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Die Kreuzberger Mischung

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Default profile picture lena meier

In den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln leben viele Immigranten, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Doch Verhältnisse wie in manchen französischen Vororten herrschen hier noch nicht.

„1. Mai! Revolution!“ Der Ruf durchbricht die November-Idylle auf dem Kreuzberger Kinderbauernhof im Görlitzer Park. Der Krawallbruder hat braune Milchzähne. Sein Grinsen ist frech aber nicht unsympathisch. Wie es sich für einen echten Randalierer gehört, schwingt er einen Stock über seinem Kopf, der in Größe und Form an einen Baseballschläger erinnert. Allerdings greift jetzt schnell ein älterer Freund ein, so dass der Erstklässler keine gewalttätigen Ausschreitungen lostreten kann.

Derzeit stellen sich deutsche Medien die Frage, ob es hier in Kreuzberg wie in Frankreich zu Randalen kommen könnte. Denn Kreuzberg und das angrenzende Neukölln gelten als sozial schwierige Viertel. 2004 betrug der Anteil der Sozialhilfeempfänger laut dem Statistischen Landesamt Berlin in beiden Stadtteilen über 13 Prozent. Der Ausländeranteil ist in manchen Gegenden so hoch, dass sich die Integration schwierig gestaltet. In einigen Straßen übernehmen Banden von türkischen oder arabischen Jugendlichen nachts das Kommando.

„Irgendwo brennt es immer“, sagt die Sozialarbeiterin Marina, die ihre Arbeit in einer Kreuzberger Kirchengemeinde als „Mädchen für alles“ beschreibt. Unter anderem betreut sie das Jugendcafé. Während sie die Blumen vor den Fenstern der Gemeindeverwaltung gießt, berichtet sie von den Kindern in den Kreuzberger Ghettos. „Natürlich brodelt in den Jugendlichen die Wut. Sie fühlen sich ausgegrenzt aus der Gesellschaft und wissen nichts mit sich anzufangen.“ Wenn Marina über Elend und Gewalt in Kreuzberg spricht, muss sie die Gießkanne abstellen. Dann braucht sie Freiraum zum Gestikulieren. Schon lange ist sie der Meinung, dass Kreuzberg ein Pulverfass ist, das beim kleinsten Funken explodiert.

„Alle Menschen haben die gleichen Rechte“

Das scheint auch auf Neukölln zuzutreffen. Vor einem Kiosk in einer ruhigen Wohngegend mit eintönig grauen, aber gepflegten Altbauten, lümmeln drei Jugendliche auf einer Bank und rauchen. Aslan, Hamadi und Don Montana nennen sie sich, ihre richtigen Namen möchten sie lieber nicht nennen. Noch ist hier alles ruhig, auch wenn Hamadi immer wieder mit nervösen Blicken das Geschehen auf der Straße kontrolliert. Erst später werden mehr junge Männer, an diesem Treffpunkt zusammenkommen. Dann brechen sie in Handy- und Schmuckläden ein oder überfallen Anwohner und rauben sie aus – das behaupten sie jedenfalls. Die Krawalle der französischen Jugendlichen halten die drei vor dem Kiosk für gerechtfertigt. „Alle Menschen haben die gleichen Rechte“ sagt Hamadi, „und in Frankreich werden die Jugendlichen in den Vororten ungerecht behandelt.“ Und weil er dieses Gefühl sehr gut kennt, prophezeit Aslan für Neukölln Pariser Zustände - und Schlimmeres.

Doch anders als viele französische Jugendliche glauben Aslan, Hamadi und Don Montana nicht, dass sie ihr Viertel unbedingt verlassen müssen, um ein besseres Leben führen zu können. Sie sind stolze Neuköllner, die sich dem Kiez verbunden fühlen. Sie sind hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Hier liegen ihre Wurzeln, deshalb wollen sie auch nicht weg. „Aber“, so erklärt Aslan „uns fehlt ein Raum, in dem wir uns treffen und aufhalten können.“

Hippe Cafés und türkische Männervereine

Im Herzen von Kreuzberg gibt es einen solchen Raum, nämlich das Jugend- und Kulturzentrum „Naunynritze“ in der Naunynstraße. Es ist in einem alten Backsteingebäude untergebracht. Als erstes fällt hier der professionelle Umgang der Jugendlichen mit neugierigen Reportern auf. „Wir haben schon alles gesagt.“ Und: „Nein, in Kreuzberg wird es keine Randalen wie in Frankreich geben.“ Man ist genervt, weil hier täglich Journalisten vorbeikommen und die immergleichen Fragen stellen. Die letzte Ansage eines Jungen, bevor es sich endgültig abwendet, spricht für sich: „Zuviel quatschen bringt nur Schwierigkeiten.“

Die Umgebung rund um das Zentrum ist typisch für den Bezirk: Renovierte Altbauten wechseln sich ab mit schäbigen Neubauten, die mit zahlreichen Satellitenschüsseln bestückt sind. Hippe Cafés und türkische Männervereine liegen dicht beieinander und hinter den Betonklötzen am Kottbusser Tor, einem Treffpunkt von Junkies und Alkoholikern, beginnt die Partymeile. Das ist die besondere Kreuzberger Mischung aus Lebensstilen und Bevölkerungsschichten. Sie bewirkt, glaubt Michael Homberg, Erzieher auf dem Kinderbauernhof, dass „die Unterschiede nicht so krass wie in Frankreich sind.“

Kreuzberg und Neukölln sind keine Ghettos, wie man sie vor den Toren vieler französischer Großstädte findet. Noch sieht man in Kreuzberg Szenen wie diese: Aus einer Torausfahrt tanzt eine türkische Hochzeitsgesellschaft heraus. Einige Vorübergehende unterschiedlicher Herkunft bleiben stehen und schauen zu. Am Schluss klatschen sie.

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