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Die Verurteilung von Radovan Karadžić lässt viele Wunden offen

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Juliane Büchner

Der Internationale Strafgerichtshof für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag hat am 24. März sein Urteil im Prozess um den früheren Präsidenten der Republika Srpska verkündet. Er hat Radovan Karadžić zu 40 Jahren Haft wegen Völkermordes in Srebrenica verurteilt. Cafébabel war bei der Urteilsverkündung. 

„Mein Vater war zu der Zeit in einem Konzentrationslager“, sagt Ajdin Cehic, „Dieser Prozess ist extrem wichtig für unsere Familie.“ Seine Worte kommen kurz vor der finalen Urteilsverkündung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Das Gericht im Herzen Den Haags verurteilt Radovan Karadžić zu 40 Jahren Haft für den Völkermord in Srebrenica.

Dutzende Menschen sind wie Ajdin aus Bosnien hierher gereist, um ein letztes Mal ihre Wut zum Ausdruck zu bringen. Sie wollen die ganze Welt an die dunklen Stunden in der Geschichte ihres Landes erinnern. Die meist bosnischen Aktivisten tragen Plakate und Banner mit der Flagge von Bosnien-Herzegowina. Darauf stehen die Worte „Genozid“ und „Kriegsverbrechen“ und eine (zweifellos unvollständige) Liste der Opfer von Srebrenica.

"Es hat mein Leben verändert"

Sie warteten alle darauf, dass die Verbrechen des früheren Anführers der Serben in Bosnien formal anerkannt würden. Besonders wichtig war ihnen, dass das Gericht Karadžić für den Völkermord an den Muslimen des Landes an verschiedenen Orten, vor allem Srebrenica, für schuldig befinden würde. Azmir Husić aus Srebrenica ist auch aus Bosnien nach Den Haag gekommen. „Wir sind fast 1650 Kilometer gereist, um hier zu sein“, bestätigt er, „Wir hoffen, dass Karadžić bestraft wird für das, was er hunderttausenden Menschen angetan hat.“

Die Familien der Opfer haben mehr als 20 Jahre auf Gerechtigkeit gewartet, sodass dieser Tag für viele wichtig ist. „Es ist ein historischer Tag,“ sagt Elmina Kulašić, „Ich war bei den Massakern sieben Jahre alt. Sie haben mein Leben verändert. Ich habe mehr als 20 Jahre nach der Wahrheit gesucht.“

Die Demonstrationen verlaufen weitgehend friedlich, bis plötzlich Florence Hartman ankommt. Die frühere Journalistin für Le Monde und Sprecherin für die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes hat vor ein paar Jahren ein Buch veröffentlicht – es heißt Paix et châtiment (Frieden und Bestrafung) – in dem sie mehrere Fehler des Gerichtshofes denunziert, einschließlich einer geheimen Abmachung zwischen Karadžić und den USA. Sie kommt, um ein weiteres Mal über diese Themen zu sprechen, wird aber von der Polizei gestellt. Nach mehreren Minuten totaler Verwirrung wird sie verhaftet und abgeführt.

Die Kontroversen und allgegenwärtigen Spannungen, die diese Verhandlungen für viele Jahre umgeben haben, werden durch diesen Zwischenfall noch betont. Bosnien und Herzegowina bleiben durch die Kriegsjahre gespalten und die Unsicherheit über Karadžićs Verurteilung hat einige Demonstranten skeptisch gemacht. „Es könnte Proteste geben, egal ob er verurteilt wird oder nicht“, bemerkt Ajdin, „Die eine oder andere Seite wird protestieren. Es ist eine sehr heikle Frage.“

Enttäuschung über das Urteil

Nach einem fast zweistündigen Monolog des Richters, bei dem der frühere Serbenführer keine Emotionen erkennen ließ, wurde das Urteil verkündet: Radovan Karadžić wird schuldig gesprochen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord in Srebrenica begangen zu haben. Allerdings wird er vom Genozid in anderen bosnischen Städten freigesprochen. Seine Strafe beläuft sich auf 40 Jahre Haft.

Am Ausgang des Tribunals warten noch mehr Aktivisten auf die Familien der Opfer, die in dem Prozess assistierten. Elmina Kulašić sagt, sie sei von der Verkündigung bewegt – es ist auch ein wichtiger Tag für sie und für ganz Bosnien. Aber wie viele andere Anwesende ist sie auch enttäuscht. Sie glaubt, dass „alle Beweise, dass Karadžić auch in anderen Regionen von Bosnien Völkermord begangen hat, gesammelt wurden.“ Aus ihrer Sicht war Srebrenica nur die Spitze einer Terrorpolitik, die von dem früheren Serbenführer und seinen Anhängern über die Jahre geführt wurde. Außerdem hätte sie gehofft, dass der Angeklagte nicht zu 40 Jahren, sondern zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden wäre. Angesichts seines Alters würde das zwar nicht viel ändern, aber der Symbolwert der Entscheidung ist real. Die meisten Anwesenden teilen dieses Gefühl.

Das Urteil scheint niemanden zufrieden zu stellen: als Karadžićs Anwalt Peter Robinson von Journalisten umringt herauskommt, gibt auch er seiner Unzufriedenheit Ausdruck. Er sagt, dass er nach der Verkündung mit Karadžić gesprochen habe, der von dem Urteil enttäuscht und überrascht sei. Er hatte gehofft, nicht für Völkermord verurteilt zu werden und sei extrem überrascht, dass er für so ein Verbrechen schuldig befunden worden sei.

Die Reaktion des früheren Präsidenten der Republika Srpska passt zum Rest seiner Verteidigung seit seiner Verhaftung 2008. Am Tag der Urteilsverkündung hatte er sogar in einem Interview mit dem Balkan Investigative Reporting Network behauptet, dass er einen Freispruch erwarte.

Der Anwalt setzte hinzu, dass er und sein Klient wegen zehn verschiedenen Punkten Einspruch einlegen würden. Sie haben 30 Tage Zeit dafür, aber die gesamte Prozedur wird in etwa drei Jahre dauern. Während die letzten Beweisstücke 20 Jahre alt sind, wird das Ende dieser juristischen Saga noch länger auf sich warten lassen. Der Prozess hat Wunden aufgerissen, die noch nicht bereit sind, zu verheilen.

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Dieser Artikel wurde von unserem Lokalteam cafébabel Brüssel veröffentlicht.

Translated from Procès de Radovan Karadžić : des plaies toujours ouvertes