Die Abgründe des österreichischen Europa-Parlamentswahlkampfes – Eine weitgehende Themenverfehlung
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Von Stefan Fersterer Was bietet der österreichische Europa-Parlamentswahlkampf inhaltlich? Visionen für die Zukunft Europas sind Fehlanzeige.
Bewusste antisemitische Ressentiments, populistisch-nationalistische Reflexe und die Themenführerschaft der rechten Parteien auf dem Hintergrund des prognostizierten Tiefststands an Wahlbeteiligung lassen den Schluss zu, dass Österreichs Politik aus vergangenen Europa-Wahlkämpfen gar nichts gelernt hat. Eine Bestandaufnahme.
Folgende illustre Persönlichkeiten steigen als unsere potentiellen europäischen Volksvertreter (MEPs) in den Ring: Ein alpenländisches A-Team, ein in der Vergangenheit nicht gerade durch Europabegeisterung aufgefallener Ex-Innenminister, ein ehemaliger Volksanwalt, der nach typisch österreichischer Manier seinen früheren (Berufs)titel weiterhin verwendet, die Neo-Vorzeige-Christen-Partei von rechts, ein Autor, der den Wahlkampf als bessere Buchverkaufssmarketingstrategie missbraucht und stille grüne Frauen, die ihre erhöhte mediale Aufmerksamkeit durch Abmontierung eines Europa-Urgesteins bereits vor Monaten erhielten.
Wahlkampfthemen
Die Themenführerschaft dieses Europa-Parlamentswahlkampfes ist schnell geklärt: Hier tut sich insbesondere wieder einmal die FPÖ mit allerlei Grauslichkeiten und Tabubrüchen hervor und ruft überdies am 07. Juni zum „Tag der Abrechnung“ auf. Durch offen zur Schau getragene Religionsfeindlichkeit („Abendland in Christenhand“) positioniert sich die FPÖ als neues Auffangbecken für diejenigen, die den „richtigen“ Glauben mitbringen, während man mit den Warnungen vor EU-Beitritten der Türkei und Israels (!) bewusst in der Bevölkerung vorhandene Ängste verstärkt. Die eigentlichen Konservativen von der ÖVP versuchen mit ihrem Spitzenkandidaten Ernst Strasser unentwegt Österreichs Stimmme in Brüssel hörbar zu machen, während der deklarierte Vorzugsstimmenwahlkampf des europäischeren Listenzweiten Otmar Karas sich durchaus als geschickte Strategie erweisen könnte. Da die eigenen Themen nicht ziehen, hat man sich bei den Sozialdemokraten spät aber doch dazu entschlossen, die Ausländerfeindlichkeit der FPÖ anzuprangern. Wobei es dabei wohl weniger um echte Empörung als um die eigene Wählermobilisierung gehen dürfte. Die grünen Thematiken (Konjukturpaket mit dem „New Green Deal“) gehen in der Asyl-, Ausländer- und Religionsdebatte erneut vollkommen unter.
Der Europa-Parlamentswahlkampf in Österreich steuert einmal mehr seinem unrühmlichen Finale entgegen. Angesichs machteinbüßender Nationalstaaten und der zunehmenden Notwendigkeit von transnationalen Problemlösungsansätzen bleibt Österreich in Europa scheinbar ein Biotop von nationalbewussten Eliten, denen der eigene Tellerrand weiterhin mehr als genügt und die in Brüssel ordentlich zum Wohle des alpenländischen Volkes auf den Tisch hauen wollen.
Die künftigen MEPs
Dennoch durchlaufen so manche EU-Politiker nach Jahren außerhalb des rot-weiss-roten Käfigs einen Lernprozess und erkennen zunehmend, dass bloß Zusammenarbeit, Kooperation und Konsensorientierung zum Erfolg auf europäischer Ebene führen kann. Doch zuhause können die Europaabgeordneten die erreichten Wohltaten nicht an den Mann bringen, da man ihnen sogar vehement das Rederecht im Wiener Parlament verwehrt. Soweit zur Europäisierung der österreichischen Politikeliten.
Die beiden einstigen Grossparteien SPÖ und ÖVP reagieren auf die Europäisierung ihrer MEPs (und der damit einhergehenden Entfernung von der Parteilinie) alle fünf Jahre mit einer mühsamen Suche nach verkaufsfördernden Persönlichkeiten, die als Österreicher und nicht als Europäer in den Wahlkampf ziehen. Insofern erklärt sich auch die Abmontierung des außerhalb Österreichs anerkannten EVP-Vizepräsidenten Otmar Karas (ÖVP) und die Schwächung von Hannes Swoboda (SPÖ), der auf (A-)Teamarbeit zu Kanzlers Gnaden getrimmt wurde. Auch den Grünen ist der glühende Europäer Johannes Voggenhuber zu abgehoben (sprich zu europäisch und parteikritisch) geworden: So jemanden kann man nicht einmal mehr den tendenziell europafreunlichen Bildungsbürgern als Leckerbissen anbieten.
Andere bleiben sich selbst hingegen treu: Andreas Mölzer (FPÖ) versucht seit Anbeginn seiner Tätigkeit als MEP eine Rechtsallianz im EU-Parlament zu schmieden und Hans Peter Martin bringt natürlich rein zufällig in Wahlkampfzeiten ein Buch mit dem Titel „Die Europafalle“ heraus, dessen Vorabdrucke er über das mächtigste Boulevardmedium des Landes verbreiten darf. Jörg Haiders Erben fischen mit Ewald Stadler (BZÖ) naturgemäß ebenfalls im Populistenteich. Die „Jungen Liberalen“ als klar positionierte PRO-EU-Partei werden hingegen über ein paar Zehntelprozentpunkte nicht hinauskommen.
Hoffnung stirbt zuletzt
Schuldige für diese völlige Ausblendung und offene Ignoranz einer substantiellen Zukunftsdiskussion über die Europäische Union könnte man viele finden: Die Schuld immer bei anderen (je nach politischer Ebene bei Land, Bund oder EU) zu suchen hat zwar in Österreich Tradition, macht unser Land aber um nichts europäischer und steigert auch keinesfalls die Wahlbeteiligung. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir uns in 5 Jahren nicht erneut fragen müssen, warum ein Europaparlamentswahlkampf nicht auch mit europäischen Themen geführt werden kann.