Die Fatwa des alten Europa
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Martin SchneiderDie „perfiden“ Neo-Konservativen sind von den Aposteln des europäischen Denkens exkommuniziert worden. Aber warum boykottieren wir immer noch die demokratische globale Revolution?
Falken. Fürst der Finsternis. Imperialisten. Militaristen. Kriegstreiber. Böse. Sehr böse. Man hat schon seit langer Zeit in Europa keine derartige Streiterei mehr erlebt wie die, die in den letzten Monaten mit wenigen Ausnahmen, die „Neokonservativen“ verurteilt hat. Alle kompetenten Analysten wissen nur zu gut, dass es unter den Verteidigern dieser Doktrin die verschiedensten Sensibilitäten und Profile gibt, genauso wie sie wussten, dass es willkürlich ist, aus ihnen und der Gesamtheit der von der Bush-Administration angeführten Handlungen einen Einheitsbrei zu mischen. Aber das „offizielle Europa“ mit seiner Kultur, seinen Zeitungen und seinen Meisterdenkern ist nicht umzustimmen: So ist es, ohne Widerrede. Die Fatwa hat begonnen. Ohne wenn und aber.
Versteckter Antiamerikanismus
Um grundlegend zu verstehen wie das passieren konnte, wäre ein Psychologe vonnöten, bevor man einen Historiker oder einen Politologen befragt. Man weiss, dass die europäische Kultur auch kommunistische, faschistische und klerikale Wurzeln hat, die sich natürlicherweise vor dem Antiamerikanismus verneigen. Dieser Teil der Gesellschaft stellt sich gegen eine Politik, die auf Freiheit, Demokratie und Individualismus beruht. In diesem Sinne wird der Antiamerikanismus immer mehr zu einem Ort, in dem man der europäischen Regression begegnet, der Rückwärtsgewandtheit auf jedem Gebiet. Aber es wäre, vor allem nach dem 11. September, nicht von Vorteil gewesen eine „antiamerikanische“ Kampagne zu führen. Damals waren wir alle Amerikaner. Man musste also etwas finden, wie man eine antiamerikanische Kampagne führen kann ohne sie beim Namen zu nennen. In diesem Sinne ist der Neokonservatismus das perfekte Alibi.
Permanenter Präventiv-Krieg
Aber kommen wir zu den Tatsachen, zu den eigentlichen „Sünden“ der Neo-Konservativen. Seit langer Zeit haben die USA in der Folge der Kissinger-Ära die Illusion kultiviert, dass man sich mit Diktatoren einig werden könne und haben die mythische Suche nach „Stabilität“ befördert - mit relativen Kosten für die Unterdrückten und Opfer der schlimmsten Regime in der ganzen Welt. Nach dem 11. September liegen die Dinge anders und die Bush-Administration hat, den „perfiden“ Neokonservativen sei Dank, mit dem Leitwort „Regimewechsel“ ein außenpolitisches Programm lanciert, dass mit dem Wahlkampfprogramm Bushs nichts mehr zu tun hat.
Sein Wahlslogan im Jahr 2000 war schlicht isolationistisch – « Amerika muss an Amerika denken ». Die Linken, die heute diesem Programm hinterhertrauern, nähern sich damit dem Rechtsextremen Pat Buchanan an, der der Administration vorwirft, eine Art von „Neo-Wilsonismus“ oder gar eine republikanische Version des traditionellen „demokratischen Interventionismus“ zu betreiben. Und hier kommt man nun zweifellos zum gordischen Knoten, dem „Präventivkrieg“. Aber die Steinigungen der vergangenen Monate erscheinen pharisäisch: Hat die UNO die Bombardements von Clinton im Irak oder die NATO-Mission im Kosovo autorisiert? Wo waren damals all diejenigen, die heute mit den Wölfen heulen? Warum haben sie nichts gesagt?
Geht man noch weiter, so ließe sich nicht nur ein Präventivkrieg, sondern ein richtiggehender „permanenter Präventivkrieg“ denken. So könnten Diktaturen mit dem Ziel eines Regimewechsels destabilisiert werden. Dies könnte als Richtlinie einer neuen, noch zu schaffenden Außenpolitik dienen.
Für eine weltweite Demokratie-Organisation
Aber man kann auch andere Mittel als militärische verwenden, die von einem wichtigen Teil neokonservativer Theoretiker vertreten werden. Zuerst muss man damit aufhören, Diktatoren zu unterstützen: Das Abendland muss darauf bestehen, dass die Kooperationsverträge Klauseln für Menschenrechte vorsehen, die zu oft missachtet werden.
Ein zweites Mittel ist der systematische Einsatz von dem, was man « Informationsbomben » nennen könnte. Man braucht ein audiovisuelles, globales Netzwerk, das es Dissidenten jedes Regimes erlaubt, sich ihren Weg in die Freiheit zu bahnen. Und zuletzt wäre, auf eher strukturellerem Weg, eine „weltweite Demokratie-Organisation“ denkbar. Die Demokratien müssen sich zunächst durch die UNO zusammenschliessen, zusammenarbeiten und gemeinsam auf diejenigen Druck ausüben, die diesem Club beitreten wollen. Nachdem ein ständiger Internationaler Gerichtshof geschaffen wurde, ist das unserer Herausforderung für die nächste Dekade.
Translated from La fatwa della Vecchia Europa