Participate Translate Blank profile picture
Image for „Die EU spielt ein doppeltes Spiel mit der Ukraine“

„Die EU spielt ein doppeltes Spiel mit der Ukraine“

Published on

Translation by:

Default profile picture jan ehlert

Der Osteuropa-Experte Michael Natorski über die Regierungskrise in der Ukraine und eine mögliche Aufnahme des Landes in die EU.

Am 27. Oktober findet im finnischen Lahti der alljährliche EU-Ukraine-Gipfel statt. Dabei wird darüber gesprochen werden, wie sich das Land der EU, der NATO und der WTO annähern kann.

Der Zeitpunkt der Gespräche liegt ungünstig. Der ukrainische Präsident Juschtschenko hat in Kiew mit einer Regierungskrise zu kämpfen. Die Koalition seiner pro-westlichen Partei „Unsere Ukraine“ mit der pro-russischen „Partei der Regionen“ des Ministerpräsidenten Janukowitsch ist labil. Fünf Minister von „Unsere Ukraine“ haben letzte Woche ihre Ämter niedergelegt, weil sie Janukowitsch vorwerfen, den vereinbarten pro-westlichen Kurs zu sabotieren.

Der Politologe Michal Natorski von der Universität Barcelona ist Spezialist für die Integration der Länder Osteuropas in die Europäische Union. Er erklärt, warum sich der Weg der Ukraine in Richtung Westen verlangsamt hat. Die Gründe dafür sieht er nicht nur in der ukrainischen Innenpolitik. Die EU habe nicht genug unternommen, Präsident Juschtschenko bei der Legitimierung der Orangenen Revolution zu unterstützen.

Herr Natorski, könnte die EU von einem Beitritt der Ukraine profitieren?

Ein EU-Beitritt ist erst in 10 oder 15 Jahren denkbar. Auch wenn die notwendigen Reformen schon durchgeführt worden wären, gäbe es noch viele Fragezeichen. Eine EU, die in ihrer eigenen Verfassungskrise versinkt, ist nicht in der Lage, die Verhandlungen über einen Beitritt der Ukraine ernsthaft in Angriff zu nehmen.

Der Beitritt könnte dem „europäischen Weg der Demokratisierung“, der sich auf den Willen des Volkes stützt, zum Erfolg verhelfen. Der EU böte sich so die Möglichkeit, ihre Glaubwürdigkeit als richtungsweisende internationale Großmacht zu bestätigen.

Wenn es der Ukraine gelingt, die Macht des Präsidenten zu beschränken und die des Parlaments aufzuwerten, könnte das die These widerlegen, nach der die autoritären Präsidialregime auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion die erfolgreichsten seien.

In der vergangenen Woche gab es in der Ukraine erneut eine Regierungskrise. Was bedeutet das für den Weg des Landes in die EU?

Die Regierungskrise in der Ukraine dauert seit September 2005. Damals zwang Präsident Juschtschenkt die damalige Premierministerin Julia Timoschenko abzudanken. Seitdem verfügt die Regierung über keine stabile parlamentarische Mehrheit mehr.

Die letzten Wahlen vom März dieses Jahres, die Juschtschenkos Erzrivale Janukowitsch gewonnen hat, haben nichts daran geändert. Das Fehlen einer klaren Führung erschwert die Reformen, die ein Beitritt in westliche Organisationen voraussetzt. Dies gilt für die EU und in geringerem Maße auch für die NATO.

Die Teilung der Kompetenzen zwischen der Regierung und dem Präsidenten verhindert eine eindeutige Position in der Außenpolitik. Derzeit findet in Kiew ein interner Machtkampf um die Außenpolitik statt. Die Situation erinnert an die Lage in Polen im Jahr 1997. Damals erstritt sich der ehemalige Präsident Aleksander Kwaniewski das Recht, die Außen-, Innen- und Verteidigungsminister zu ernennen.

In der Ukraine diente die Machtteilung während der Präsidentschaft Kutschmas dazu, das politische Gleichgewicht zwischen Russland und Westeuropa aufrechtzuerhalten. Heute wird diese Politik nicht mehr benötigt. Sie ist vielmehr eine Folge politischer Streitigkeiten, die alle Glaubwürdigkeit und alles internationale Ansehen verspielt haben, die das Land während der Orangenen Revolution gewonnen hat.

Juschtschenko will sein Land in die EU und die NATO bringen. Wie bezieht die EU da gegenüber Russland Position?

Diese Verhandlungen müssten unabhängig voneinander geführt werden. Das liegt im Interesse der Beziehunge der EU zu Russland und der Ukraine. Die Ukraine darf nicht wie ein abhängiger Staat behandelt werden, auch wenn auf der anderen Seite ein so mächtiger Staat wie Russland steht.

Russland hält die Orangene Revolution für gescheitert und weiß besser mit der jetzigen Situation umzugehen als die EU. Die Europäer haben zu wenig aus dem Ausgang der Revolution gemacht. Russland hat sofort seine Außenpolitik umgestaltet und auf Energiefragen gebaut. Die EU war dagegen mit ihrer Verfassungskrise beschäftigt, mit dem möglichen Türkei-Beitritt, mit der Diskussionen über den neuen Finanzmarkt, etc. Mit anderen Worten: Sie hat sich auf ihre eigenen, inneren Angelegenheiten konzentriert.

Auf dem Gipfeltreffen am 27. Oktober wird es um Visa-Fragen und die Ausweisung illegaler ukrainischer Einwanderer aus der EU gehen. Will die EU der Ukraine vorschreiben, wie sie ihr Polizeisystem zu reformieren hat?

Nein. Es wird über Visen für ukrainische Staatsbürger gesprochen, die in die Länder des Schengener Abkommens einreisen wollen. Doch die EU versucht, in das Abkommen mit der Ukraine eine Klausel einzubauen, nach der illegale Immigranten zurückgeschickt werden können.

Auch mit Russland wird es ein Visa-Abkommen geben. Die EU fürchtet nicht nur, dass Flüchtlinge aus der Dritten Welt die Ukraine als Transitland in die EU benutzen. Sie fürchtet sich vor allem vor der Einwanderung von Ukrainern. Daher verhandelt die EU die Visafragen mit der Ukraine, ihrem direkten Nachbarn, so hart wie mit einigen Ländern Lateinamerikas.

Der Hintergrund dieses und der nächsten Gipfels ist ein neues, umfassendes Abkommen zwischen der EU under Ukraine. Diese Verhandlungen sind für die Ukraine in Hinblick auf einen möglichen EU-Beitritt sehr wichtig. Aus Sicht der EU wird das neue Übereinkommen dazu dienen, sich alle Türen offen zu halten. Man will die Ukraine auffordern, sich an die Richtlinien der EU anzupassen, ihr aber keine konkrete Beitrittsperspektive bieten. Sie will das neue Abkommen nicht einmal „Partnerschaftsabkommen“ nennen, obwohl es solche Abkommen sogar mit Ländern wie Mexiko oder Chile gibt.

Translated from Michal Natorski: La UE mantendrá su ambigüedad calculada con Ucrania