Deutschlands vergessene Kolonialverbrecher
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Vom Kaiser entlassen, von Hitler rehabilitiert: 1939 benannten die Nazis eine Straße im Berliner „Afrikanischen Viertel“ nach dem Kolonialverbrecher Carl Peters. Bis heute existiert die Petersallee. Afrikanisch-deutsche Initiativen und die Organisation Berlin postkolonial fordern eine Umbenennung. Doch bei den meisten Anwohnern und in der CDU stoßen sie auf taube Ohren.
Eine etwa 30-köpfige Gruppe folgt Josephine Apraku durch das Afrikanische Viertel im nördlichen Wedding. Mehrmals im Monat führt die Afrikanistin durch die Straßen rund um den U-Bahnhof Afrikanische Straße, erzählt von der kolonialen Vergangenheit des Viertels und den Namensgebern seiner Straßen. Wie der Berliner Verein Berlin Postkolonial fordert Apraku eine Umbenennung der drei Straßen, die nach den deutschen Kolonialbegründern Lüderitz, Nachtigal und Peters benannt sind.
„Das Festhalten an diesen Namen bedeutet nicht nur ein Festhalten an kolonialrassistischen Vorstellungen, sondern auch an nationalsozialistischen“, sagt Apraku und verweist auf den imperialistischen Charakter der nationalsozialistischen Außenpolitik. Eines der zentralen außenpolitischen Ziele der NS-Zeit war es, die Dekolonialisierung rückgängig zu machen. Aprakus Argument ist ein handfestes: Einige Straßenbenennungen im Afrikanischen Viertel fanden während des Nationalsozialismus statt.
Idealisierung als "Afrikaforscher"
Apraku kritisiert, dass die drei deutschen Kolonialbegründer in der Populärliteratur häufig als „Afrikaforscher“ idealisiert würden. Am ehesten trifft diese Verharmlosung noch auf Gustav Nachtigal zu, dessen Schriften von seiner kritischen Haltung gegenüber dem europäischen Imperialismus zeugen. Dennoch: 1884 ernannte Bismarck den expeditionserfahrenen Forscher zum Reichskommissar für Deutsch-Westafrika. In dieser Funktion beglaubigte Nachtigal die zum Teil betrügerisch erworbenen Rechte der Firma Lüderitz im heutigen Namibia.
Außerdem stellte er Togo und Kamerun „unter deutschen Schutz“. Diese koloniale Formulierung ist nicht nur beschönigend, sondern verschleiert auch, dass Nachtigal die Kolonialgründung in Togo durch eine Geiselnahme zweier togoischer Adeliger erpresste. „Seine kolonialen Verdienste waren es, die Nachtigal die Würdigung durch die Benennung des Nachtigal-Platzes im Wedding einbrachte – und nicht seine Tätigkeit als Afrikaforscher“, sagt der Historiker und Leiter von Berlin postkolonial, Christian Kopp.
Eine Straße für den "Lügenfritz"
Noch eindeutiger verhält es sich mit der Biographie des Bremer Kaufmanns und Begründers von Deutsch-Südwestafrika Adolf Lüderitz. Der wegen seines Größenwahns schon zu Lebzeiten als „Lügenfritz“ bezeichnete Lüderitz gilt als Begründer des deutschen Kolonialwesens. Von ihm ging eine Flut an Briefen an den Kaiser und Bismarck aus, in denen er ihnen die Notwendigkeit des Kolonialismus zur Sicherung deutscher Macht darlegte. 1890 verkaufte Lüderitz Deutsch-Südwestafrika an das Deutsche Kaiserreich. Die Kolonisierung des heutigen Namibias ist ein besonders dunkles Kapitel deutscher Geschichte, weil sie in einen von der deutschen Kolonialmacht verübten Völkermord mündete, der bis heute von Deutschland nicht anerkannt wird.
Was in Deutschland offiziell als „Aufstand der Herero und Nama“ bezeichnet wird, gilt in der Geschichtswissenschaft wie in Namibia als erster Genozid im 20. Jahrhundert. Wie viele Herero in dem in der Landessprache als Maji-Maji-Krieg bezeichneten Feldzug gegen die namibische Bevölkerung getötet wurden, ist – auch wegen der noch immer großen Lücken in der Erforschung der deutschen Kolonialgeschichte – nicht ganz klar. Mindestens 100.000 aufständische Herero fielen der brutalen Kriegsführung des Generalleutnants Lothar von Trotha jedoch zum Opfer. Dessen erklärtes Ziel, den „entbrannten Rassenkampf durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen“, wie es in einer Egoquelle heißt, wurde von Wilhelm II. unterstützt.
Als dieser Krieg im Jahr 1904 begann, war Lüderitz, der 1886 im südwestafrikanischen Oranje-Fluss ertrank, zwar längst tot. Ohne seine Landnahme wäre es jedoch auch nicht zu dem Genozid gekommen, sagt Kopp. „Man denkt den Völkermord mit, wenn man den Namen Lüderitz hört.“ Aus diesem Grund sei er für eine Umbenennung der Lüderitzstraße in 'Cornelius-Fredericks-Straße'.
"Renommistisches Scheusal", schreibt 1899 der "Vorwärts"
Kein Zweifel an der Grausamkeit ihres ursprünglichen Namensgebers kann an der Petersallee bestehen – und doch verhält es sich mit ihr komplizierter. „Peters ist der Typus eines renommistischen Scheusals. Seine Schändlichkeiten sind freilich schlimm genug, aber noch nicht so schlimm, wie er sie selbst reklamehaft übertreibt. Er will vor allem der interessante Ueberkerl sein, der frei von jeglichem moralischem Skrupel nur seine große Persönlichkeit auslebt“, schrieb der sozialdemokratische Vorwärts im Februar 1899 über Peters.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Wilhelm II. den ehemaligen Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet bereits unehrenhaft entlassen. Peters, der sich in seinen eigenen Reiseberichten gern als brutaler Kolonialherrscher inszenierte, hatte im Jahr 1891 ein Massaker an den Heimatdörfern zweier seiner versklavten Bediensteten angeordnet. „Peters hat eine tiefrote Blutspur in seinem Kolonialgebiet hinterlassen“, sagt Kopp. Öfter sei zu lesen, dass es sich bei dieser Racheaktion um einen Verzweiflungsakt aus Liebe gehandelt habe. Tatsächlich, so der Historiker, war es schlicht blutrünstige Rache, die Peters dazu bewogen hatte, seine Konkubine Jagodia und deren Geliebten aufhängen und ihre Dörfer zerstören zu lassen. „Diese Jagodia war eine Zwangsprostituierte, die für die weißen Männer ‚reserviert‘ war und der es deshalb verboten war, sich mit schwarzen Männern einzulassen. Dass Peters sie töten ließ, hatte nichts mit wahrer Liebe zu tun, sondern war purer Rassismus.“
Hitlers persönlicher Erlass rehabilitiert Peters
Peters‘ Unberechenbarkeit war selbst dem in seinem territorialen Größenwahn kaum zu stillenden Kaiser zu viel. 1892 beorderte er ihn zurück nach Deutschland, wo Peters infolge des Urteils eines Disziplinargerichts Titel und Pensionsansprüche verlor.
Posthum sollte Peters seine Ehre zurückerhalten: Ein persönlicher Erlass Hitlers rehabilitierte den Kolonialverbrecher. Den Nazis war Peters eine willkommene Symbolfigur: Nicht nur hatte er aus ihrer Sicht mit seiner kompromisslosen Herrschaft in Afrika deutsche Interessen verteidigt. Peters war auch einer der Initiatoren des antisemitischen „Alldeutschen Verbands“. Ein heute auf der Vorbehaltsliste stehender Propagandafilm unter Goebbels‘ Aufsicht heroisierte Peters seit 1941 zusätzlich. Im Jahr 1939 benannten die Nazis die ehemalige Londoner Straße, die zwischen Nachtigal-Platz und Lüderitzstraße verläuft, in Petersallee um.
Die Petersallee ist die bislang einzige Straße im Afrikanischen Viertel, die schon einmal fast eine Umbenennung erhalten hätte. 1986 entschied der Berliner Senat als Reaktion auf verschiedene kolonialkritische Initiativen, die Straße umzuwidmen. Heute soll sie an Hans Peters erinnern, einen verdienten Berliner Juristen und Bürgermeister, der an der Rettung von Juden beteiligt war. Für jene, die eine Umbenennung der Petersallee fordern, ist die Umwidmung eine zynische Halbherzigkeit. „Eine Straße, die zwischen den beiden anderen Kolonialbegründern Lüderitz und Nachtigal verläuft und Petersallee heißt, assoziiert doch auch weiterhin jeder mit Carl Peters. Eine Umwidmung reicht nicht“, sagt Kopp. Er plädiert für einen neuen Namen für die Petersallee - die 'Maji-Maji-Straße'.