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Die Räumung von Liebig 14

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Sergio Marx

Berlin

Die Polizei hat gestern das besetzte Haus in der Liebigstrasse 14 geräumt. Clemens Franke war dort, kurz vor dem Angriff. Ich war nun heut morgen am und auf dem Bersarinplatz, sowie den umliegenden Straßen unterwegs, auf der Suche nach Eindrücken, bewaffnet mit einer analogen Kamera.

Ich fand die erwartete Wimmelei von jungen Leuten, im entsprechenden Dresscode (urban-paramilitärisch), auf der Suche nach dem Event, na gut ...

Weiters gab es  Ü-Wagen von N24; RTL / ntv bis Radio 1.  Den Grund für dieses vergleichsweise große mediale Interesse hab ich noch nicht ganz verstanden. Womöglich wäre es in einem Bezirk wie Neukölln, oder Wedding verhaltener ausgefallen. Selbst dem in Köln produzierten Deutschlandfunk war aber die Räumung der Liebig 14 eine Tagesmeldung wert. Ecke Weidenweg sah ich einen stämmigen Punk mit Gitarre. Er beherrschte sein Instrument recht gut und gab ein paar Stegreiflieder zum besten. Es waren Songs voll freundlicher Spitzen und melodiösem Geschrammel. Dem  Beamten in Montur unmittelbar vor ihm, stand sogar ein Lächeln ins Gesicht geschrieben. Es herrschte so etwas wie verhaltene Volksfeststimmung. Schaulustige/ Sympathisanten und Polizei begegneten einander eher wie alte Bekannte. So ist das in Deutschland -  eine Mischung aus solider Organisation und Demo-Folklore. Es gab sogar Vokü.

An der Straßenbahnhaltestelle ergaben sich Gespräche. Eine ältere Dame sagte "Die wolln ja imma gleich reich werden, Sozialwohnungen jehörn darin" und ich konnte nichts anderes, als ihr nickend zuzustimmen. Natürlich, als Immobilienbesitzer hat man auch eine Verantwortung gegenüber dem Stadtbild bzw. dem sozialen Millieu. Die Praxis sieht aber anders aus: Jemand von irgendwo, kauft eine begehrte Berliner Immobile und darf damit tun, was er will, weil es sein EIGENTUM (die heilige Kuh des Landes) ist und wenn er Eigentumswohnungen darein setzen möchte, oder einen Swimmingpool aufs Dach setzen, dann tut er das. Zum Beispiel einen Pool auf dem Dach zu haben, das hat aus seiner Sicht sogar "Stil". Es geht bei dieser ganzen Angelegenheit hauptsächlich um unterschiedliche Wahrnehmung des Ortes, darum welchen emotionalen Bezug man als Einzelner zum Ort hat/ bzw. im Lauf der Zeit entwickelt. Den Eigentümer interessiert sein Eigentum, das Stadtviertel ist für ihn zunächst unwegsames Land, eventuell nur eine Art Umgebung, gespickt mit Hindernissen. Ein Anwohner, ohne Eigentum, der hauptsächlich Nutzer ist, hat womöglich hingegen einen stärkeren Focus auf die Umgebung, als auf die eigene Wohnung. Er nimmt in Kauf ohne Sonnenlicht aufzuwachen, weil dafür die und die Kneipen in der Umgebung sind, Freunde in der Nähe wohnen etc. 

Meiner Meinung nach ist die Stadt/ die Politik in der Pflicht solchen Konfliktlagen zuvorzukommen bzw. sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Vielleicht bin ich naiv mit dieser Forderung, doch das Interesse einer Mehrheit ist wichtiger, als Einzelinteressen und durch Wohnraumvertrieb soll niemand reich werden können. Darin sind sich die alte Dame und ich einig.

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