Die unsichtbaren Einwanderer von Athen
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susanne wallenöfferZwischen Morgen- und Abendland, ist Athen Anlaufpunkt für viele Migranten. Die albanischen Einwanderer repräsentiern nicht nur die größte, sondern auch die am meisten stigmatisierte Minderheit Griechenlands. Geschichte eines Missverständnisses.
Immer mehr Menschen drängen sich mit immer mehr Transparenten am Platz Omnia. Die Bewohner von Athen sind Demonstationen gewohnt. Keiner schert sich mehr darum. Gazmend Elezi, ein Albaner aus Exarchia, dem 'hippen' Studentenviertel, ist trotzdem fest entschlossen. Vor 10 Jahren ist er zu Fuß über die Berge nach Griechenland gekommen. Sein Bruder dagegen hat sich für Italien entschieden: "Das ist viel näher und viel billiger, außerdem braucht man dazu keine Schlepperbanden, sondern muss einfach nur die Berge überqueren", erzählt der 30-jährige Gazmend.
Heute demonstriert er gemeinsam mit anderen Albanern, die nach Omnia gekommen sind, gegen die "Diebstahlmentalität in einem Staat, in dem eine Aufenthaltsgenehmigung 150 Euro kostet, die immer erst dann ausgestellt wird, wenn die Alte nicht mehr gültig ist. Dadurch habe ich immer noch keine Papiere. Ich kann nicht nach Albanien zurückkehren, um meine Familie zu besuchen, ohne bestraft zu werden, wenn ich wieder auf griechisches Territorium zurückkehre." Gaz hat die Schwarzarbeit aufgegeben, um sich an der Uni einzuschreiben.
"Die extrem komplizierte Prozedur und die unsägliche Langsamkeit der örtlichen Behörden halten die Menschen davon ab, sich um eine permanente Aufenthaltgenehmigung zu bemühen", sagt Vassilis Chronopoulos, Mitglied der Organisation Socrates, die sich darum bemüht, Immigranten durch die langsam mahlenden Mühlen der griechischen Bürokratie zu helfen. "Ein weiteres Problem: die Schwarzarbeit, die unter illegalen Einwanderen in Griechenland weit verbreitet ist. Die Mehrheit von ihnen kann kein offizielles Gehalt und keine Sozialversicherung vorweisen. Demzufolge bekommen sie auch nur schwer eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung.“
Inzwischen leben 600.000 Albaner in Griechenland. Das sind fast zwei Drittel der gesamten Einwanderer, die nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes und besonders nach dem vollständigen Zusammenbruch des Finanzsystems in Albanien in den 90er Jahren nach Griechenland gekommen sind.
Matilda Kouramano ist 19 Jahre alt und besitzt neben der albanischen auch die griechische Staatsbürgerschaft. Sie kommt aus Sarande, dem "Reich des Nordens". Diesen Namen haben die Griechen dem südlichen Albanien gegeben, wo hauptsächlich griechische Bevölkerungsgruppen leben. Matilda trägt ein orthodoxes Kreuz um den Hals. Sie gibt zu, dass sie nicht die gleichen Schwierigkeiten zu bewältigen hatte wie ihre Landsleute. "Ich bin während des Bürgerkriegs 1997 weggegangen. In meinem Heimatort wollen eigentlich alle jungen Leute bloß weg", erzählt sie. "Zum Glück stammen meine Mutter und mein Vater aus Griechenland. So konnte ich mich schnell einleben."
Zweiklassen-Gesellschaft für Migranten
In Griechenland gibt es zwei Gruppen von Einwanderern. Auf der einen Seite sind diejenigen mit griechischen Wurzeln, die aus Albanien, Georgien, Armenien, oder Kasachstan kommen. Auf der anderen Seite gibt es die nicht-griechischstämmigen Einwanderer, aus Ländern wie Albanien, Bulgarien, Pakistan oder etwa Nigeria. "Es gibt ganz klar eine positive Diskriminierung gegenüber Griechen, und der Staat wendet immer noch das "Blutsrecht" an. Dadurch werden die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften und ihre Integration in die Gesellschaft noch schwieriger", bestätigt Anna Triandafyllidou, die am Institut Eliamep zum Thema Immigration forscht.
Denn für Nicht-Griechen gelten weiterhin strenge Regeln: "Nicht-griechische Kinder über 18 Jahre müssen zum Beispiel eine Aufenthaltgenehmigung beantragen, ganz egal ob sie in Griechenland geboren sind oder nicht", erklärt sie. "Das Problem ist die Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung, denn man muss vorher mindestens 400 Tage innerhalb von zwei Jahren gearbeitet haben."
Ein weiteres Hindernis: Griechenland, ein traditionelles Einwandererland, hat immer noch Probleme, eine weitere Migrationstendenz abzuschwächen. "1992 hat Griechenland seine ausgewanderten Staatsbürger eingeladen, in ihr Land zurückzukehren. Die Regierung hat jedoch schnell begriffen, dass dies nicht unbedingt die beste Idee war. Die Bevölkerungszahlen waren rapide angestiegen. Gleichzeitig war eine Art Wettbewerb darum entstanden, wer ein echter Grieche sei und wer nicht", fügt Triandafyllidou noch hinzu.
Der große Zustrom an Rückkehrern wurde in den Medien schnell als Masseninvasion dargestellt. Dann als Tummelbecken für kriminelle Organisationen, da einige Straftäter, die aus albanischen Gefängnissen ausgebrochen waren, über die Grenze kamen. Schließlich hieß es, dass die Albaner die Löhne kaputtmachen würden. Der neueste Skandal bezieht sich auf einen Film, der zwei von der Polizei misshandelte Albaner zeigt und so das Thema wieder ganz nach oben auf die Tagesordnung gerückt hat.
"So kann es nicht weitergehen"
Wenn man Anna Triandafyllidou nach ihrer Meinung zur Einwanderungspolitik fragt, bekommt man eine direkte und ehrliche Antwort: "Es kann ja nicht funktionieren, wenn die Regulierungen ständig schwammiger werden. Das hatten wir bereits 1998, 2001 und 2005. Jedes Mal, wenn es darum geht eine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, findet man sich im Teufelskreis wieder. Es ist wirklich an der Zeit aufzuwachen. Die Immigration in Griechenland gibt es seit 20 Jahren!"
Der Albaner Ilias Bellou, der damals aus Voskopolje zu Fuß nach Griechenland kam, ist heute ein Anwalt, der die Rechte der albanischen Immigranten vertritt. Er plädiert für eine "langfristige Einwanderungspolitik, die mindestens die nächsten 20 Jahre abdeckt". Das Leben werde den Immigranten schwer gemacht, währenddessen andere Menschen schamlos profitieren.
"Solange es illegale Arbeiter gibt, wird die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands gestärkt, aber dem Staat geht dabei auch sehr viel Geld verloren. Die Albaner und Bulgaren wollen nicht mehr für Dumpinglöhne arbeiten und berufen sich auf Arbeitnehmerrechte. All diese Personen arbeiten und tragen zum Wohlstand von Griechenland bei. Sie selbst haben nicht einmal eine soziale Absicherung. Die Immigration muss besser organisiert werden."
Liliana Tsourdi teilt diese Meinung. Sie verteidigt die Rechte von Asylbewerbern in Griechenland und kämpft für ihre Ideale. "Vor einigen Jahren war Griechenland eines der schlimmsten Länder im Bereich Asylrecht, wir erfüllten nicht einmal mehr die Kriterien des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (HCR)", erinnert sie sich. "Heute haben wir – dank der Umsetzung der europäischen Richtlinien – ein richtiges Programm. Die Ausbildung der Beamten und der Polizei muss noch immer verbessert werden, um all diese Rechte auch richtig anzuwenden. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Europäische Union eine gemeinsame Politik im Bereich Immigration schaffen muss - genauso wie im Rahmen des Asylrechts."
In der Sophocleous Straße richten sich immer mehr Neuankömmlinge ein. Chinesen, Pakistaner, Bangladesher, Afrikaner: sie alle sind auf ihrer langen Reise nach Westeuropa in Griechenland gestrandet. Tagsüber breiten sie ihre Waren dort auf der Straße aus, wo nachts die nigerianischen Prostituierten stehen. "Willst du ein Armband? Oder vielleicht ein neues Handy-Gehäuse?", rufen die afrikanischen Kollosse am Platz Monastiraki mitten im Zentrum Athens. Andere verkaufen in der Innenstadt auch wesentlich nützlichere Dinge, wie zum Beispiel Raubkopien von Filmen.
Aber wie die Albaner, die hauptsächlich auf Baustellen und in der Landwirtschaft schwarz arbeiten, oder die Bulgaren in der Tourismusindustrie, sind sie Teil einer Schattenwirtschaft, die laut Arbeitsagentur, inzwischen rund 30 bis 35 Prozent des griechischen BIPs ausmachen. Das ist die höchste Quote in der Europäischen Union.
Die Tradition der 'homogenen Gesellschaft' umkehren
"Es war nach dem Krieg in Kleinasien, um 1920. Nach der Niederlage waren sich Venizelos und Mustapha Kemal einig, die Bevölkerung umzusiedeln. Alle Griechen, die von den griechischen Händlern der Antike und dem Kaiserreich Byzanz abstammten, zwischen dem Schwarzmeer und der Ägäis, mussten das Land verlassen. Die Großeltern meines Vaters lebten damals in Trabzon in der Türkei. Sie sind auf dem Landweg gekommen und haben auf einem frisch zurückeroberten Stück Land in der Nähe von Edirne (im Norden Griechenlands) ein neues Leben angefangen. Dort hat mein Vater meine Mutter, deren Eltern aus Thrakien in der Türkei kamen, kennengelernt."
Pavlos Giannoulidis kann sich nur noch an Bruchstücke der Geschichte erinnern. Wie viele andere Griechen ist er ein Nachkomme der sogenannten "Pieds noirs" aus Kleinasien, die in den 20er Jahren kamen und noch heute ihr eigenes Viertel, genannt "Nea Smyrni" (Neu-Smyrna), in Athen bewohnen.
Heute kommen die Griechen aus dem Ausland, aus Albanien, aber auch aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Georgien, Armenien, Russland und Kasachstan, zurück in ihr Heimatland, wo sie ganz einfach eingebürgert werden. "Insgesamt sind seit dem Fall der Berliner Mauer 150.000 "echte" Griechen aus dem Ausland zurückgekehrt. Viele wurden dank eines staatlichen Programms in einer gemischten Zone, die im griechischen Teil Thrakiens (im Norden nahe der türkischen Grenze) liegt, angesiedelt. Allerdings ist diese Region die ärmste Gegend in ganz Griechenland, mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit. Die gutgemeinte Aktion hat zu Spannungen mit der einflussreichen türkischen Gemeinschaft geführt. Da viele nur schlecht griechisch sprechen, haben sie große Schwierigkeiten, sich dort zu integrieren und kehren nach Athen zurück", erzählt Anna Triandafyllidou.
Mein herzlicher Dank geht an Elina, Olga und Pavlos, ohne die dieser Beitrag nicht möglich gewesen wäre.
Translated from Ces clandestins qu’Athènes ne veut pas voir