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Die Poesie der Straße

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"Mir reicht eine Hütte zum Leben und Schlafen, / mir reicht ein Stückchen Erde..." Wenn dieses kleine Lied zu hören ist, können die Spaziergänger in Verona, Venedig oder Padua schon den "Circo Ambulante" des sizilianischen Jongleurs Antonio Carnemolla sehen. Ein Künstler, der von den Dingen lebt, die ihm die Straße schenkt - und der auch Träume an schöne aber trostlose Plätze bringt.

"... ich suche ein Paar Schuhe, etwas zu Essen, / und habe ichs gefunden, glaub ich ans Morgen!" Antonio Carnemolla pfeift, während er seinen Koffer voller Überraschungen vorbereitet. Es sind die Kinder, die sofort anhalten, sobald sie die Jonglierbälle fliegen sehen. Und dann öffenen auch die Erwachsenen ihre Ohren für ein bisschen Poesie und Staunen von der Straße.

Antonio, dir reicht eine kleine Hütte... Braucht ein Straßenkünstler wirklich nicht mehr?

Das sind die Verse eines Liedes aus einem wichtigen Film, einem Meilenstein des italienischen Kinos, "Das Wunder von Mailand von Vittorio De Sica. Ein Film, den man wenigstens einmal in seinem Leben gesehen haben muss. Dank meinem Vater hatte ich das Glück, diesen Film schon als Kind zu sehen - ich habe viel daraus gelernt: etwa, mich mit wenig zufrieden zu geben, über einen Teller Nudeln glücklich zu sein, andere zu respektieren. Scheint banal, ist aber wichtig.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, Straßenkünstler zu werden?

Ich glaube, das war Schicksal. Es ist auf einmal passiert. Niemand aus meiner Familie hatte Verbindungen zum Zirkus. Alles entstand aus dem Verlangen danach, zu lernen, wie man mit drei Gegenständen jongliert. Und nachdem ich das gelernt hatte, wurde es eine Leidenschaft und dann meine Arbeit.

Und wie wird man Straßenkünstler?

Im Leben trifft man zahlreiche Entscheidungen. Jene, Straßenkünstler zu werden ist nicht einfach aus unterschiedlichen Gründen, die zu erklären nun zu weit ginge. Viele stellen sich das Künstlerleben finanziell unsicher und komisch vor. Aber das hängt davon ab. Sich vernünftig und professionell zu organisieren kann Gewinn bringen. Der ganze Rest baut sich mit dem Herzen auf, mit Optimismus und viel Mut.

Welche Kunststücke zeigst du?

Mein Stil als Jongleur nennt sich "Gentleman Juggler" und ich inspiriere mich dabei an Kris Kremo, einer der Besten Jongleure der Welt für seine Originalität in Klasse und Eleganz.

"Es sind immer neue Leute da"

Als ich Dich das erste Mal in Aktion gesehen habe, gabst Du vor, Dich verbrennen zu wollen. Wie hält man die Menschen auf der Straße an?

Das ist eine Art, die Menge auf einem Platz anzuziehen. Dass ich mich verbrennen will, ist ironisch gemeint. Ironie ist nicht wegzudenken aus dieser Arbeit.

Funktioniert die Menge überall gleich? Oder ändert sie sich?

Sie wechselt ständig, auch in derselben Stadt. Es sind immer neue Leute da.

Waren die Menschen vor zehn Jahren anders? Oder lachen sie immer noch über die gleichen Dinge?

Ich lebe seit zehn Jahren in Padua. Ich habe ein "treues" Publikum und oft ein immer neues. Auch wenn meine Jongliernummern bekannt sind, die Witze, die Bewegungen, der Ausdruck ändern sich. Deshalb lachen die Leute wegen meiner Spontaneität.

Deine Aufführungen schaffen immer auch eine poetische, träumerische Atmosphäre...

Mir gefällt es, Traum und Poesie zu vermitteln, das aber ist eine Sache, die nicht programmiert werden kann. In meinem Hut finde ich immer wieder Zettelchen, auf denen mir Leute danken, dass ich ihnen einen Traum geschenkt hätte, dass ich ihren Tag verändert hätte, ihnen Glück gebracht hätte. Das ist etwas Einzigartiges, sodass ich gar nicht weiß, wie ich es beschreiben soll.

Den klassischen Straßenkünstler bekommt man immer seltener zu Gesicht. Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Die Zeiten ändern sich. Der Fortschritt, die Technologien verändern die Dinge rasch, wodurch sie die Menschen und ihre Gewohnheiten in eine andere Lebensweise mitreißen, als sie einmal war. Man befindet sich überwältigt von Materialismus und Konsumismus und denkt vor allem an Äußerlichkeiten. Und echte, unverfälschte Straßenkünstler sind nur noch Erinnerungen.

Du pflegst auch eine andere Leidenschaft: das Kino. Warum?

Ich bin dem Kino mit 17 Jahren begegnet, das war 1997. Mein Opa war neben seinen zahlreichen Tätigkeiten auch Filmschauspieler. Er wurde mit 70 Jahren von einem italienischen Regisseur entdeckt. Und als ich ihn einmal zum Set begleitete, hat mich wie der Blitz die Idee getroffen, mich mit einer Filmkamera ausdrücken zu wollen, Geschichten mit dem Kino zu erzählen. Ich war jung und dachte, dass es leicht sein würde. Aber heute begreife ich die großen Schwierigkeiten.

Von welchen Dingen handeln Deine Filme?

Ich erzähle von der Welt der Fischer, vom Meer, von Abenteuer und dem Respekt für die Erinnerung.

Was fasziniert Dich am Meer und an der Welt der Fischer?

Sie lassen mich meinem Vater und Großvater näher fühlen. Die Orte, ihre Mienen inspirieren mich zu Geschichten, Träumen.

"Kunst entsteht auf der Straße"

Es scheint eine sterbende Welt zu sein, voll von Melancholie...

Ja, das ist es. Genau deshalb bin ich nostalgisch.

... und voll von Metaphern für das Leben und die Welt?

Jede Geschichte, angelegt in einem kleinen Dorf in Sizilien, verstehe ich als Metapher für die Welt. Das heißt, die Tatsache, das Geschehen hätte auch in jedem anderen Teil der Welt passieren können.

Du hast schon Preise und Würdigungen auf nationalen und internationalen Festivals erhalten. Welcher davon ist Dir der Wichtigste und warum?

Meinen wichtigsten Preis habe ich auf dem "Festival del Cinema di Frontiera" in Marzamemi, einem kleinen Fischerdorf in Sizilien, erhalten. Das ist der Ort, an dem ich das erste Mal mit dem Kino in Berührung kam.

Wo siehst Du die Beziehung zwischen Kino und Straßenkunst?

In dem Film von Charlie Chaplin „Der Zirkus“ und im Film von Federico Fellini „Die Straße“.

Kino und Straßenkunst vereinst Du in dem "Festival sul Mediterraneo": dem ersten Festival in Sizilien, das sich mit den drei Gebieten Kino, Musik und Straßentheater befasst. Du hast das Festival begründet?

Das Festival dieses Jahr war schon seine III. Ausgabe. Mit den Jahren habe ich viele Dinge ausprobiert. Endlich habe ich entschieden, ihm ein präzises Thema zu geben: Kino in Bezug auf das Mittelmeer; und Orte, Düfte, Geschichten und Reiseliteratur zu erzählen. Außerdem gibt es zeitgenössische Schaustellerkunst und Musik. Das Festival fand in Marina di Ragus statt, einem kleinen Ort am Meer im Südwesten Siziliens, den Menschen aus aller Welt besuchen. Dadurch ist das ein Ort des sozialen und kulturellen Austauschs geworden, der Realität und des Traums.

Wie würdest du die Atmosphäre der Straße beschreiben?

Während meiner Vorstellungen: traumähnlich, surreal, filmreif.

Man muss seine Träume verlieren, um sie wiederfinden zu können, hast Du einmal gesagt... Welche Träume musst Du wiederfinden?

Manchmal, in einem unerwarteten Moment unseres Lebens, finden wir Hoffnungen wieder, plötzlich verlorene Träume. Das macht einem klar, nicht den Mut zu verlieren, sondern an das zu glauben, was wir verwirklichen wollen. Man braucht sich nicht entmutigen lassen - gewöhnlich ist es der letzte Schlüssel aus dem Bund, der die Türe öffnet.

Weitere Informationen: www.antoniocarnemolla.com