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Die spitzwegigen Spießer des Gerhard Glück

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BrunchKulturLifestyle

In Nachbars Garten stimmt was nicht - Zu Gast beim deutschen Karikaturisten Gerhard Glück.

Die Hecken der Vorgärten sind sauber gestutzt. Fast sieht man die hohen Zäune zwischen den Grundstücken nicht mehr. Die Audis und Volvos stehen sicher in den Doppelgaragen. Abends werden die Rollläden hinabgefahren - sogar automatisch. Alles ist gut geordnet, mit Blick ins Grüne auf den Golfplatz. Nur einer fällt aus dem Idyll heraus: Der Karikaturist Gerhard Glück: Der wohl schärfste Spötter über das Spießertum wohnt im Herzen der Spießigkeit, wunderschön am Hang über Kassel gelegen, in einer Jugendstilvilla. Nur hier kann seine Kunst entstehen, für die er bereits dreimal den deutschen Karikaturenpreis gewann.

Anders als die meisten seiner Kollegen arbeitet Glück nicht mit schnellem ©Gerhard GlückStrich politische Peinlichkeiten heraus, sondern seine Szenen sind kleinformatige Gemälde in Acryl und Tempera. Kinnlose, wuchtige Durchschnittseuropäer werden darin in ihrer Umständlichkeit, in ihrer Kleinbürgerlichkeit ertappt. Sie werden aber auch in ihren alltäglichen Sehnsüchten karikiert. So wie zum Beispiel Herr Stucker. Man sieht ihn als kleinen grauen Mann mit Aktentasche und Hut vor einem Denkmal stehen. Er blickt bewundernd hinauf. Auf dem Sockel tötet ein Ritter auf einem Pferd gerade heldenhaft mit einer Lanze einen sich windenden Drachen. Die Bildunterschrift lautet nur: „Wenn Herr Stucker zu Hause Ärger hat, sieht man ihn oft lange Zeit auf dem St.-Georgs-Platz stehen.“

Bevor er von seiner komischen Kunst leben konnte, unterrichtete Gerhard Glück Kunsterziehung in der Schule. Irgendwann empfahl ihm ein Freund, seine Skizzen an Zeitungen zu schicken. Bei der Süddeutschen schrieb man ihm prompt zurück: „Sind interessiert, wollen mehr.“ Irgendwann gab Glück seinen Lehrerberuf auf und arbeitete nur noch als Karikaturist. Seit fast zehn Jahren zeichnet er hauptsächlich für das Magazin der Neuen Zürcher Zeitung, das NZZ Folio.

Die Schweizer Glücksregelung

Grenzüberschreitend zu arbeiten, ist nicht so einfach, da er seine Zeichnungen stets im Original per Expresspost nach Zürich schicken muss – oder wenn es ganz dringend ist sogar per ICE. Glücks Bilder werden vor Ort gescannt und die Farben des Magazins damit abgestimmt. Später kehren sie zu ihm zurück. „Manchmal musste ich die Bilder beim Zoll auslösen - ein Riesenproblem, wenn sie mir nicht glauben, dass es mein Eigentum ist.“ Doch beim Schweizer Zoll hat sich eine Art „Glücksregelung“ etabliert: Mittlerweile kennt man die witzigen Bilder.

Derzeit illustriert Glück ein Ringelnatz-Bändchen. Auf seinen Bleistiftskizzen ist eine Eckkneipe zu sehen, aus der drei Betrunkene stolpern. Über dem Kuchen seiner Frau erklärt er, wie das Licht fallen soll, was er noch alles verändern wird, bevor es malt. Aus der Erklärung sprechen Kenntnis, Ehrgeiz und Akribie. Als er den Lichteinfall mit schneller Handbewegung illustriert, neigt sich die Glut seiner Zigarette bedrohlich, fällt aber weder auf Blatt noch Kuchen, sondern Glück nimmt erneut einen tiefen Zug und brummt: „Was ich male, ist Pille-Palle, Unterhaltungskram.“ Er schaut über die Ränder seiner Brille: „Aber das Unernste ist mein Geschäft. Wenn ich jetzt anfange, vor Ihnen so zu tun, als sei ich ein großer Künstler, ist das lächerlich. Ich wohne hier ganz bürgerlich und mache eine bürgerliche Kunst.“ Für solch „bürgerliche Kunst“ bekam der mittlerweile 64-jährige zahlreiche Buchveröffentlichungen und Ausstellungen in ganz Europa . Denn tatsächlich: Wenn zwei ehrgeizige Nachbarn ein Heimtrainerrennen fahren und die Pointe auf Französisch gedruckt ist, können sie plötzlich nur noch eines sein: Spießige Franzosen.

Der Schlüssel zu Glücks trockenem, europäischen Witz liegt nicht allein im Bild, sondern in nur zwei Textzeilen darunter: Sie erklären scheinbar nur das Sichtbare, erweitern es damit aber um eine weitere Dimension der Glückschen Lakonie und Absurdität.

„Spitzwegige“, europäische Spießer

Als Glück in den siebziger Jahren für die Süddeutsche Zeitung arbeitete, war sein Stil noch anders: „Ich wollte gar keinen Text, denn ich war fasziniert von dem Gedanken, Bilder wie ein Pantomime zu vermitteln - in der Tradition großer Zeichner wie Chaval oder Stangenberg zu stehen, die auch ohne Worte witzig waren.“ Was er nun macht, ist in der Kunstgeschichte im Grunde etwas Avantgardistisches: Statt politisch zu argumentieren, Hässlichkeit noch zu überzeichnen, sind seine Karikaturen zuerst einfach schön anzusehen - wie er selbst in Anlehnung an den Biedermeierkünstler sagt: „Spitzwegig“. Doch liest man den Text, wird der Liebreiz lustig und die Botschaft boshaft.

Die Inspiration für seine Figuren findet er in der Zeitung, im Fernsehen - und eben in Nachbars Garten. Dort haust für ihn der Inbegriff der Spießigkeit: „Einer zum Beispiel bedroht die ganze Gegend mit dem Anwalt. Er misst mit dem Zollstock den Abstand meiner Hecke!“ Im Grunde ist er ihnen dafür dankbar, fast müsste er ihnen Tantiemen zahlen: „Meine Nachbarin ist eine dieser unglaublich kräftigen Frauen. Einmal spielte sie im Garten mit einem Ball und einem winzigen Hund. Ich habe sofort Skizzen gemacht und das Bild dann `bedrohte Tierwelt´ genannt.“ Glück lacht das Lachen eines frechen Jungen und zündet sich die nächste Zigarette an. Seit fast drei Jahrzehnten malt er zuhause. Dabei raucht er nicht nur, sondern trinkt, nach eigenen Angaben, auch literweise Kaffee. Auch in seinem Haus zeichnet er nicht nur. „Moment“, grinst er, verschwindet aus dem Esszimmer und kehrt mit der Plexiglassilhouette eines ulkigen Hundes zurück, die auf ein Kantholz geschraubt ist. „Es hat mir Spaß gemacht, an Weihnachten ein bisschen mit der Laubsäge rumzufummeln.“ Den „kalten Hund“, wie Glück ihn nennt, kann man von unten mit einer LED beleuchten. Dann schillern die Kanten blau und er wird zur Karikatur. Glück schafft nicht nur Augenzwinkerndes für die Öffentlichkeit, sondern er sammelt wie Picasso alles Mögliche und bastelt Unikate für seine Familie. Doch diesen Vergleich weist Gerhard Glück bescheiden von sich. „Kalte Hunde könnte ich auch mit Politikern aus Plexiglas machen. Und dann teuer vermarkten.“ Aber eine solch schnöde Strategie glaubt man Glück nicht, der für einen Moment gar die Zigarette im Mund vergaß.

Mag er auch um seine eigene Spießigkeit wissen - er raucht mit der rebellischen Coolness des jungen Jean-Paul Belmondo.