integration gehört auch der 23-jährige Kadir Sak. Er stammt aus einer typischen Gastarbeiterfamilie aus Anatolien und ist in dritter Generation aber in Deutschland geboren. Seine Mutter ist Hartz-IV-Empfängerin. Kadir und seine zwei Geschwister haben aber trotzdem den Sprung an die Universität geschafft. Er will Lehrer werden und Vorbild für die Kinder mit nichtdeutscher Herkunft sein. Allerdings zweifelt er immer mehr an seinem Land. „Ich wollte ein Deutscher werden, aber ich habe schon kapiert, ich werde hier immer ein Türke bleiben“, sagt Kadir.

Und das trotz seines nicht markanten Aussehens. „Während ich wie ein Deutscher aussehe, hat mein Bruder Tolga eine dunklere Haut und schwarze Haare. Er hat es noch schwerer.“ Auch Kadir denkt daher daran, mit seiner Frau den Hunderten von türkischen Fachleuten zu folgen und in das Herkunftsland seiner Eltern auszuwandern. Obwohl er sich darüber bewusst ist, dass er es auch in der Türkei nicht leicht haben wird. „Mit meiner Frau sprechen wir zu Hause Deutsch, das Türkische bereitet mir Probleme. Jeder findet nach drei Sätzen heraus, dass ich ein alemanci bin. Ich sitze zwischen den Stühlen: Ich gehöre weder hier noch dort hin“, zuckt Kadir die Achseln. Er will sein Ziel dennoch nicht aufgeben: „Die deutsche Gesellschaft braucht mehr ausgebildete Menschen mit Migrationshintergrund - das sagt selbst die Bundeskanzlerin.“

(Dieser Text wurde am 16. 11. 2010 in gekürzter Form in der tschechischen Zeitung Hospodářské noviny veröffentlicht.)

Fotos: (cc)Loving Earth/flickr; Sarrazin (cc)oparazzi photos/flickr; Multikulti (cc)Gertrud K./flickr