Deutschland - die Mutter aller Schnäppchen?
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Machen die Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung sowie der Abschied von Sommer- und Winterschlussverkäufen Deutschland zum Einkaufsparadies?
Die Europäische Union brachte mit der e-commerce-Richtlinie den Stein ins Rollen. Sie sieht vor, dass Internet-Anbieter von Waren und Dienstleistungen nur die rabattrechtlichen Vorschriften ihres Herkunftslandes beachten müssen. Das Problem: In Deutschland gab es ein Rabattgesetz aus dem Jahr 1933, das lediglich 3% Preisnachlass zuließ. Dieses Gesetz hatte nun keine Wirkung mehr für ausländische Unternehmen aus der EU, die ihre Waren via Internet in Deutschland anboten. Denn in deren Heimatland war die Gesetzgebung oftmals liberaler. Österreich etwa schuf bereits im Jahre 1992 ähnliche Rabatt-Vorgaben ab. Daher konnte nach der EU-Richtlinie ein österreichisches Unternehmen einem deutschen Kunden über das World Wide Web eine Ermäßigung weit über 3% gewähren.
Aufgrund dieser Benachteiligung inländischer Unternehmen war die deutsche Bundesregierung gezwungen, die veralteten nationalen Regelungen zu überarbeiten. Sie entschied sich schließlich dafür, diese im Jahre 2001 ersatzlos zu streichen. Dies sollte, so der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller „Bewegung in den Wettbewerb des Handels um seine Kunden bringen."
Diese Liberalisierung setzte die Bundesregierung fort, indem sie im Frühjahr 2004 die gesetzlichen Regelungen über den Winter- und Sommerschlussverkauf (WSV und SSV) aus dem Jahr 1911 abschaffte. Im 19. Jahrhundert nannte man diese „Verkäufe wegen vorgerückter Saison“. Doch seit der Aufhebung des Rabattgesetzes machten diese nur noch wenig Sinn. Denn nun waren erhebliche Preisnachlässe jederzeit zulässig.
Preisnachlässe von bis zu 70%
Seit 2004 nun darf jeder Einzelhändler seinen eigenen Schlussverkauf als Veranstaltung organisieren. Die Erwartungen seitens der Bundesregierung und des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) gingen dabei weit auseinander. Während die Regierung sich Vorteile für den Kunden erhoffte, befürchtete der HDE Verwirrung bei der Preistransparenz für den Kunden und den Verlust des nationalen Einkaufserlebnisses, das die Schlussverkäufe immer waren.
Doch viele Händler halten an dieser Tradition fest. Sie schlossen sich zu regionalen Gruppen zusammen und bieten seither in einem festen Zeitraum Waren mit Preisnachlässen von bis zu 70% an. Denn trotz geänderter Gesetzeslage besteht nach wie vor die ökonomische Notwendigkeit, die Lager von Saisonware zu räumen.
Mittlerweile dürfen alle Waren verbilligt angeboten werden, also auch Haushaltsgegenstände. Bedingung ist jedoch, dass die Preise deutlich gesenkt werden. Hierbei sind besonders so genannte „Mondpreise“ untersagt. Bei diesem beliebten kaufmännischen Schachzug wird der Preis zunächst angehoben, um dann werbewirksam gesenkt zu werden.
Dennoch fällt die Bilanz für 2005 laut HDE eher mäßig aus. Während des WSV 2005 vom 24.01.-05.02. letzten Jahres preschten einzelne Händler mit individuellen Preisoffensiven vor, der Schlussverkauf wirkte oft wenig konzentriert und koordiniert. Lediglich in ländlicheren Regionen verlief der WSV zur Zufriedenheit des Handels: Dort gab es im Vorfeld deutlich weniger Preisreduzierung.
Dass Einkaufen auch trotz aller ausgeklügelter Marketingstrategien ganz praktischen Zwängen unterliegt, zeigte der vergangene Winter: Das Wetter spielte eine entscheidende Rolle. Erst hinderte der Wintereinbruch viele Verbraucher am Einkaufen, danach förderte er den Konsum winterspezifischer Saisonartikel.
Jagd auf die Schnäppchenjäger
Einem Phänomen, das angesichts der Aufhebung gesetzlicher Hinderungen stärker erwartet wurde, begegnet man bisher selten: dem Feilschen. Nur wenige Kunden versuchen, den Preis individuell zu verhandeln. Zudem haben viele Geschäfte inzwischen Kundenkarten eingeführt, bei denen der Verbraucher über Sammelpunkte sparen kann. Zu Feilschen erscheint vielen deshalb als überflüssig und entspricht wohl auch nicht der deutschen Mentalität.
Genau hier entsteht ein neues Problem. Nahezu der ganze deutsche Einzelhandel und auch ein Großteil des Dienstleistungssektors bieten mittlerweile solche Kundenkarten an. Sie dienen vordergründig ausschließlich der Kundenbindung mittels Treuerabatt und ähnlichen Prämienprogrammen. Eine Studie des Innovationszentrums Datenschutz & Datensicherheit des Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, ULD-i, die im Auftrag der „Verbraucherzentrale Bundesverband“ (vzbv) erstellt wurde, zeigt jedoch flächendeckende Verstöße gegen den Datenschutz. Bonuskarten werden der Studie zufolge dafür genutzt, vor allem Kundenprofile und Kaufverhalten zu erforschen. Der gläserne Kunde scheint nicht mehr weit entfernt.