Die Roma - größte «transeuropäische» Minderheit
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marina rudyakIn Europa gehören die Roma in den Bereich der Minderheitenproblematik. In einer Europäischen Union ohne Grenzen bewegt sich dieses verkannte Volk zwischen Integration und Diskriminierung - ohne jedoch seinen Platz gefunden zu haben.
«Das fahrende Volk», «Zigeuner». Diese vereinfachenden Bezeichnungen werden die wahre Identität der etwa 10 Millionen in Europa lebenden Roma kaum gerecht. Ursprünglich in Nordindien beheimatet, hat im 12. Jahrhundert ihre Migration nach Osteuropa begonnen. Heute stellen sie die größte nationale Minderheit in Europa dar. Eine immer größer werdende Europäische Union (EU) kann diese nicht länger ignorieren. Zwei Drittel von ihnen leben in Zentral- und Osteuropa, ein großer Teil von ihnen in den EU-Beitrittsländern für das Jahr 2007, Rumänien und Bulgarien.
Ein Wort, ein Land
Die Vermischung von Bezeichnungen, die durch die Verwendung verächtlicher Begriffe entstand, ist jedoch noch lange nicht verschwunden und so neigen allmählich die Konturen der Roma-Identität in der Vielfalt der ihr gegebenen Namen zu verwischen. Die in Europa wohl am häufigsten verwendete Bezeichnung ist «Tzigane», doch spricht man auch oft von den «Zigeunern», den «Roma», den «Manusch»..., ohne dabei irgendeine Art von Differenzierung zu treffen. Diese Ungenauigkeiten haben sich auch auf die Übersetzungen ausgewirkt und auf diese Weise zu dem Problem beigetragen. So ist es viel schwieriger geworden, dem reinen sprachlichen Gebrauch zu entnehmen, dass es sich bei dem «Fahrenden Volk» nicht notwendigerweise durchweg um Roma handelt und es umgekehrt auch Roma gibt, die sich für ein sesshaftes Leben entschieden haben. Oftmals ist es die Suche nach Nahrungsmitteln oder nach einer Form von Selbstverwirklichung, die bestimmte Gruppen dazu bringt, sich für einen nomadischen Lebensstil zu entscheiden. Schließlich hat die internationale Gemeinschaft den Namen «Roma», als Überbegriff eingeführt, für die europäische Minderheit indischer Abstammung, deren Ursprung in der Migration im achten Jahrhundert liegt.
In den Medien werden die Roma regelmäßig stigmatisiert und oft als Fremde unter den nationalen Bevölkerungen dargestellt. Mitte Januar 2005 hat der in Spanien - dem westeuropäischen Land, das die größte Zahl gitanos zählt – eskalierte Skandal die anhaltenden Spannungen offenbart. Auf Grund einer Demonstration in Folge eines Mordattentats ist ein ganzes «Zigeuner»-Viertel Opfer von Plünderungen geworden. Mehrere Demonstranten legten Feuer in den Scheunen, warfen Autos um und warfen sogar aus Rache Steine in die Fenster einiger Häuser. Der Hass gegen die Gemeinschaft der «Zigeuner», der seit langem erstickt zu sein schien, ist nach Jahrzehnten des Zusammenlebens erneut entfacht.
Im Vereinigten Königreich nehmen die Travellers, wie die reisenden Zigeuner dort bezeichnet werden, einen größeren Platz in den politischen Entscheidungen ein, als die Roma in engeren Sinn. Die Gypsies sind zum Wahlkampfthema für die Unterhauswahlen am 5. Mai geworden. In Zusammenhang mit den illegalen Zeltcamps ließ der Konservative Michael Howard verlauten, dass die Menschenrechtscharta dem fahrenden Volk die Möglichkeit gebe, ungestraft Gesetze zu verletzen. Sogar Zeitungen wie The Sun und Daily mail haben sich mit der Behauptung eingemischt, die Regierung begünstige diese Bevölkerungsgruppe.
Die letzte deutsche Meldung in Zusammenhang mit den Roma betraf die Stadt Ravensburg. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma äußerte die Ansicht, dass die Behörden eine Teilschuld an den rassistischen Handlungen gegenüber ihren Volksangehörigen trage. Die Staatsanwaltschaft hatte in der Tat das Untersuchungsverfahren gegen einen Mann eingestellt, der bei einem Faschingsumzug im März letzten Jahres eine Fahne mit der Aufschrift «Zack, zack, Zigeunerpack» an einen Panzer angebracht hatte. Solche Vorkommnisse dürften die Behörden jedoch nicht gleichgültig lassen.
Anfang April hat die Soziologin und Autorin eines Buches über die rumänische Migration Dada Diminescu in der französischen Zeitung Le Monde an den Unterschied zwischen den eingewanderten Roma und dem rumänischen Volk, den Rumänen erinnert, die in der öffentlichen Meinung oftmals verwechselt würden. Ihrer Meinung nach sind es die regelmäßig durch Paris und Lyon durchreisenden Roma, die im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Sie setzen ihre Nomadentradition fort, bleiben fest in ihren Klans und Familien verwurzelt, während « die Rumänen einen Prozess der Individualisierung durchmachen, der dazu beiträgt, dass sie sich leichter in die europäische Gesellschaft einfügen.»
In Zentral- und Osteuropa ist die Volksgruppe der Roma besser bekannt. Sie sind in den Gebieten zahlreicher vertreten, in die sie vor zwei Jahrhunderten aus Nordindien gekommen sind, als sie ihre Migration in Richtung Westen begannen. Eine halbe Million Roma lebt heute in Ungarn, fast genauso viele in der Slowakei und etwa 250.000 in der Tschechischen Republik, während in den EU-Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien zwischen zwei und drei Millionen Roma leben.
Vereint in der «europäischen Identität»
Existenz bedeutet jedoch keineswegs gleich Anerkennung. Auf Grund der zahlreichen Diskriminierungen , denen viele Roma in diesen Regionen zum Opfer gefallen sind, bilden sie von nun an eine Zielgruppe der Integrationspolitik. Tatsächlich werden sie von der Gesetzgebung als eine Minderheit definiert, die von den neuen und zukünftigen EU-Mitgliedern berücksichtigt werden müssen, wenn sie ihre Chancen im Beitrittsprozess verbessern wollen.
Und dabei haben die Roma das höchste Maß an «europäischer Identität» in Bezug auf die Integration der EU vorzuweisen. Ganz gleich ob sie das Nomadentum praktizieren oder nicht, die Freiheit steht für sie in der Werterangordnung an erster Stelle und sie erkennen keine Staatsgrenzen als Einschränkung der Bewegungsfreiheit an. Sie definieren sich selbst als «eine Nation ohne Territorium», als «europäisches Volk» und sie fordern, überall in Europa zu Hause sein zu dürfen. Der Widerstand, dem sie sich ausgesetzt sehen, zeigt, welcher Herausforderung sich die erweiterte Europäische Union wird stellen müssen, um den Prozess der Integration zu bewältigen.
Vielleicht wird die Presse eines Tages über die Roma in der Rubrik Europa und nicht in den nationalen Nachrichten berichten, so wie es heute der Fall ist, da die Roma als Fremde innerhalb der nationalen Bevölkerung gesehen werden. Wenn die Medien soweit sein werden, dann endlich wird man auch ohne Zweifel von einer europäischen Integration sprechen können.
Translated from La plus grande minorité « transeuropéenne »