Die Liebe über den Eisernen Vorhang
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Die Liebe liebt das unbekannte: Die "Mädchen aus dem Osten" faszinierten die Westmänner, im Ostblock waren die Westler nicht nur Mythos vom Latin Lover oder korrektem, betuchten Westdeutschen, sondern stets auch ein möglicher Schritt in die Freiheit.
Was die Liebe angeht, waren die Grenzen auch im geteilten Europa nie ein Problem. In der sozialistischen Ära waren die binationalen Paare keine Seltenheit. Im Gegenteil, die "Mädchen aus dem Osten" waren im Westen sehr beliebt für ihre Außergewöhnlichkeit, Gelehrigkeit, Bescheidenheit und Sparsamkeit. Junge Tschechinnen, Slowakinnen und Polinnen entdeckten schnell ihre Chance, den eisernen Vorhang zu überwinden. Hunderte haben sich nach Deutschland, Holland und Österreich verheiratet, um aus dem Osten zu fliehen. Ungefähr 300 Frauen verließen die Tschechoslowakei jährlich auf diese Weise, was bei 90 000 geschlossenen Ehen einen Anteil von 0,3% ausmacht. Die transnationale Ehe war eine einfache Weise, einen westlichen Pass zu bekommen und somit die Staatsangehörigkeit eines freien Staates zu gewinnen. Männer hatten es dabei merklich schwieriger, da sie vom Staat achtsamer bewacht wurden. Ihre Anträge wurden von den Behörden in 90% der Fälle negativ bewertet, wenn es sich um Männer im produktiven Alter handelte. Älteren Bürgern wurde die mauerüberwindende Ehe eher gestattet, da der Staat durch die Ausreise von der Sorgepflicht für die Alten entbunden wurde, vor allem was Rentenzahlungen anging.
Fluchtehen
Dass die Liebe nicht immer echt war, liegt auf der Hand. Vielen Ausreisewilligen, besonders Frauen, schien die Heirat mit einem Westler oft die einzige Chance, den Osten "legal", und vor allem mit der Aussicht auf eine Wiedereinreise-Erlaubnis verlassen zu können. Grundlage der Mischehen war das Helsinki-Abkommen von 1975, deren Vereinbarungen, u.a. im Bereich der Menschenrechte, dem Ost- und Westblock in Europa zu einem geregelten Miteinander verhelfen sollten. Bei den inszenierten "Fluchtehen" war oftmals viel Geld im Spiel: Die Ostberliner Krankenschwester Daniela lernte 1987 den Westdeutschen Peter G. kennen und bot ihm 25000 Mark, wenn er sie ehelichte. Um nicht den Argwohn der DDR-Behörden zu erregen, wurde die falsche Liebe generalstabsmäßig inszeniert. 1989, nur wenige Monate vor dem Fall der Mauer, gelang der Plan schließlich, Daniela konnte in den Westen reisen. "Ausreise mittels Ehemann" schien vielen als der sicherste Weg der Flucht aus dem Osten.
Nach der Wende in 1989 sind manche Paare wieder in den Osten gezogen, um dort ein neues Leben anzufangen. Man konnte mit den westlichen Erfahrungen ein profitables und schnell wachsendes Unternehmen aufbauen. Somit hat die Liebe auch zum Wachstum der Infrastruktur in Zentral- und Osteuropa beigetragen. Doch am Drang zurück in die Heimat zerbrachen in den 90ern auch viele der ostwestlichen Beziehungen. Die Frauen aus dem Osten hatten an Selbstbewusstsein gewonnen und wollten nicht mehr nur als die "Anpassungsfähige" betrachtet werden. Diejenigen, die die Liebe nicht verlassen hat und die aus geschäftlichen Gründen nicht gemeinsam umsiedeln wollten, führen eine Wochenendbeziehung. Laut einem in Prag lebenden binationalen Paar lassen sich solche Familien meistens in der Nähe vom Flughafen nieder, versuchen die verlorene, gemeinsame Zeit an Wochenenden oder im Urlaub zu ersetzen und ziehen ihre Kinder zweisprachig groß.
…zum Beispiel Rosa Luxemburg
Vor mehr als 100 Jahren hatte "Frau Gustav Lübeck", bekannt unter ihrem Mädchennamen Rosa Luxemburg bereits die Vorteile einer Westehe erkannt: Die Politikerin heiratete 1898 als russische Staatsangehörige einen Preußen. Die Scheinehe brachte ihr den deutschen Pass ein und schützte sie vor der Ausweisung ins Zarenreich.
Mit der EU-Erweiterung ist der politische Aspekt der Ost-West-Beziehungen heute in den Hintergrund getreten, und zwischen Italienern und Tschechinnen, Französinnen und Polen, Deutschen und Lettinnen flüstert man immer öfter aus ganzem Herzen: Miluji te, ti amo, je t'aime, kocham cie, ich liebe dich, es tavi milu, oder ganz einfach in Europas lingua franca: I love you…