Deutschland: Raus aus dem Reformstau
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Der deutsche Föderalismus ist so außergewöhnlich wie kompliziert. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern soll nun nach Jahren des Streits neu geregelt werden.
„So föderalistisch wie möglich, so zentralistisch wie nötig“ – so sollte in den Worten des ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Krieg, Kurt Schumacher, der erste Bundesstaat der Nachkriegszeit gestaltet werden. Mit diesem Grundgedanken wurde die einmalige Staatsform der Bundesrepublik Deutschland gegründet.
Der Bundesrat: Einmalig in Europa
Wie in jeder repräsentativen Demokratie wird die Staatsgewalt in Deutschland auf horizontaler Ebene getrennt, also zwischen der Exekutive, Legislative und Judikative. Zusätzlich wird sie vertikal getrennt, zwischen nationaler Ebene, dem Bund, und regionaler Ebene, den Ländern. Auf Länderebene wird die Gewaltenteilung wiederholt und bestimmte Aufgaben und Politikbereiche fallen allein in die Verantwortung der Länder. Die „Kultushohheit“ zum Beispiel, also die Entscheidungsgewalt in Sachen Bildung und Kultur, liegt bei ihnen. Für Steuer- und Außenpolitik dagegen ist allein der Bund zuständig. Einmalig an der deutschen Variante des Föderalismus ist die Rolle des Bundesrats, das Vertretungsorgan der Länder auf nationaler Ebene. Das deutsche Grundgesetz stellt in seinem Artikel 50 sicher, dass die „Bundesländer... bei der Gesetzgebung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken“, in vielen Bereichen hat der Bundesrat Vetorecht.
Der Bundesrat wurde unter anderem ursprünglich eingerichtet, um Nutzen aus den praktischen Erfahrungen der Länder bei der Gesetzesumsetzung zu ziehen. Deswegen dürfen sie mitentscheiden und mitbeeinflussen. Dies hat jedoch zu einer immensen Verflechtung der Aufgaben und Verantwortungen geführt, das Kompetenz-und Finanzierungs-Wirrwarr zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist ist undurschaubar. Deshalb landet die Gesetzgebung immer wieder in der Sackgasse. Seit Jahren beklagen die Medien des Landes die „Blokadepolitik“ und den „Reformstau“, der in Deutschland herrsche. Auch wird kritisiert, dass eine Partei, sobald sie die Mehrheit im Bundesrat besitzt, diesen für parteipolitische Zwecke nutze, es also nicht mehr um Länderinteressen gehe.
Umstrittene Reform
Seit vielen Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, wie der Föderalismus reformiert werden könnte. Der ehemalige Bundesratspräsident Dieter Althaus schlug bereits im Jahr 2003 in einem Interview mit der vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Zeitung „Das Parlament“ vor, „die Zahl der zustimmungspflichtigen Bundesgesetze [zu] verringern und gleichzeitig die Kompetenzen der Länder wieder [zu] stärken“. Für Althaus geht es beim Föderalismus nicht zuletzt um Bürgernähe. Deshalb forderte er mehr Transparenz: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen leichter erkennen können, wer wofür die Verantwortung trägt.“
Bereits Ende 2004 sollte die Föderalismusreform beschlossen werden, aber das Vorhaben scheiterte. Doch seit im Bund eine große Koalition aus SPD und CDU regiert, scheint der Weg für einen erneuten Versuch frei. Denn die Koalition verfügt über eine ausreichende Mehrheit im Bundesrat. Nach dem die Ministerpräsidenten der Länder während eines Treffens am 15. Dezember verganenen Jahres ihre Zustimmung für eine Reform signalisierten, sagte Bundeskanzlerin Merkel: „Wir sind jetzt auf dem Weg“. Diesmal soll erst nach Abschluss der ersten Reformstufe eine Neuregelung der Finanzen zwischen Bund und Ländern in Angriff genommen werden. Dieses Thema ist so umstritten, dass es aus den Koalitionsverhandlungen von Anfang an ausgeschlossen wurde. Außerdem muss die Reform nicht nur „praktische“ Fragen wie Verantwortung für die nationale Sicherheit, Bildungsreform versus Bildungshohheit oder die Finanzierung von Hartz IV berücksichtigen. Hinzu kommt eine viel grundliegendere Frage: Welche Form soll der Föderalismus in Deutschland am Anfang des 21. Jahrhunderts haben? Soll es ein „kooperativer“ Föderalismus sein, der einen Finanzierungsausgleich für die wirtschaftlich schwacheren Ländern im Osten und Norden vorsieht, oder ein Wettbewerbsföderalismus, unter dessen Regelungen jedes Land für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist?
Vorbild Schweiz
Es gibt 23 föderalistisch verfasste Staaten in der Welt. Manche sind eine Zusammensetzung einzelner Staaten, wie Brasilien oder die USA; manche werden durch Provinzen (Kanada oder Pakistan), Regionen (Belgien), oder, wie Russland, aus unterschiedlichen Einheiten (z.B. Städten, Regionen und Republiken) zusammengesetzt. Eine gemeinsame Sprache und Kultur zu haben, wie im Falle Deutschlands oder Amerikas, bietet Zusammenhalt. Doch auch in Indien, das 21 Sprachen anerkennt, oder in der Schweiz, wo Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch als Amtssprachen vertreten sind, ist es gelungen, Gemeinsamkeiten zu finden und Zusammenhalt zu bieten. Besonders die Schweiz könnte der EU als Vorbild dienen: Neben dem Volk bestimmen vor allem die Kantone die Politik. Für alle Aufgaben, die in der Verfassung nicht dem Bund zufallen, sind die Kantone zuständig.