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Die Iraker wollen mehr von Europa

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Vor einem Jahr verpflichtete sich die EU, den demokratischen Wiederaufbau im Irak zu unterstützen. Was ist seither geschehen?

Mit den Wahlen im Januar 2005 legten die Iraker den Grundstein für einen demokratischen Wiederaufbau. Doch angesichts andauernder Gewalt wird es dem Land alleine kaum gelingen, innere Sicherheit und Demokratie herzustellen. In einer gemeinsamen Erklärung mit den USA beteuerte die Europäische Union vor einem Jahr ihre Unterstützung bei Armutsbekämpfung, Stärkung der Regierung und der Zivilgesellschaft sowie Durchsetzung von Menschenrechten. Welche Taten ließ die EU den warmen Worten folgen?

Zerissenes Land

Die Wahlen im Irak führten zu einer heterogenen Machtverteilung, sowohl auf nationaler Ebene wie auch in den Provinzen. Zwar setzte sich die schiitische Vereinigte Irakische Allianz mit 48,2% der Stimmen durch und verfügt aufgrund von Überhangsmandaten über eine knappe absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Doch den zweiten großen Block bildet die Kurdische Liste mit 25,7% der Stimmen, womit sich islamistische Eiferer, die die Schari’a als Rechtsgrundlage in der Verfassung verankern wollen, und die säkularen, autonomiebestrebten Kurden gegenüberstehen. Als neuer irakischer Ministerpräsident setzte sich der moderate Ibrahim Al-Jaafari durch. Doch die arabischen Sunniten, die „die Wahl unter amerikanischer Besatzung“ zum größten Teil boykottiert hatten, akzeptieren die Wahlergebnisse nur teilweise. Angesichts der andauernden Gewalt und stark entgegen gesetzten Interessen der politischen Gruppierungen bleibt die Lage gespannt.

Wenn sich die Parteien zusammenraufen, wird die verfassungsgebende Nationalversammlung bis 15. August 2005 eine neue Konstitution vorlegen, über die die irakische Bevölkerung zwei Monate später abstimmt. Wird sie angenommen, wählen die Iraker Ende 2005 ein ständiges Parlament. Doch zweifellos wird der Irak auch weiterhin auf internationale Unterstützung angewiesen sein. Besonders, falls die internationalen Truppen, wie von der UN-Resolution 1546 (pdf) vom 06. Juni 2004 gefordert, Ende des Jahres das Land verlassen sollten.

Noch sind europäische Soldaten im Land präsent, allen voran Großbritannien, Italien und Polen. Von der irakischen Bevölkerung werden die ausländischen Truppen jedoch eher als Besatzer denn Befreier betrachtet, wie sich in der andauernden Gewalt gegen die Soldaten zeigt. Die europäische Hilfe im zivilen Bereich konzentriert sich auf den wirtschaftlichen Sektor. Der größte Teil der finanziellen Mittel fließt in den Wiederaufbau von Verwaltungs- und Infrastrukturen, Armutsbekämpfung oder die Unterstützung der Öl- und Elektrizitätsministerien. Lediglich ein Fünftel der 200 Millionen Wiederaufbauhilfe für den Irak sollen in 2005 in Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Entwicklung, zum Schutz der Menschenrechte und zur Stärkung der Zivilgesellschaft fließen.

Europa zögerlich

Dabei ist eine starke Zivilgesellschaft eine entscheidende Voraussetzung für einen demokratischen Irak. Es existieren eine Reihe von Möglichkeiten für die Europäer, sich in diesem Sektor zu engagieren. So hat die neue irakische Regierung die EU gebeten, durch die Einrichtung einer offiziellen Vertretung ihre Sichtbarkeit zu verstärken. Diese zivile Präsenz könnte der Bevölkerung zeigen, dass Europa nicht bloß militärisch engagiert ist. Doch die Europäische Union zeigt sich zögerlich, nicht zuletzt aufgrund der Sicherheitslage. Bei der Ausbildung von Polizisten, Richtern oder über Trainingsprogramme für Politiker, die sich plötzlich in einem Mehrparteienstaat wiederfinden, könnte der Irak von der EU stark profitieren, bestehende Programme können ausgebaut werden. Zudem verfügt die Europäische Union über spezifische Erfahrungen beim Aufbau politischer Systeme, die für den Iraks nützlich sein können. Eine föderalistische Struktur scheint heute die wahrscheinlichste Lösung, um in Zukunft eine stabile Machtverteilung zwischen den drei großen ethnischen Gruppen zu schaffen. Hier verfügt die Union über einen breiten Erfahrungsschatz, mit dem sie dem Irak hilfreich zur Seite stehen könnte.

Die EU muss sich außerdem fragen lassen, warum der Irak nicht, wie seine drei Nachbarländer Syrien, Jordanien und die Türkei, in die Euro-Mediterrane Partnerschaft aufgenommen wird. Die EU schuf dieses Programm, um zivilgesellschaftliche Akteure zu stärken und gleichzeitig regional zu vernetzen. Somit könnte eine bereits vorhandene Struktur genutzt werden, statt mühsam neue Programme zu entwickeln. Die EU sollte ihre Zerrissenheit in der Irakpolitik überwinden und ernsthafte Maßnahmen zur Stabilisierung der jungen Demokratie unternehmen, jenseits der militärischen Engagements einiger ihrer Mitglieder.