Participate Translate Blank profile picture
Image for Die ganz alltägliche Apokalypse

Die ganz alltägliche Apokalypse

Published on

Translation by:

Julia Harrer

GesellschaftPolitik

Wie wird die Welt wohl enden? Wird ein Meteorit auf der Erde einschlagen, wie man es aus den finstersten Szenarien der Kinofilme kennt? Oder wird ein Seebeben uns den Garaus machen? Oder muss man für Facebook in Zukunft etwa Geld bezahlen? Steht die Apokalypse unmittelbar bevor, und wir sind zu sehr damit beschäftigt, uns bei FourSquare zu taggen, dass wir gar nichts davon mitkriegen?

Eine Analyse über die ganz alltägliche Apokalypse, um sich schon mal an das Ende der Welt zu gewöhnen.

Ist die Apokalypse schon da? Während der Countdown bis zum schicksalhaften Datum unaufhörlich runterzählt, gibt die Welt eindeutige Signale von sich, dass das Ende bereits in vollem Gange ist.

Untergang der Medienkultur

Die letzte Printausgabe der FTDSie haben am allerschlimmsten über das Ende der Welt gespottet. Doch waren sie schon vorher tot. Owni, einer der Pioniere der französischen Informationsmedien im Netz und des so genannten data journalism, reiht sich nun auch in die Schar der 'Ehemaligen' ein. In Italien stehen fast 70 Zeitungen vor dem Aus, was, wenn es nach den nationalen Schmierenkomödianten ginge, auch kein großer Verlust wäre.

In Spanien wurden 129 Redakteure von El País 'per Mail' nach Hause geschickt, während die Festnahme eines griechischen Journalisten aufgrund der sogenannten Lagarde-Liste und das Durcheinander im italienischen Fall Sallusti die Rechte der Journalisten wieder ins Gespräch gebracht haben.

Um den Feind zu bekämpfen, muss man ihn zunächst einmal erkennen. Oder ihm zumindest einen Namen geben. Nach dem Aus der FTD und der Frankfurter Rundschau ist auch in Deutschland die Angst vor dem "Zeitungssterben” groß. Auch die Wochenzeitung DerFreitag kündigte an, Stellen streichen zu müssen. Und 2013 wird es wohl eher ein Luxus sein, dass der Franzosen noch die Print-Ausgabe der linksgerichteten Tageszeitung Libération unter dem Arm mit sich herumträgt. Bedeutet die Verabschiedung des Gesetzes über die angemessene Entschädigung für freie Journalisten in Italien, dass es bald keine Redaktionen mehr geben wird? 

EU-Sparmaßnahmen

In Italien hatte alles mit der großen Illusion der Technokraten-Regierung begonnen, die sich in Schale geworfen hatte, um schlussendlich an der mitleidigen Sparmauer zu zerbrechen. K-R-I-S-E. In diesen fünf Buchstaben versteckt sich die moderne Apokalypse, die in allen Ländern mit nur einem einzigen Wort übersetzt wird: Unsicherheit. "Empört euch", schrie es bereits 2010 mit Stéphane Hessels Pamphlet - ein Aufruf, den die spanischen Indignados am 15. Mai 2011 und am 25. September 2012 in die Tat umsetzten und die Puerta del Sol besetzten. Auch die Griechen machten ihrer Wut im Oktober dieses Jahres auf dem Syntagma-Platz Luft. 

Die Frage, was die Krise in Europa ausgelöst hat, wurde in allen Sprachen gestellt. Und, da man keine Antwort auf diese Frage findet, nicht mal, wenn man einen Brief ans Ministerium schreibt, entscheidet man sich besser, vor dem Weltuntergang schnell noch das Land zu verlassen. Mit mindestens einer Fremdsprache in der Tasche, versteht sich, um nicht als missverstandenes Superhirn dazustehen. Die Alternative für den Lokalpatrioten hatte die italienische Arbeitsministerin Elsa Fornero: "Seid nicht so wählerisch", empfiehlt sie jungen Italienern für 2013.

Sodom und Gomorrha

"New York hat die Schwulenehe am 25. Juni 2011 legalisiert. Es gab keine negativen Konsequenzen, selbst der Dow Jones blieb stabil."

Ein klares Zeichen dafür, dass die Apokalypse bevorsteht, ist auch die 'Ehe für alle', von der gerade in Frankreich viel gesprochen wird. 2012 war das Jahr der Rückkehr der Homophobie, begleitet von einer erschreckenden Serie von Selbstmorden, Gewalt und widerwärtigen Beleidigungen. Allen voran gab es da die Hardliner unter den Katholiken, die die ukrainischen Aktivistinnen Femen angriffen, Figuren der Apokalypse zu sein - wie ein Feuerregen, der das neue Sodom zerstöre. Die Kampagne von Act Up Paris hat nicht ausgereicht, um die militanten Homophoben davon zu überzeugen, dass die Legalisierung der Schwulenehe nicht den Verderben bringenden Hass Gottes nach sich zieht. Und die jüngste Öffnung des Papstes Richtung Moderne geht wohl nicht über seinen erst vor Kurzem gelaunchten Twitteraccount hinaus.

Um gegen die wachsende Homophobie zu kämpfen, haben US-amerikanische Homosexuelle ein Video gedreht, welches das Blut der heterosexuellen Männer zum Kochen brachte. Dennoch hat die Organisation NationforMarriage in den USA schon fast 80.000 Dollar gesammelt, um gegen die Unvorsichtigen vorzugehen, die "den Schwulen im ganzen Land die Ehe aufzwingen wollen". Und im alten Europa zeigt Italien - obwohl Spanien und Frankreich mittlerweile für die Schwulenehe eintreten - noch immer seine schlechteste Seite in puncto Menschenrechte.

Second Life

Überleben IRL [In Real Life; A.d.R.] war also noch nie so schwer wie heute. Natürlich ist es viel vergnüglicher, bei Facebook von Profil zu Profil zu bummeln. Einer Studie der Universität von Chicago zufolge können heutzutage 42 Prozent der Menschen nicht der Versuchung widerstehen, den Verlauf des eigenen virtuellen Lebens zu kontrollieren. Du hattest den Mut in Krisenzeiten ein Kind zu zeugen? Es zu dokumentieren, von der Ultraschalluntersuchung bis zum ersten Zahn, um den Akt der Geburt festzuhalten? Und dann hast du es auch noch “hashtag” genannt. Ganz nebenbei wird für das gute Gewissen noch ein paar Mal auf "gefällt mir" geklickt und hier und dort schnell noch eine Unterschrift unter eine Petition gesetzt, um ein perfekter “slacktivist” (also Faulenzer und Aktivist zugleich) zu werden, laut Forbes Magazine eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Jahres 2012.

Um der Bulimie des Volkes im Netz entgegenzutreten, hat sich in New York eine Anti-Facebook-Diaspora gebildet. Mittlerweile hat diese im Kampf gegen das wilde Hochladen von Windel- und Stramplerfotos ein Programm entwickelt, das solche Bilder von Unter-Zweijährigen identifizieren und unkenntlich machen kann. Gegen Urlaubsfotos gibt es noch nichts. Allerdings sei nach dem neuesten Istat-Bericht die Hälfte der Italiener nicht in der Lage, eine Woche Urlaub zu machen. 2013 ersparen wir uns somit wenigstens die virtuelle Foto-Apokalypse. Vielleicht.

Illustrationen: ©Giampaolo Macorig/flickr; Im Text  (cc)Financial Times Deutschland ©lahnblog.de; Act Up Paris ©Facebook Act Up Paris; Femen ©Joseph_Paris/flickr; If I Die ©Screenshot ifidie.net; Video: IfIDieApp/YouTube.

Translated from Apocalypse now: istantanee da un mondo sull'orlo della fine