Die Post-Erasmus-Depression
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Wieder ist September. Reisezeit für die 400.000 europäischen Studenten, die für ein Erasmusjahr in einer von Hunderten Universitätsstädten ihre Zelte aufschlagen werden. Gleichzeitig ist es aber auch die triste Zeit der Rückkehr (zur Routine) für die etwa 350.000, die mit dem vergangenen Studienjahr unvergleichliche Erfahrungen gemacht haben, die meistens ihr Leben verändern werden.
Zumindest für ein weiteres Jahr (oder ein Semester). Denn nun heißt es, die alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen und dann ist sie da, die ‚Post-Erasmus-Depression‘.
Gibt man den Ausdruck bei Google ein, erscheint keine einzige psychologische Seite (nicht einmal eine pseudopsychologische). Dafür bin ich bei der Suche auf die intelligente Diplomarbeit von Fiorella de Nicola gestoßen, Die Antropologie des Erasmusprogramms. Wie es der Zufall will, stammt Fiorella – die ihr Erasmusjahr 2004/05 in Alicante verbracht hat – aus demselben Ort wie ich, aus Cava de‘ Tirreni. (Ich habe mir einn Spaß erlaubt und die beiden Städte zu einer Collage zusammengefügt. So schön die unsere ist, aber ob Fiorella dieselben Erkenntnisse gewonnen hätte, wenn sie nach Helsinki gefahren wäre?)
Foto: Pedro Prats Michael Khoo/Flickr.com
In jedem Fall gelingt ihr ein äußerst scharfsinniges Bild des Seelenlebens der Erasmusstudenten in den letzten Tagen ihres Aufenthalts:
„Noch wissen sie nicht, dass sie zuhause das ‚Post-Erasmus-Syndrom‘ erwartet. Wie grässlich ihnen alles erscheinen wird, die Stadt eiskalt (oder unerträglich heiß), die Universität unglaublich langweilig, das Fernsehprogramm unendlich öde, die Freunde stessig – es steht ihnen eine Riesendepression bevor, von den Ausmaßen eines Hochhauses in Kuala Lumpur. Alles, was nicht Erasmus ist, erregt ihre Abscheu. So erleben es alle, wenngleich in unterschiedlicher Intensität und Dauer. Und da ein Syndrom einen Übergangszustand bezeichnet, kann, besser: muss dieser sogar eine Weile andauern. Aber genauso muss er auch sein Ende haben, um nicht in Melancholie überzugehen.“
Überzeugend ist auch, was sie über den veränderten Begriff von Identität schreibt:
„Alles in allem handelt es sich um eine Erfahrung der ‚Entfremdung‘, der Heimatlosigkeit. Und dies nicht, weil wir keine Heimat hätten (so pathetisch das klingen mag). Sondern weil es nunmehr zwei Heimaten sind – oder zumindest mehr als eine: unsere eigentliche, in der wir geboren und aufgewachsen sind. Und die, die uns für ein oder zwei Semester ‚adoptiert‘ hat und die auch die Heimat unserer Freunde ist: Deutsche, Franzosen, Portugiesen, Mexikaner, Engländer, Skandinaven, Amerikaner, Kanadier – in Alicante hatten wir unser gemeinsames Zuhause. Und so sind auch, auf eine sonderbare Weise, ihre Heimat, ihre Kultur und ihre Freunde zu einem Teil unserer selbst geworden. Das Gerede von europäischer Identität ist also nicht nur Gerede.“
Ist da was dran? Und wie kommt man aus der ‚Post-Erasmus-Depression‘ wieder heraus? Das ist eine Frage für Eurogeneration. Die Diskussion ist eröffnet.