Deutsch-französische Flirtwüste: Wurst und Werther
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„Heute nicht vergessen: schön knuddeln“, liest man auf der Facebook-Seite von Zur Sache Chérie. Zum 50. Geburtstag des Elysee-Vertrags werfen wir mit Alain-Xavier Wurst, Autor der Flirtfibel eines Franzosen in Deutschland, einen Blick in deutsch-französische Betten. Ab März 2013 soll Zur Sache Chérie auch in einem Schweizer Theater gezeigt werden.
Die Eskapaden mit deutschen Frauen des in Paris geborenen Autors Alain-Xavier Wurst lesen sich teils wie das Tagebuch eines Teenagers. Alles in allem ist das Büchlein leichte Lesekost und gewollt selten anspruchsvoll. Seit der Bucherscheinung 2010 hat Wurst mit seinem "Forschungsbericht" mediale Aufmerksamkeit erregt. Das verwundert nicht, denn der Autor behauptet, den Grund für das demographische Problem Deutschlands gefunden zu haben.
Laut Wurst haben Deutsche zu wenig Kinder, weil sie nicht nach allen Regeln der Kunst flirten. Wurst selbst hat nämlich größte Schwierigkeiten, mit Frauen diesseits der Grenze Ganzkörperkontakt herzustellen. Für das Scheitern seiner Flirtkünste macht er die Geschichte und Psychologie des deutschen Volks verantwortlich. Vielleicht kein Wunder, dass Wurst des Öfteren den Laufpass kriegt?
Der kulturelle Austausch zwischen den alten Rivalen hat dazu geführt, nicht zuletzt durch die Erasmus-Generation, dass sich Franzosen und Deutsche ein eigenes Bild vom Anderen machen konnten. Nicht nur Wurst ist auf Tuchfühlung gegangen. Seit geraumer Zeit verschwinden semesterlich immer mehr Studierende ins Ausland, um die Fremde zu erfahren.
Deutsch-französische Liebe – geht das gut?
Die Frage erscheint sinnvoll. Hat die deutsch-französische Freundschaft einen Einfluss auf unsere serielle Monogamie oder hört es zwischen unterschiedlichen Kulturträgern mit der Lust schnell auf? Wie viele Deutsche können behaupten, eine Beziehung mit einer Französin oder einem Franzosen geführt zu haben? Wurst geht der Sache auf den Grund: Er macht den Elchtest für französische Aufreißer auf deutschem Boden und berichtet von seiner Expedition ins deutsche Schlafzimmer, wo er "Feldforschung" am Objekt betreibt.
Warum deutsche Männer nicht flirten - ein deutscher Mann kontert
Doch folgendes Dilemma tut sich auf. Wurst will die deutsche Kultur kennenlernen. Allein sein Nachname, den er von seinen deutschen Großeltern geerbt hat, zeigt, dass sich seine Familiengeschichte auch in Deutschland abgespielt hat. Seine Freunde verstehen sein Interesse für die deutschen Damen ganz und gar nicht. Sie haben ein Bild von der weiblichen Bevölkerung, das in Frankreich tatsächlich kursiert: Die deutsche Frau ist ziemlich asexuell und unrasiert. Sie will nicht beischlafen. Punkt.
Damit will sich Wurst nicht zufriedengeben. Deutschland ist nicht nur das "spießige" Sauerland, das er aus seiner Kindheit kennt. Wursts Passion (im Sinne von Leidensgeschichte) beginnt auf der Autobahn. Vollbeladen mit diversen Käsesorten beginnt er seine Flirt-Forschung. Er bietet zwei blonden Golf GTI-Insassinnen Käse und Wein auf dem Rastplatz an. Diese verkennen das kulinarische Glück, welches ihnen zuteil wird, und sehen in Wurst vermutlich einen aus der Anstalt entlassenen Triebtäter.
'Ich bin doch keine Nutte'
Auch die nächste Aufreißmethode scheint nicht zu fruchten: Mit den besten Absichten suggeriert er seiner Kommilitonin Nina, doch mal Schuhe mit Absätzen zu tragen, da ihre derzeitigen Fußklötze eine "Beleidigung" ihres sonst ganz akzeptablen Stils wären. Nina antwortet zurecht beleidigt, sie sei doch keine Nutte! Die deutsche Frau wolle kein Sexsymbol sein. Weil Wurst unsanft Kritik äußert, springen in Nina die Alarmglocken an. Dass sie sexy ist, kann sie auch anders äußern.
Das Blatt hat sich heute wohl ein wenig gewendet. Denn von vielen Franzosen kann man mittlerweile hören, dass das nächtliche Verhalten der Berliner Frauen besonders auffällig sei: Nicht der Mann macht den ersten Schritt, sondern Madame. Es mag dennoch stimmen, dass Machos in Deutschland tendenziell verpönt sind und deutsche Frauen es nicht mögen, wenn Männer ein Gespräch "sexualisieren".
Meistens kann man die Verstörung der Opfer von Wursts Annäherungsversuchen geradezu nachfühlen. In einem Fall stellt der mittlerweile im Flirten mit Deutschen geübte Wurst verwirrt fest, dass es in Deutschland Doppelbetten mit Besucherritze gibt, und schließt daraus, dass die Deutschen selbst im Bett kontaktscheu sind. Hat Wursts Bekanntschaft ihn zum Schäkern zu ihren Eltern mitgenommen? Heute kaufen doch sowohl französische als auch deutsche Mittzwanziger ihre Betten mit Vorliebe bei einem schwedischen Möbelhersteller. Im zweiten Fall bricht eine Eroberung von Wurst das wilde Spiel der Liebenden unerwartet ab, um sich die Zähne zu putzen! Erneut versteht Wurst blitzartig die Psychologie der deutschen Frau und diagnostiziert, dass SIE Ordnung beim Sex braucht.
Wurst und Werther
Dem deutschen Mann diagnostiziert Wurst ein Werther-Syndrom: Hoffnungslos romantisch und mitunter depressiv. Der deutsche Mann sei laut Wurst das Opfer des Tugendkonzepts, welches ihm niederträchtige Gedanken untersage. Die Korrektheit und das Organisationstalent, die dem deutschem "Volk" Vorteile in der Wirtschaft verschafften, funktionierten einfach schlecht beim Flirten.
Die Hypothesen von Wurst sind teilweise ganz amüsant und wir Deutschen sollten seine Analysen mit Humor nehmen, so wenig fundiert sie auch sein mögen. Doch: Ein bisschen Anpassungsfähigkeit ist immer nötig, um im Ausland beim anderen Geschlecht Erfolg zu haben.
Wurst scheint über sein eigenes Selbstbild zu stolpern. Durch die Begegnung mit dem Fremden sieht er sich scheinbar gezwungen, die Rolle des Ur-Franzosen einzunehmen: Käse-Liebhaber, Wein-Kenner, Aufreißer, etc. Das nennt man auch Identitätskrise. Wieso tut sich Wurst das an? Und warum will er sich nicht anpassen? Im Grunde sagt sein Buch doch vielleicht mehr über die französische als über die deutsche Kultur aus.
Zur Sache Chérie wird am 22. März 2013 im Baal novo - Theater über Grenzen in Offenburg uraufgeführt.
Illustrationen: Teaserbild (cc)Annalisa Maffia/flickr; Im Text: Merkel und Hollande (cc)Eoghan OLionnain/flickr