Die "Brückenbauer" kommen: Ausbildung von Imamen in Deutschland
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Islamkritiker Thilo Sarrazin sieht überall 'Kopftuchmädchen', Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer fordert eine deutsche 'Leitkultur'. Man wird den Eindruck nicht los: Das Problem lautet 'Islam' - und es betrifft vor allem die gesellschaftliche Ebene.
In Münster, Osnabrück und Tübingen sollen, so Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), ab dem Wintersemester 2011 nun erstmals Imame und islamische Religionslehrer an deutschen Hochschulen ausgebildet werden. Bisher existierten keine anerkannten Ausbildungen. Kann der Islam so tatsächlich zu einem integralen Bestandteil deutscher Kultur werden?
Wer an den Islam denkt, denkt nicht an Münster. Zu den Wahrzeichen der Stadt in Nordrhein-Westfalen gehören schließlich die Lamberti-Kirche und der Münsteraner Dom. Nicht selten radelt eine Nonne in Ordenstracht um die Ecke. Und Kirchenglocken läuten immer irgendwo. Kurz gesagt: Die bekannteste Fahrradstadt Deutschlands ist durch und durch katholisch.
Einmal Islam - und zurück: Die Geschichte des Sven Kalisch
Wer an den Islam denkt, denkt an Münster. Oder vielmehr an Professor Muhammad Sven Kalisch. Der war mit 15 Jahren zum Islam konvertiert und lehrte an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster Religion des Islam. Mittlerweile wurde der Lehrstuhl in Professur für Geistesgeschichte im Vorderen Orient in nachantiker Zeit umbenannt und gehört nicht mehr zum Centrum für Religiöse Studien. Was war passiert? Kalisch hatte die historische Existenz des Propheten Mohammed bezweifelt, dessen Worte, empfangen von Gott, die Grundlage des Korans bilden - und damit die des Islams. Die Reaktionen waren heftig, muslimische Verbände rieten den Studenten davon ab, Veranstaltungen Kalischs zu besuchen, der Zentralrat der Muslime entzog dem Professor seine Unterstützung. Hinzu kamen Morddrohungen und die WWU verbot Kalisch, weiterhin in der Ausbildung von Islamkundelehrern tätig zu sein. Heute heißt Muhammad Sven Kalisch wieder Sven Kalisch, aus dem Islam ist er ausgetreten und mit Journalisten spricht er nur noch, wenn seine Aussagen dann nicht zitiert werden.
Ausbildung von „Brückenbauern“ an deutschen Unis
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Angesichts dieser Geschichte erstaunt die neueste Entwicklung umso mehr: Zusammen mit der Universität Osnabrück soll die WWU ab dem Wintersemester 2011 Imame und islamische Religionslehrer ausbilden. Auch in Tübingen wird es einen solchen Studiengang geben. „Es soll etwas für die Muslime und nicht über sie hinweg gemacht werden“, sagte Kalisch 2004 bei Antritt seiner Professur in Münster. Schaffen die neuen Ausbildungsangebote, was Kalisch nicht gelang? Die Integration des Islams in die deutsche Kultur? Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) ist jedenfalls davon überzeugt: „(…) Imame sind Brückenbauer zwischen ihren Moscheegemeinden und der Gemeinde, in der diese Moschee steht.“
Tatsächlich haben Imame, von denen es ca. 2000 in Deutschland gibt, eine wichtige Rolle. Sie sind Berater im Alltag und prägen oft die Weltsicht ihrer Gemeindemitglieder. Bisher kommen die meisten in Deutschland tätigen Imame allerdings aus der Türkei, ihre Deutschkenntnisse sind oft schlecht, die von westlicher Kultur auch. Klingt, als wären die künftig in Münster-Osnabrück und Tübingen ausgebildeten Imame das perfekte Bindeglied zwischen deutscher und islamischer Gesellschaft. Die Türkisch-Islamische Union (DITIB) lehnt das Vorhaben allerdings entschieden ab. So einfach ist das alles eben doch nicht …
Zwar ist sich Schavan sicher, die Verankerung der Imam-Ausbildung in deutschen Hochschulen verhindere eine Politisierung des Islams. Und natürlich soll diese Ausbildung auf Deutsch und unter säkularen Bedingungen stattfinden. Genau das könnte jedoch zum Problem werden. Denn die meisten Moscheen werden an dieser Art Imamen kein Interesse haben. Auch, weil viele Frauen die Ausbildung nutzen wollen. Hinzu kommen Hindernisse finanzieller Art. Die an den Hochschulen ausgebildeten Imame und islamischen Religionslehrer werden Akademiker sein und haben somit ein Anrecht auf ein angemessenes Gehalt. Die meisten Gemeinden können ein solches Gehalt nicht zahlen. Eine Lösung wäre, Imame mit einer halben Stelle als Religionslehrer einzustellen, so wie es der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vorschlägt.
Muslimische Beiräte, ein umstrittenes Gremium
In der Kritik steht auch die Beteiligung muslimischer Beiräte, die die Ein- und Durchführung der Studiengänge begleiten sollen. Der Wissenschaftsrat, von dem der Impuls ausging, die Studiengänge einzurichten, möchte diesen Beiräten ein doch recht großes Mitspracherecht einräumen, was z.B. die Auswahl der Kandidaten für den Lehrstuhl, die Forschung, etc. betrifft. An sich eine lobenswerte Absicht, bei vielen Gelegenheiten hat man es in Deutschland verpasst, auf gleicher Augenhöhe mit Vertretern des Islam zu sprechen. Die Sorge nach zu viel Macht der Beiräte bleibt aber. Und nur die Zeit wird zeigen, ob sich die größte Hoffnung, die mit den neuen Studiengängen verbunden ist, bewahrheitet: Die Förderung von aufgeklärten islamischen Strömungen in Deutschland und natürlich die „Integration“ dieser Religion, die laut Bundespräsident Christian Wulff (CDU) wie das Christen- und Judentum zu Deutschland gehört.
Foto: (cc)Hanna T./flickr