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Die Sterne in Paris: Gainsbourg-Kaugummipop und Neodisco

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Katha Kloss

BrunchKulturGesellschaft

Generationen junger Deutscher können Titel der 1992 gegründeten Indie-Rockband im Schlaf mitsingen. Zwischen Soundcheck und Mittagspause erzählen Sterne-Frontmann Frank Spilker und Bassist Thomas Wenzel auf einem staubigen Sofa im Pariser Club La Bellevilloise von Hamburg und dem Stilmix auf ihrer letzten Platte 24/7.

Krasser Paradigmenwechsel: Letztes Jahr war Annett Louisan die Botschafterin deutscher Kultur in Paris, 2011 Die Sterne. Fühlt ihr Euch wohl in dieser Rolle?

Frank Spilker: Das ist immer so eine schwierige Formulierung. Jeder Deutsche repräsentiert ja - leider muss man dazu schon sagen - im Ausland sein Land. Das Wichtige ist immer die Vielfalt darzustellen und nicht zu sagen DAS ist die deutsche Kultur. Es gibt nicht DEN Repräsentanten, sondern nur Puzzleteile der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Wir fühlen uns nicht als Vertreter der deutschen Kultur. Letztendlich kommen die Leute auf ein Konzert, um die Band zu sehen und etwas zu entdecken, was es im heimischen Kulturbetrieb nicht zu entdecken gibt.

Zu Euren Anfängen seid ihr mit Gainsbourg-Coversongs durch Hamburg gezogen, gibt es da eine verdeckte Frankreich-Leidenschaft bei Euch?

Frank Spilker: Eine Freundin in Hamburg kam ursprünglich aus Lyon. Über sie haben wir die Seiten von Serge entdeckt, die in Deutschland nicht bekannt waren. Bei uns kennt man ja nur "Je t’aime - moi non plus". Er kam ja schon aus der Chanson-Ecke, aber mit einem Bruch. Er hat quasi gesagt ‚Schluss mit der Ernsthaftigkeit, ich mache jetzt Kaugummi-Pop‘, obwohl er Popmusik eigentlich verurteilt hat. Er ist zu Recht Nationalheld, Beck beschäftigt sich mit dem Sound: einfach genuine Kunst, Weltkulturgut! Ansonsten zitiere ich ganz gerne Friedrich Hollaender, also eher den Jazz-Aspekt. In den 1920ern war die Kultur viel weniger nationalistisch. Es gab eine internationale Jazz-Szene. Es war selbstverständlich, dass auch in Berlin eine Chanson-Szene etabliert wurde, genau wie in Paris. Und da will man jetzt vielleicht wieder hin.

Auch, wenn ihr’s wahrscheinlich nicht mehr hören könnt, die obligatorische Hamburger Schule Frage: Erklärt doch einem jungen Europäer mal kurz, was das ist/ war.

Keyboarder Richard von der Schulenburg verließ die Band 2009 nach neunjähriger ZusammenarbeitFrank Spilker: In den 1990er Jahren war es hip, Kunst über Orte zu definieren. Mitte der 80er Jahre gab es einen Boston-Hype, danach kam 1993 Seattle. Entsprechend dazu kam dann in den deutschen Medien Hamburg auf - die Stadt mit den geilsten Bands. Da gibt es diese verruchte Reeperbahn, da haben die Beatles angefangen. Das hat einen Mythos ergeben, der sich gut vermarkten ließ. Tatsächlich gab es in den frühen Neunzigern eine blühende Szene in Hamburg. Die bekanntesten Bands waren damals Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne. In einem Satz: Hamburg war heiß. Heute ist die Hamburger Schule aber im Grunde genommen Musikgeschichte.

Thomas Wenzel: Heute hat sich das ein bisschen verlagert. Es gibt immer noch gute Bands, die aus Hamburg kommen. Aber Berlin ist viel interessanter geworden. Bands wie Jamey Lidell, Peaches oder Ja, Panik, die aus Österreich sind, sind nach Berlin gegangen. Vor zehn Jahren wären die wahrscheinlich in Hamburg gelandet. Berlin hat eine Art Sogeffekt für internationale Kultur hervorgerufen.

Frank Spilker: Obwohl das fast schon wieder vorbei ist. Es gab diesen Berlin Elektro-Hype. Naja viele Hypes, der Stadt angemessen eben. Trotzdem ist und bleibt Berlin ein Sprungbrett für Künstler und weltweit eine der billigsten Städte. Es hat also ganz praktische Gründe, warum Leute aus Toronto nach Berlin gehen, wo man es sich leisten kann Musiker zu sein. Das wird überall auf der Welt schwieriger.

Für das letzte Album 24/7 habt ihr mit dem Münchner DJ/ Produzenten Mathias Modica zusammen gearbeitet: Das Ergebnis klingt Elektro, hat Euch aber den Gitarristen gekostet und von der Indie-Rock-Schiene der ersten Stunde weggeführt. Woraus resultierte der neue Stilmix?

Thomas Wenzel: Der Gitarrist war nicht der erste…

Frank Spilker: Das hat auch nicht wirklich nur mit der Stilwende zu tun, die Lebensläufe entwickeln sich manchmal auseinander. Den Sternen tut es sehr gut, dass sie nicht auf einem Ding hängen geblieben sind. Wenn man weit zurückgeht, beziehen wir uns auf dieses New Wave New York Ding der 80er. Und auch das Label DFA Records, was geschmacklich da andockt. Hinzu kommt aus dem Elektronikbereich Neodisco, was wir über unseren neuen Produzenten Mathias Modica kennengelernt haben. Aus all diesen Töpfen haben wir uns bedient. Natürlich gibt so ein Wandel immer Probleme. Aber ein Rezensent sagte kürzlich, er hätte sich die neue Platte gar nicht angehört, wenn es vorher nicht diese 'Die Sterne machen jetzt Disco'-Diskussion gegeben hätte.

Gomma, das Label mit dem ihr 24/7 aufgenommen habt, hat eine internationalere Ausrichtung. Ist der internationale Markt offener für deutsche Musik geworden? 

Thomas Wenzel: Nö, ich wüsste auch nicht warum. Der Stempel, den man haben muss, wenn man international was reißen will, ist ja German ‚sonstwas‘ - quasi Kraftwerk und Rammstein. Und die lassen sich eben gut vermarkten, weil sie auch für etwas Deutsches stehen. Das was wir machen ist genau das Gegenteil.

Von "Fickt das System" (1992) zu "Tanz den Burnout" [Song 2010: Depressionen aus der Hölle]: Trügt der Schein oder seid ihr ein bisschen gemäßigter in Euren Texten geworden?

Frank Spilker: Da hat kein Wechsel stattgefunden. Das ist die klassische Bohème-Theorie, dass man sich in jungen Jahren austobt und später dann doch Anwalt wird. Wenn man bei "Stadt der Reichen" oder "Depressionen aus der Hölle" genau hinhört, sind die Texte im Grunde sogar härter als Fickt das System, wo es darum ging, dass die Parolenhaftigkeit so nicht mehr funktioniert. Was wir heute machen ist nicht weniger radikal, vielleicht nicht ganz so drastisch in der Wortwahl. Auf 24/7 geht es um Erwartungen, die letztendlich niemand erfüllen kann, ein propagiertes Ideal. Ich weiß nicht, ob das eine individuelle Aufgabe ist das anders zu machen. Aber es ist unsere Aufgabe darauf hinzuweisen, wie absurd diese Vorstellung ist. Ansonsten find ich’s gut rund um die Uhr im Internet shoppen zu können - aber das sind ja auch Maschinen!

Das Sterne-Konzert fand im Rahmen der deutsch-französischen Woche statt und wurde vom Goethe-Institut und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW), mit Beteiligung der deutschen Botschaft, des Nouveau Centre d'Information Civique (CIDEM), des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und des Heinrich Heine Hauses organisiert.

Fotos: Pressefotos Die Sterne; Videos: Youtube

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