Die Ideologie der Hoffnungslosen
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ulrich schwerinIn Frankreich nehmen die Spannungen zwischen Muslimen und Juden zu, es kommt vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen auf jüdische Einrichtungen. Doch die Täter sind oft selbst Opfer sozialer Ausgrenzung.
In den achtziger Jahren demonstrierten Araber und Juden noch gemeinsam in den Straßen Frankreichs. Sie folgten dem Aufruf von SOS Rassismus, von der Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (Licra), von der Bewegung gegen Rassismus und für die Freundschaft der Völker (MRAP) und vielen weiteren Vereinigungen verschiedenster Herkunft, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren. Zwanzig Jahre später gehört diese Zeit der Freundschaft seit langem der Vergangenheit an und in den Vororten im Osten von Paris, wo bedeutende jüdische und arabisch-islamische Gemeinden leben, brennen die Synagogen von Créteil oder die jüdischen Schulen von Gagny. Man sollte sich deshalb eingestehen, was der Bericht des EUMC ohne Zögern bestätigt: Es sind nicht eine Handvoll wirklichkeitsfremder Rechtsradikaler, die solche Dinge tun, sondern junge Männer, Araber oder Nordafrikaner, Muslime auf jeden Fall. Aus Angst, diese Feststellung könnten die Spannungen zwischen den Gemeinden verschärfen, wird der Bericht sehr vertraulich behandelt.
Gewalt ohne Ideologie
Ja, in Frankreich gibt es sehr wohl eine neue Judenfeindlichkeit, die, dies ist deutlich, eine Folge des israelisch-palästinensischen Konflikts ist, der alte Freunde zu verfeindeten Brüdern gemacht hat. Jedoch hätte der Bericht deutlicher machen müssen, dass man nicht alles durch die religiöse Brille sehen darf. Zum einen weil es eine Vereinfachung ist, zum anderen weil es die Gegensätze nur weiter verschärft. Dieser Antisemitismus entspringt keiner Ideologie, sei sie auch religiös, wie das bereits der Fall des Antisemitismus unserer Großväter war. Die Schlussfolgerungen einer Polizeiuntersuchung, die in dem Bericht der EUMC zitiert werden, sind in diesem Kontext aufschlussreich. Sie betont, gestützt auf die Befragung von 42 Verdächtigen nordafrikanischer Herkunft, dass es sich um Straftäter ohne Ideologie handelt, angetrieben von einer diffusen Feindschaft gegenüber Israel, erbittert von der Darstellung des Nahostkonflikts in den Medien, eines Konfliktes, der für sie zum Abbild ihrer eigenen Ausgrenzung und des Scheiterns geworden ist, das sie in Frankreich erleben.
David gegen Goliath, Steine gegen Panzer. Bilder, die in Endlosschleife über die Bildschirme laufen. Wie sollten sich diese jungen Männer nicht mit den Palästinensern identifizieren, die ihnen so nahe sind? Erinnern wir uns, dass ihnen in Frankreich selbst Moscheen fehlen. Ihre Welt ist das Ghetto und ihr Nachbar nicht selten ein Jude, der besser integriert ist als sie. Denn Frankreich beherbergt die bedeutendsten muslimischen und jüdischen Gemeinden Europas. Für sie sind Juden gleich Geld. In Sarcelles heißt das jüdische Viertel "Beverly Hills". Selbst an der Uni von Créteil heißt es bei den Studenten: "die Juden sind jene, die in Kohle schwimmen". Der Klassenkampf ist als Motiv des Antisemitismus nicht zu unterschätzen.
Andererseits, wenn man jung ist, wie es die Mehrheit der Muslime in Frankreich ist, und wenn sich ein politisches Bewusstsein entwickelt, entsteht das Bedürfnis sich mit einem Modell zu identifizieren. In Frankreich jedoch verfügt die muslimische Gemeinde kaum über eine politische Vertretung. Sie suchen sich daher ihre Modelle außerhalb und so wie einige Che Guevara zu ihrem Helden machen, so heißen die ihren, vor allem in den Ghettos, wo die Gewalt verherrlicht wird, Bin Laden oder die Palästinenser, die Stadtguerilla auf jeden Fall, ohne jedoch immer die näheren Umstände zu begreifen. Man muss daher mit der Idee brechen, es handele sich um Gewalttaten der einen Gemeinde gegen eine andere, und verstehen, dass es sich um die Taten von Individuen handelt. Hören wir auf im Schema von Gruppen, von Etiketten oder von Verquickungen zu denken: Das entspräche nur der Logik des Antisemitismus.
Gefährliche Annäherung
Gefährlicher noch ist die Annäherung von Fundamentalisten und der extremen Rechten, insbesondere wenn man damit die Verleugnung des Holocausts fördert. Roger Garaudy, mittlerweile zum Islam konvertiert, genießt im Nahen-Osten eine Bewunderung ohne gleichen. Dank seines Buches, "Les mythes fondateurs de la politique d’Israël" ["Die Gründungsmythen der israelischen Politik"], wurde er von Irans geistigem Führer Khamenei empfangen, in die literarischen Salons Kairos und Frankreichs eingeladen und nun hat sich Tariq Ramadan zu seinem größten Bewunderer erklärt, wenn man der "Libération" glauben darf…
Noch größer als die Gefahr der Banalisierung des Antisemitismus ist die, dass er Eingang in die Politik findet und die Kritik an Israel zu einer Kritik der Juden selber wird. Die Kritik der extremen Linken und der globalisierungskritischen Bewegung am Zionismus richtet sich in Wahrheit nicht selten gegen die jüdische Lobby, diesen "Großkapitalismus", der für sie mehr und mehr zur Obsession wird. Indessen denken selbst die Gemäßigteren oft, dass die Juden, wenn sie sich zwischen Frankreich und Israel entscheiden müssten, Israel wählen würden.
In diesem Kontext wäre es daher ratsam, wenn die jüdische Gemeinde die Beleidigungen nicht auf gleiche Art zurückzugeben würde, in dem sie pauschal behauptet, "die Araber mögen uns nicht". Auch sollten Bemerkungen und Aktionen verurteilt werden, die den Eindruck erwecken könnten, dass die Juden mit Frankreich nichts zu tun haben wollen, denn dadurch wird dem Antisemitismus nur Vorschub geleistet. So etwa die Bemerkungen wie jene von Serge Klarsfeld (2), der allen, die es hören wollten, erklärte: "Frankreich braucht die Juden nicht mehr, als die Juden Frankreich brauchen" sowie die Haltung seines Sohns Arno, der nicht zögerte, für seinen Militärdienst in der Tsahal seine Rollschuhe gegen einen israelischen Kampfpanzer zu tauschen.
* European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia, (Europäisches Zentrum der Überwachung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit). Siehe den Artikel von Martin Schneider.
** Wegen seiner antisemitischen Äußerungen umstrittener muslimischer Theologe, siehe Link
(1) in Nouvel Observateur, 24 Januar 2002, "Juifs et Arabes en France", Claude Askolovitch und Marie-France Etchegoin
(2) In Le Monde, 7 Januar 2004, "Les Juifs français et la France : une autre vision"
Translated from L'antisémitisme, idéologie du désespoir