Die EU-Kommission auf Literatur-Tour
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2008 setzte sich der Europarat für die Förderung der europäischen Literatur im Unterricht ein. Ein Jahr später rief die EU-Kommission den Literaturpreis der europäischen Union ins Leben, der inzwischen sehr erfolgreich und begehrt ist. Was genau zeichnet die Kommission mit ihrem Preis aus?
5000€ bekommt jeder Gewinner des Literaturpreises der europäischen Union (EUPL) jedes Jahr und ihre Verleger dürfen eine EU-Förderung beantragen, um die preisgekrönten Werke in andere europäische Sprachen übersetzen zu lassen. 3 Mio. Euro investiert jedes Jahr die Kommission in Literaturübersetzungen und 2,4 Mio. Euro in Kooperationsprojekte u. a. mit der Buchbranche. Seit 2014 ist das Programm für die Finanzierung des Kreativ- und Kultursektors mit 1,3 Mrd. Euro ausgestattet.
Der Literaturpreis in Zahlen ist zweifelsohne beeindruckend und das kulturelle Ziel der Kommission sehr anspruchsvoll. Sie will in der Tat durch den Literaturpreis dem Publikum europäische literarische Werke präsentieren und dazu beitragen, dass sich eine echte europäische Leserschaft herauskristallisiert, so EU-Kommissarin Vassiliou in einer Pressemitteilung der Kommission 2013. Alles schön und gut, aber wie definiert man europäische Literatur pauschal? Um sie mit einem Preis auszeichnen und in verschiedenen Sprachen als Literatur Europas zu vermarkten, muss man sie auch an bestimmten Merkmalen erkennen können, oder?
Aus der Sicht des Europarates: Fauxpas und Bekenntnis zur Vielfalt
2008 veröffentlichte der Europarat ein Dokument mit dem Titel "Promoting the teaching of European literature" (Parliamentary Assembly - Doc. 11527 - 14 February 2008), in dem versucht wird, europäische Literatur zu definieren. Dabei ist nichts wirklich Überzeugendes rausgekommen. Über einen gut gemeinten Text, in dem auf der Suche nach der Geburtsstunde der europäischen Literatur Fragestellungen der Kolonialliteratur und Interessenschwerpunkte der Komparatistik, der Autorenforschung, der Textinterpretation und der Literaturgeschichte in Betracht gezogen werden, ist der zuständige Ausschuss nicht hinausgegangen.
Fauxpas
Ein wenig verwirrend im Dokument sind Sätze wie "Learning other European languages and learning about their literature can help to inculcate [dt. eintrichtern] European citizenship" (S. 2, Punkt 4.), denn es klingt eine Spur zu dogmatisch für eine Institution wie den Europarat, die sich für Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte einsetzt. Ein Fauxpas würde man sagen.
Es ist eigentlich wünschenswert, dass europäische Literatur und Sprachen eben nicht dazu verwendet werden, den Bürgern irgendetwas einzutrichtern, am allerwenigsten ein Gefühl für europäische Bürgeridentität. Im Unterricht sollte eher Wissen über Sprachen und Literatur Europas vermittelt werden, damit Bürger selber entscheiden können, wie sie den Teil ihres Bewusstseins, der sie befähigt, sich als Europäer zu begreifen, mit ihrer nationalen Identität vereinbaren können.
Bekenntnis zur Vielfalt
Abgesehen von dem redaktionellen Fauxpas geht aus dem Dokument hervor, dass die Förderung der Literatur Europas im Unterricht über Literaturübersetzungen, die Hervorhebung der Gemeinsamkeiten nationaler Literaturen Europas, den Schutz der Sprachenvielfalt des Kontinents und die Verwendung von neuen digitalen Technologien laufen sollte.
Literatur aus Europa
Zur selben Vielfalt bekennt sich der Literaturpreis der europäischen Union. Ausgezeichnet werden "die besten jungen Autorinnen und Autoren in Europa unabhängig von ihrem Land oder ihrer Sprache", so Androulla Vassiliou, EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend 2014 in einer weiteren Pressemitteilung der Kommission.
Bis 2020 werden die 28 EU-Mitgliedstaaten, Island, Norwegen, Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro, Serbien und die Türkei am Wettbewerb teilnehmen dürfen. Also, die Teilnahme ist unabhängig weder von Land noch von Sprache im Allgemeinen, dafür aber von der EU-Mitgliedschaft.
Eins steht fest: Eine einzige europäische Literatur gibt es nicht.
Was für literarische Werke man als europäisch auf dem Buchmarkt betrachten kann, werden schon die Leser in den Buchläden Europas zu entscheiden wissen.