Die bulgarische Linke auf der Suche nach einem neuen Sozialismus
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Hélène WallandMit nur 18 % der Stimmen bei den letzten Wahlen im September 2009 ist die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) eine eher schwächelnde Opposition. Ihre Parteivorsitzenden, ehemalige Kommunisten mit einer Prise Nostalgie, lassen sich außen links von einer jungen Generation voller Ideen überholen, die eine Wende herbeiführen wollen.
Ob demokratisch, sanft oder mit Gewalt: 1989 haben die zentral- und osteuropäischen Länder der Reihe nach ihre Revolutionen gehabt. In Bulgarien ging sie vom Palast aus. Ausgangspunkt der Straßendemonstrationen und der hartnäckigen Opposition war, dass das Land in einer Form kommunistischen Scheintods lebte, der sich nach und nach zersetzte. Die politisch gewieften Machthaber hatten dann eine brillante Idee: aus der kommunistischen Partei eine sozialistische Partei zu machen, welche sich demokratischer gestalten wollte, indem sie einfach ihren Namen änderte...
« Von diesem Moment an wurde die sozialistische Partei, direkter Erbe der alten Nomenklatur, quasi zu einer konservativen Partei », analysiert der linksorientierte, bulgarische Mittvierziger und Journalist Ivo Petkov. « Während die Rechte sich auf Reformen einließ, um das Land zu verändern, machte die Linke genau das Gegenteil: die Rechte abschwächen und herabwürdigen, um damit die Privilegien der alten Zeiten aufrecht zu erhalten. Diese Haltung folgt daraus, dass die Herren der BSP ehemalige Kommunisten sind. Was ihre Wähler anbelangt, haben sie entweder in der Übergangszeit viele von ihnen verloren, wie zum Beispiel die Rentner, oder aber sie glauben weiterhin hart wie Stahl an einen gewissen Sozialismus. »
10 % Steuern für alle
Durch das Fehlen zukunftsorientierter Projekte und einer gewissen Starrheit wurde die bulgarische Linke langsam aber sicher von einer Art Sklerose befallen. Hinzu kommt außerdem eine lokale Eigenheit - die Erfindung einer Kaste. In der Tat, in einem von Korruption befallenen Land sind auch politische Parteien keine Ausnahme. « Die Leute, die heute in der BSP regieren, sind sozusagen als Kapitalisten an die Macht gekommen, aber sie sind nicht links. Und die Kinder übernehmen von ihren Eltern das Ruder », erklärt Antoni Galabov, Professor an der Neuen Bulgarischen Universität (NBU). Im Jahr 2007 haben zum Beispiel die Abgeordneten Sozialisten, Teil der Regierungskoalition, ein Gesetz über einen einheitlichen Steuersatz verabschiedet, das Haushalte mit 10 % besteuert. Keine besonders sozialistische Vision der Gesellschaft. 2005 erreichten sie noch 33,8 % bei den Parlamentswahlen.
Die BSP leidet heutzutage an einer Vertrauenskrise. Sie vermittelt den Eindruck einer Partei, die an der Macht ist und trotzdem nicht gewinnen kann. Normalisierung ist 20 Jahre nach dem Regimewechsel gefragt. Diesen Prozess hat die Rechte schon Anfang 2000 durchgemacht. » Die Rechte schnitt ihren Diskurs zu dieser Zeit vorwiegend auf das Motto Antikommunismus zu. Das hatte jedoch 10 Jahre nach 1989 kaum noch eine Gültigkeit.
Seitdem hat es jedoch eine Wende gegeben, die in diesem Jahr im Aufstieg des ehemaligen Bürgermeisters von Sofia, Boiko Borisov - eine Art bulgarischer Sarkozy - zum Premierminister kulminierte. Die Agenda des ehemaligen Innenministers und Karate-Nationaltrainers baut vor allem auf rechtspopulistischen Ideen, dem Kampf gegen Korruption und einen Nägel-mit-Köpfen Diskurs auf. Angesichts dieser Mitte-Rechts-Welle ist die Linke nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der Präsident der Republik, Gueorgui Parvanov, ist Sozialist, aber seine Macht ist eingeschränkt. Es kursieren Gerüchte, dass er in den nächsten zwei Jahren seine eigene Partei gründen wolle, um sein politisches Überleben zu sichern. All das hat nichts mit einer Neugestaltung der Linken zu tun.
Die bewegte Linke
Um eine wirkliche Opposition zu schaffen, formierte sich ein Teil des « linken Volkes » Bulgariens, um Reformen durchzusetzen. « Das ist nicht leicht in einem Land, das traditionell passiv ist und das zwei Millionen Menschen (von 8,5 Millionen Einwohnern 1989) verließen », kommentiert Ivo Petkov, der mit anderen Anhängern der Sozialistischen Partei die Arbeitsgruppe Solidarisches Bulgarien gegründet hat. « Wir denken, dass sich die Partei zunächst von innen heraus verändern muss, bevor wir sie verlassen, um etwas anderes zu gründen. Wir haben circa 300 Personen, die im Internet, aber auch in den Medien, bei Events und in der Zivilgesellschaft aktiv sind. Wir wollen eine Linke im Gleichgewicht mit einer Gesellschaft, die sich verändert hat. Das Industrialisierungszeitalter ist zu Ende, heute leben wir in einer Welt der Dienstleistungen. Es geht uns schon längst nicht mehr um Eigentumsfragen, sondern darum den Egoismus und die aktuelle Konsumentenethik hinter uns zu lassen. »
Die Mission, die sich die freiwillige Gruppe auferlegt hat, scheint edel. Wenn man jedoch die Mitglieder der BSP fragt, wie sie diese Initiative aufnehmen, kommen Zweifel in Bezug auf Reformen auf. « Sie ignorieren uns, tun so, als ob wir nicht existieren würden. Mitglieder mit gewissen Verantwortungen wurden sanft auf das Abstellgleis geparkt. » Die alte Garde ist wachsam…
Jugend im Widerstand
Auch wenn die Gruppe Solidarität Bulgarien Leute mit einer gewissen Erfahrung um sich versammelt, nehmen die Jungen an den gemeinsamen Bestrebungen teil. Ilia Markov, ein 29-jähriger Bulgare und ehemaliges Mitglied der jungen Sozialisten, distanziert sich. « Ich konnte nicht mehr in der BSP bleiben, auch wenn ich sechs Jahre dabei war. Sie sind zu weit weg von den linken Werten. Es ist eine oligarchische Partei. Die Jungen glauben nicht mehr daran. » Seit einigen Monaten arbeitet er mit fünfzehn Personen am Aufbau eines linksorientierten Think-Tank mit dem Namen Sozialalternatives Forum. « Was wir machen wollen, hat nichts mit der BSP zu tun, die unserer Meinung nach eine Altlast des Kommunismus ist. Bei ihnen ist die Macht an Geld und Vetternwirtschaft geknüpft. Natürlich sind die führenden Köpfe dafür verantwortlich, aber auch die Basis, von der sie blind unterstützt werden, ganz gleich was die Partei sagt oder macht. »
Die Ambition des Noch-Think-Tank, welcher je nach Erfolg vielleicht zu einer eigenen Partei ausgebaut werden soll, ist die Gründung einer bulgarischen Sozialdemokratischen Partei. Ilia verweist dabei gern auf Tony Blair und eine pragmatischere Linke. « Diese neue Linke braucht keine Revolution, sondern eine Verbesserung unseres Systems und eine Angleichung an europäische Standards: finanzielle Transparenz, korrektes Wahlrecht, freie Medien, Sozialversicherung. Und auch Debatten über gesellschaftliche Streitthemen wie Homosexuellenrechte. Wir haben versucht diese Themen auf den Tisch zu bringen, als wir noch bei der BSP waren - und sind nur auf Ablehnung gestoßen. » Wir wollen keine Generationsbewegung, sondern die Leute ermutigen einen gewissen etat d'esprit im Bruch mit den momentan vorherrschenden Vorstellungen in der BSP anzustreben. Viele Bulgaren sind linksorientiert, aber trauen es sich aufgrund der Parteisituation nicht zu sagen. »
Im Jahr 2007 hat die Anzahl der linken Parteien zu den Wahlen zum ersten Mal die der rechten Parteien überschritten. Die Extreme dieses linken Flügels könnte sich durchaus auf den sozialen Aspekt auswirken und einen gewissen Erfolg bei den Einwohnerschichten erreichen, die keine Verbesserung ihrer Lebenslage sehen... "Das wäre katastrophal", schlussfolgert jedoch Antoni Galabov, „da die Bildung einer echten Sozialdemokratischen Partei somit viel schwieriger wäre. »
Vielen Dank an das cafebabel-Team in Sofia!
Fotos: Sergei Stanichev by ©LuchezarS/ Flickr; Boyko Borisov by ©Vladimir Petkov/ Wikimedia
Translated from La gauche bulgare à la recherche du socialisme nouveau