Digitale Revolution von Breivik bis Khaled Said
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Stephanie HesseDas Jahr 2011 hat es gezeigt: Die neuen Medien sind für politische Debatten auf der Grundlage von Ereignissen wie die Demonstrationen der Empörten in ganz Europa, die arabische Revolution oder das schreckliche Attentat in Norwegen im vergangenen Juli, unabdingbar. Politisches Engagement kann heute von allen und überall gezeigt werden.
Aber ist diese Unmittelbarkeit mit unserem modernen Demokratieverständnis vereinbar?
2012: eine digitale Wahl?
Während die französische Präsidentschaftswahl 2012 immer näher rückt, beugen sich die Kandidaten den neuen digitalen Anforderungen, ganz nach jenem Modell, das Obama im Jahr 2008 vorführte, um sich an seine amerikanischen Wähler zu wenden. Sicher müssen sich die Kandidaten in den Medien präsent zeigen, um die Wählerschaft zu erreichen, die aufgrund der Wirtschaftskrise und der wachsenden politischen Unzufriedenheit desillusioniert ist. Doch es braucht ein Fünkchen mehr – die moderne Informationstechnologie. Denn in der Tat ist das Internet ein öffentlicher Raum für Debatten, der jeden zu Wort kommen lässt. Doch selbst wenn sie zu den treuesten Nutzern zählen, bestätigten mir einige Pariser Studenten, dass sie dem Netz nicht genügend trauen, um dort die Informationen zu suchen, die ihnen bei der Wahl des Präsidenten 2012 helfen würden. So zum Beispiel Guilhemette, eine Jurastudentin der Universität Assas in Paris. Sie orientiert sich immer häufiger an anderen Medien und berichtete mir von ihren Zweifeln an manchen Internetinhalten.
Im Terrorismus surfen
Heutzutage geben sich immer weniger ideologische, politische oder aktivistische Bewegungen damit zufrieden, Flugblätter zu verteilen, zu schreiben oder zu protestieren. Von nun an benutzen sie eine fatale Waffe, den Terrorismus. Um untereinander zu kommunizieren ist eine neue Waffe in Erscheinung getreten: das Internet. Es ist zu einem unumgänglichen Raum für alle Bewegungen geworden, sei es für die Demokratisierung einen ganzen Landes oder zur Übermittlung extremistischer Botschaften. In diesem Megaforum geht es ganz sicher nicht mehr darum, einen Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen oder seine Meinung zu den Reformen der Regierung zu äußern; es geht darum, sich gegen die Politiker zu stellen. Dank des WorldWideWeb kann sich heute jeder in dieser oberflächlichen Welt preisgeben, während er gemütlich vor dem Bildschirm sitzt. Dieses Werkzeug ist zum Symbol einer gewissen ausgleichenden Gerechtigkeit geworden, zwischen Experten und Unwissenden, zwischen Gemäßigten und Extremisten.
Die Grenze zwischen den Botschaften, die die Bevölkerung während der arabischen Revolution in diesem Jahr transportierte, und jener Hassbotschaft, die Anders Breivik vor seinem Attentat in Norwegen im Juli verbreite, sind deshalb sehr schmal. Zwei Fälle, ein Befund: Das Internet ist mächtig. Einer Gruppe in Facebook oder Twitter angehören, sich in seinem Status oder einem Kommentar über die Welt äußern, in der wir leben, ein Blog verfassen – das sind die Mittel, aus denen politisches Engagement heute besteht. Kann dieses digitale Hobby, das sich zum politischen Widerstand ausweitet, zu einem übermäßigen und mitunter unbegründeten Aktivismus führen?
Ein Land mittels Internet demokratisieren?
Der französische Autor Dominique Cardon hat in seinem 2010 erschienenen Buch La Démocratie Internet ("Die Internet-Demokratie") die politische Herausforderung des Internets betont. Cardon beschreibt das Web als "demokratisches Versuchslabor". Die Unmittelbarkeit des Internets war tunesischen und ägyptischen Aktivisten in der Tat hilfreich. Denn die sozialen Netzwerke haben den Bewegungen für Demokratie und Wandel eine enorme Reichweite verschafft. Diese sozialen Netzwerke haben sich in ein neues populäres und äußerst mächtiges Medium verwandelt. Wael Ghonim, Gründer der Facebook-Seite "We are all Khaled Said" gehört zu den Helden dieser Revolution. Es gelang ihm, ein ganzes Volk um das Bild dieses jungen, zu Beginn des Jahres von der ägyptischen Polizei zu Tode gefolterten Mannes, zu versammeln.
Mehr Demokratie, um Lücken zu schließen?
Unsere demokratischen Gesellschaften, für viele beispielhaft, scheinen nichtsdestotrotz erstarrt. Die Korruption, Wahlverdrossenheit, wirkungslose Regionalpolitiker, wachsende Entfremdung der Minderheiten und natürlich die Kriegspraktiken scheinen die Ursache für ein "demokratisches Defizit" zu sein. Wie sieht in diesem Zusammenhang also die Zukunft des politischen Engagements aus? Wenn das Überangebot an Informationen im Internet nachhaltig wirkt, stellt sich die Unmittelbarkeit dieses neuen Mediums dann nicht gegen den langfristigen Prozess der Demokratisierung?
Ist die bedingungslose Freiheit der Meinungsäußerung nicht auch gefährlich, wenn sie Bewegungen antreibt, die politisches Engagement in die falsche Richtung lenken? So viele Fragen, die die Grundlage für eine Neudefinition des politischen Engagements bilden. Ein Engagement, das bei weitem nicht zu fürchten ist. Das ist das Plus bei der Öffnung des Internets, das es ermöglicht, eine stärkere öffentliche Meinung zu bilden, Verbindungen über Ländergrenzen hinweg zu schaffen und das Ideal der Demokratie weiter zu denken, als es einer der eifrigsten Demokraten Amerikas, Alfred Emmanuel Smith, tat: "Alle Missetaten der Demokratie sind nur mit Demokratie wiedergutzumachen."
Illustrationen: Homepage (cc)racchio/flickr; Daumen (cc)owenwbrown/flickr, Khaled Said (cc)hibr/flickr; Video: SaraMenace/YouTube
Translated from Entre Breivik et Khaled Said : une révolution numérique