Die Low-Cost Generation
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jeannette corell-giulianoSie sind Europäer im Alter zwischen zwanzig und dreißig und feiern begeistert die Ära der Niedrigpreise. Noch nie konnte man in Europa so billig fliegen, telefonieren und essen.
Low Cost ist für diese jungen Leute Lebensphilosophie, ein reales Bedürfnis. Ihr Kaufverhalten ist stark von den Preisen geprägt, die diese Art Konsument nur in den wenigsten Fällen als Indikatoren für Qualität empfindet. Von den jungen Europäern im 21. Jahrhundert kann man dieses Porträt zeichnen: Sie sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und haben vergleichsweise begrenzte finanzielle Möglichkeiten, sei es weil sie Studenten sind oder Jugendliche, die trotz ihres oftmals hohen Bildungsniveaus Jahre benötigen um einen sicheren Arbeitsplatz zu finden. Dieses Phänomen ist der ständige Begleiter einer Zeit wirtschaftlicher Stagnation, die fast den ganzen europäischen Kontinent betrifft und in einigen EU-Ländern Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 20% hervorbringt. „Generation Prekarität“ nannte sie café babel in einem kürzlich veröffentlichten Dossier: Sie haben ein nur geringes und unsicheres Einkommen, aber ebenso große Lust, Europa zu (er)leben.
Heute gut... aber morgen auch noch?
Deshalb wird der Preis zum Schlüsselelement. Aber welche Preise werden von unseren europäischen Jugendlichen denn nun eigentlich als angemessen empfunden? Wie preisbewusst sind sie wirklich? Preisbewusst sind sie – und zwar ganz entschieden, erklären uns die Jugendlichen, die wir quer durch Europa befragt haben, wobei die letzte Entscheidung natürlich auch von dem jeweiligen Produkt abhängt. Bei Lebensmitteln wird nicht gespart, erklären sie einstimmig: „Ich ziehe es vor, mehr zu bezahlen, denn was ich esse, soll Qualität haben“ – sagt die Studentin Miriam aus Barcelona. Ebenso denkt die Berlinerin Rahel, die bereit ist, „Produkte aus biologischem Anbau“ zu kaufen, solange es ihre Finanzen erlauben. „Diese Erzeugnisse sind ziemlich teuer“, sagt sie, „aber bei Obst und Gemüse ist es mir das wert, weil ich sicher sein kann, dass es sich nicht um genetisch veränderte Organismen handelt“.
Bei Schuhen und Kleidung hingegen teilen sich die Meinungen: Da gibt es Leute wie Judit aus Budapest, die die Ansicht vertreten, dass die hochwertige Verarbeitung von Schuhen oder eine wirklich gute Brille die Preissensibilität in den Hintergrund drängen kann. Andere, wie Vanessa, geben sich dem Shopping hin, wenn sie schlechte Laune haben, und kaufen dann vor allem Kleidung: „Da kommt meine amerikanische Seite zum Vorschein“ – gesteht die in Brüssel lebende Frankoamerikanerin. In diesem Fall siegt das Serotonin und der Entscheidungsfaktor Preis löst sich in Luft auf.
Dennoch ist keine der Befragten bereit, bei Kleidung in Luxusmarken zu investieren: Wenn man davon ausgeht, dass der Preis im Durchschnitt die Qualität eines Konsumgutes widerspiegelt, sind sich alle einig, dass für bestimmte Marken mehr verlangt wird, einfach weil sie als cool gelten und nicht weil sie wirklich hochwertiger sind. Und die Bereiche Kleidung und Elektronik sind es auch, in denen beim Schlussverkauf im Januar und Juli jeden Jahres am meisten ausgegeben wird.
Kleine Preise + Große Zahlen = Mehr Europa
Kommen wir nun zu den Bereichen, in denen der Preis wirklich den Unterschied ausmacht und die „Sensibilität“ der Eurogeneration, also der Generation, die Europa Tag für Tag bewusst lebt, stark beeinflusst – nicht zuletzt auch dank Low Cost. Schnäppchenflüge, Hard-Discounter, Kommunikationsmittel zu Niedrigstpreisen und eCommerce (vor allem bei der Elektronik) sind nach Aussage der Befragten die vier Angelpunkte. In diesen Sektoren besteht die Möglichkeit, wirklich gute Kompromisse zwischen Qualität und Preis zu finden, sowohl bei den „alltäglichen Genüssen“ (Lebensmittel, Kommunikation, Musik oder Videos) als auch bei den „außergewöhnlichen“. Letztere verlieren durch Low Cost immer mehr ihr Flair von Luxus: Das eklatanteste Beispiel hierfür sind die Flüge, da die neue Preisentwicklung den Lebensstil an sich revolutioniert. Im Gegensatz zu ihren Eltern können sich junge Europäer dank Low Cost-Fluggesellschaften häufigere und weitere Reisen erlauben. Und die Routen sind darüber hinaus nicht auf Inlandsflüge begrenzt, sondern fast immer intereuropäisch. „Mensch, wie viel Europa du dir schon einverleibt hast!“ – sagte kürzlich meine Mutter nach meiner x-ten Reise „made in Ryanair“ – der Fluggesellschaft, die es von April 2004 bis April 2005 auf stolze 28 Millionen Passagiere brachte.
Weitere Revolutionäre, die Schnäppchenpreise und gesamteuropäisches Denken verbinden, sind Skype, MSN Messenger und Google Talk, bei denen sowohl Instant Messaging als auch die interkontinentale Internettelefonie VoIP auf dem Programm stehen. Alles was man braucht, sind ein Paar Kopfhörer und ein Mikrofon. Und die Kosten? Bezahlt wird lediglich die Internetverbindung. Das Ausmaß dieser Veränderung lässt Gigantisches ahnen: Allein Skype, das jüngst von eBay übernommen wurde, verzeichnet weltweit bereits 55 Millionen Benutzer und bis zum Jahr 2010 rechnet man mit insgesamt 197 Millionen VoIP-Anwendern.
Und die Zukunft lässt diesbezüglich wahrhaft innovative Potenziale erkennen: So können beispielsweise Sprachkurse mit Muttersprachlern organisiert werden, an denen jeder Interessierte von seinem Heimatland aus teilnehmen kann. Für Linda, Studentin aus Budapest, und Sara, Hochschulabsolventin in Politikwissenschaften aus Rom, ist dies heute schon Realität. Im Zeichen ausgeprägter Internationalität stehen auch die Produkte der Hard-Discounter, deren Preis-Leistungs-Verhältnis auch bei jenen jungen Europäern hoch geschätzt ist, die wie Miriam und Rahel der Qualität von Lebensmitteln absolute Priorität einräumen. Pasta von Lidl, dem gleichnamigen Discounter, wird zum Beispiel in Italien hergestellt, in ganz Europa vermarktet und glänzt mit allgemein anerkannter, exzellenter Qualität.
Low Cost aus Notwendigkeit oder als Philosophie: Jugendliche ziehen es vor, ihr begrenztes Budget in Lebensqualität zu investieren, die in einer realen Qualität der erworbenen Konsumgüter und Dienstleistungen Ausdruck findet. Der Preis wird somit zu einem Faktor, der kritisch analysiert werden muss, weil er nicht selten Indikator für Scheinvorteile ist. Daher blühen auch weiterhin Online-Communities zum Informationsaustausch und mit Tipps über die günstigsten Angebote, wie beispielsweise die italienische Webseite Zingrate.com, die sich dem Thema Low Cost in gesamteuropäischem Format widmet ... mittlerweile ist es Volksbrauch.
Und was bringt die Zukunft? Low Cost in noch mehr Bereichen, also Europa für jedermann.
An diesem Beitrag haben mitgearbeitet: Judit Járadi aus Budapest, Vanessa Witkowski aus Brüssel, Rahel Weingaertner aus Berlin, Miriam Rodríguez aus Barcelona und Letizia Gambini aus Florenz
Translated from Generazione low cost