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Digitale Revolution im EU-Wahlkampf?

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PolitikEuropawahlen Spezial

Mit digitalen Medien kann die Demokratie wieder sexy gemacht werden, sagt der Politikberater und Blogger Martin Fuchs. Kommt die digitale Revolution bei den europäischen Wahlen? Welche Online-Strategien verfolgen die Kandidaten vor den Wahlen zum Europäischen Parlament? Wie kommt man auf die Schnelle noch ins Parlament?

Café Babel: Neh­men wir an, ich würde noch schnell ins Eu­ro­pa-Par­la­ment ein­zie­hen wol­len, was für eine So­ci­al Media Kam­pa­gne müss­te ich dafür ma­chen?

Mar­tin Fuchs: Acht Wo­chen vor der Wahl, wird keine Kam­pa­gne mehr funk­tio­nie­ren. Im Wahl­kampf funk­tio­nie­ren So­zia­le Me­di­en nur, wenn man sich Jahre davor kon­ti­nu­ier­lich eine Com­mu­ni­ty auf­ge­baut hat, auf die man dann zu­rück­grei­fen kann. Wenn du jetzt sagst: Ich werde Po­li­ti­ker und mache mir einen Twit­ter-Ac­count, dann kannst du es ver­ges­sen. Du brauchst nicht 10.000 Fol­lo­wer, son­dern nur die 500 bis 1000 rich­ti­gen Fol­lo­wer. Die Fol­lo­wer, die deine Ideen in Zei­tun­gen, in Blogs, in Off­line-Dis­kus­sio­nen wei­ter­tra­gen. Aber diese Fol­lo­wer wirst du nicht in­ner­halb von kur­zer Zeit bin­den kön­nen.

#Hap­py­vo­ting Wahl­auf­ruf zu den Eu­ro­pa-Wah­len

CB: Aber ich könn­te ja Likes kau­fen und eine Kam­pa­gne mit viel nack­ter Haut ma­chen, dann wäre mir die Auf­merk­sam­keit si­cher.

MF: Vom Likes kau­fen würde ich dir auf jeden Fall ab­ra­ten. Es gibt Ana­ly­se­por­ta­le, auf denen man sehr gut nach­voll­zie­hen kann, wenn je­mand Likes ge­kauft hat. Das bringt einer Par­tei nur einen Skan­dal ein. Man kann schon ver­su­chen, mit pro­vo­kan­ten The­men die ganze Stadt zu pla­ka­tie­ren. In we­ni­gen Wo­chen wirst du aber keine me­dia­le Auf­merk­sam­keit er­rei­chen.

CB: Wer So­ci­al Media als Po­li­ti­ker igno­riert, kann also trotz­dem ge­wählt wer­den?

MF: Es gibt Po­li­ti­ker, die sind seit zwan­zig Jah­ren fest auf der schwä­bi­schen Alb oder in der Pro­vence ver­an­kert; da gibt es kein Breit­band und kein W-Lan. Des­halb sind sie dort eher im Ke­gel- oder Ge­sangs­ver­ein. Die ken­nen ihre Wäh­ler­schaft per­sön­lich und die brau­chen kein So­ci­al Media, da sie ihre Mo­bi­li­sie­rungs­stra­te­gi­en über Jahre ver­fes­tigt haben.

CB: Sind on­line In­for­ma­ti­ons­ka­nä­le nicht ober­fläch­lich?

MF: Das Pro­blem ist, dass sich heute kei­ner mehr mit alten Män­nern in Hin­ter­zim­mern un­ter­hal­ten will. Mit Tweets und einer kon­ti­nu­ier­li­chen Face­book-Kom­mu­ni­ka­ti­on kann man junge Men­schen wie­der be­geis­tern. Es ist gut, dass po­li­ti­sche In­for­ma­tio­nen auf ihre Ti­me­li­nes ge­spült wer­den, auch wenn sie nicht auf De­mons­tra­tio­nen gehen.

CB: Kann ich auch als lang­wei­li­ger Kan­di­dat mit iro­ni­schen oder pro­vo­kan­ten Posts und Tweets mein Image auf­bes­sern?

MF: Also genau wie ich auf der Stra­ße oder auf dem Markt­platz rede, so muss ich auch in den neuen Me­di­en auf­tre­ten. Es bringt nichts sich an­zu­bie­dern. Wenn ich ein Ak­ten­fres­ser bin, dann bin ich das bitte auch bei Twit­ter und bei Face­book.

CB: Mar­tin Schulz hat die meis­ten Fol­lo­wer auf Twit­ter und Face­book. Heißt das, dass er der beste oder in­ter­es­san­tes­te Po­li­ti­ker ist?

CB: Das ist schon aus­sa­ge­kräf­tig. Aber nur die  reine Fol­lo­wer­zahl zu ver­glei­chen, ist wie ein Pe­nis­ver­gleich. Mar­tin Schulz ist pro­mi­nent, des­halb hat er viele Fol­lo­wer. Aber die Frage ist, ob er die Fol­lo­wer wirk­lich braucht. Er kann ja nur in Deutsch­land ge­wählt wer­den, da fällt die Hälf­te der Fol­lo­wer wahr­schein­lich schon mal weg.

CB: Wo ist die Zu­kunft von So­ci­al Media in der Po­li­tik?

MF: Das Fern­se­hen ist für Men­schen in Deutsch­land immer noch das In­for­ma­ti­ons­me­di­um Num­mer eins, aber immer mehr Leute be­nut­zen das In­ter­net, um sich In­for­ma­tio­nen zu holen. Aber die klas­si­schen Me­di­en er­rei­chen ein­fach nicht mehr so viele Leute. Vie­le haben einen stres­si­gen Job, haben wenig Zeit sich unter der Woche mit Po­li­tik aus­ein­an­der zu set­zen und sind viel un­ter­wegs. Heute kon­su­miert man eher häpp­chen­wei­se: es wird immer nur we­ni­ge Men­schen geben, die sich aktiv mit Po­li­tik aus­ein­an­der­set­zen. Ich finde es schon ganz gut, dass es Tools gibt wie Li­quid Feed­back gibt.

CB: Siehst du im Eu­ro­pa­wahl­kampf eine pan-eu­ro­päi­sche Kam­pa­gne, die gut läuft?

MF: Ge­gen­fra­ge: gibt es über­haupt eine Kam­pa­gne, die gut läuft? Letzt­end­lich habe ich das Ge­fühl, dass den Par­tei­en die eu­ro­päi­schen Wah­len ziem­lich egal sind. Ich war ziem­lich be­geis­tert, als die Grü­nen es mit den Green Pri­ma­ries ver­sucht haben. Im­mer­hin haben sich da 20.000 Leute damit aus­ein­an­der­ge­setzt, wer der grüne Spit­zen­kan­di­dat wer­den soll.

CB: Was könn­te bes­ser wer­den?

MF: Die pan-eu­ro­päi­sche Ge­dan­ke schei­tert daran, dass man über na­tio­na­le Lis­ten seine Kan­di­da­ten wählt. Die Idee Schulz gegen Juncker im TV-Du­ell ge­gen­ein­an­der an­tre­ten zu las­sen, ist nett, aber ich glau­be nicht, dass sich ein Grie­che oder ein Spa­ni­er dafür be­son­ders in­ter­es­siert. Man kann die bei­den Kan­di­da­ten au­ßer­halb von Deutsch­land und Lu­xem­burg nicht wäh­len, also wird es die meis­ten Men­schen nicht in­ter­es­sie­ren. Alles was bis­her an Kom­mu­ni­ka­ti­on aus Eu­ro­päi­scher Kom­mis­si­on und den Par­tei­en kommt, ist schon recht lang­wei­lig. 

Mar­tin Fuchs be­treibt den Ham­bur­ger Wahl­be­ob­ach­ter, wo er sich mit Wahl­kampf­stra­te­gi­en aus­ein­an­der­setzt und ei­ge­ne Ana­ly­sen lie­fert.