Participate Translate Blank profile picture
Image for Deutsche Schizophrenie oder: Wer hat Angst vor Google Street View?

Deutsche Schizophrenie oder: Wer hat Angst vor Google Street View?

Published on

Gesellschaft

Seit November 2010 kann man 20 deutsche Großstädte per Google Street View bewundern. Immerhin drei Prozent der Bürger legten vor dem Start von Street View Einspruch ein und ließen ihre Häuser verpixeln. Andere schrecken selbst vor radikalen Maßnahmen nicht zurück, Google ihre Zuneigung zu beweisen.

Tatsächlich scheinen die Deutschen ein seltsam schizophrenes Verhältnis zu dem Online-Dienst zu haben.

„Schönen Guten Tag, wir sind von Google Home View“, sagt der unscheinbare Mann mit Kappe. Misstrauischer Blick vom älteren Herrn, der dem Google-Vertreter die Tür geöffnet hat. Trotzdem lässt er letzteren bereitwillig in seine Wohnung. Das Argument „Wir wollen Fotos machen, von ihrer Wohnung“, hat ihn anscheinend überzeugt. Einmal im Wohnzimmer des Rentners und seiner Frau angekommen, wird das Ehepaar dazu aufgefordert, für Fotos zu posieren („Damit das ein bisschen bewegt aussieht“). Im nächsten Haushalt kommt immerhin eine kritische Nachfrage: „Dann kann also jeder mein Haus von innen ansehen?“ - und schon strahlt man vom Sofa aus fürs Foto. Aus Datenschutz-Gründen verteilt der freundliche Mann von Google sogar noch 'Pixelflächen', die sich die Bewohner vor die Augen halten sollen.

Google Home View, nach dem gerade in Deutschland gestarteten Street View der nächste Coup des Konzerns? Mitnichten. Alle Menschen, die sich von den Google-Home-View-Mitarbeitern ablichten ließen, sind lediglich auf Deutschlands Ober-Satiriker hereingefallen: Martin Sonneborn war früher Chef des Satire-Magazins Titanic und ist immer noch unermüdlich damit beschäftigt, den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten. Nachdem sich Sonneborns Kritik in den letzten Jahren vorwiegend auf die politische Garde konzentrierte, sind jetzt wieder die Bürger an der Reihe - und ihre Aufregung über Google Street View.

Eierwerfen für Google

3 Prozent der deutschen Bevölkerung ließen ihre Häuser verpixeln, hier in BonnSzenenwechsel. Essen ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Zum vielfältigen Programm gehören anscheinend auch Akte des zivilen Ungehorsams: In einem Essener Viertel wurden mehrere Häuser mit Eiern beworfen, an den zu den Häusern gehörenden Briefkästen klebten Zettel 'Google is cool'. Der Grund? Vor dem Deutschland-Start von Google Street View hatten die Bürger die Gelegenheit, per Widerspruch eine Verpixelung ihrer Häuser zu erreichen. Drei Prozent der Bevölkerung taten dies - und bekommen nun den Zorn derjenigen zu spüren, die wollen, dass Street View so realitätsnah wie möglich ist. Ohne verpixelte Häuser - klar! Interessante Info am Rande: Auch das Münchener Gebäude, in dem sich die Büros von Google Deutschland befinden, musste verpixelt werden. Denn, so lautet die Regel, legt ein Bewohner des Hauses Widerspruch ein, so taucht das ganze Gebäude nicht bei Street View auf. Google als Opfer seiner eigenen Datenschutzbestimmungen.

Datenschutz - da diskutiert der Deutsche gerne drüber

Was sagen die beschriebenen Szenarien deutscher Google-Befindlichkeit über das generelle Verhältnis der Germanen zum neuen Dienst des amerikanischen Internetkonzerns aus? Vor allem, dass die Deutschen, was Street View betrifft, konsequent inkonsequent sind. Man könnte auch sagen: schizophren.Nun ist Deutschland ja nicht das erste und auch nicht das letzte Land, in dem Google seinen Street-View-Dienst anbietet. In keinem anderen Land aber ging dem offiziellen Start eine dermaßen lange, öffentliche Diskussion voraus. Selbst die Politik mischte mit. So kritisierte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Google entwickle sich zu einem „Riesenmonopol“, ein Dienst wie Street View sei „rechtlich unbedingt prüfenswert“. Die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, was mit ihren Daten geschieht.

In Sachen Datenschutzdiskussion ist die Bundesjustizministerin keine Unbekannte. Sie spricht sich unnachgiebig gegen die sogenannte Vorratsspeicherung von Daten (z.B. im Kampf gegen den Terrorismus aus) - und weiß damit die Mehrheit der Bevölkerung stets auf ihrer Seite. Stopp! Die gleiche Bevölkerung, die einen vermeintlichen Google-Home-View-Mitarbeiter bereitwillig ins Haus lässt? Die verpixelte Häuser mit Eiern bewirft? Die Google Street View einen Traumstart in Deutschland bescherte (in keinem der anderen Länder, in denen Street View verfügbar ist, wurden mehr Klicks verbucht). Ja, genau die.

Hier einige deutsche Verfechter von Google Street View zu Fahrrad im Allgäu

Tatsächlich ist Datenschutz in Deutschland ein wichtiges Thema. Die Regierung diskutiert seit längerem über eine Anpassung des geltenden Datenschutzrechts an die digitale Welt. Letzterer steht man in Deutschland - zumindest auf politischer Ebene - generell eher skeptisch gegenüber. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) findet allerdings, dass die Diskussion über Google Street View zu weit geht: Gezeigt würden schließlich „öffentliche“ Dinge wie Hausfassaden und Straßen.

Gefühlte Aufregung

Vielleicht gibt es also nur eine Diskrepanz zwischen öffentlicher (d.h. politischer) Diskussion und der wirklichen Einstellung der deutschen Bevölkerung zu Google Street View. Vielleicht ist die gefühlte Aufregung über den Dienst größer als die tatsächliche. Wer hat Angst vor Google Street View? Wohl eher die deutsche Politik. Die hat nämlich, datenschutzmäßig, den Sprung ins digitale Zeitalter noch nicht geschafft. Und kriegt das regelmäßig von amerikanischen Großkonzernen vor Augen geführt.

Fotos: Google-Auto(cc)brianjmatis/flickr; Goorwell (cc)Inmigrante a media jornada/flickr; Verpixelung (cc)Google Street View; Deutsche Street View Befürworter (cc)derandre.wordpress.com