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Der Pizzabäcker und sein Pass oder: Die Mission der E-Migranten

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Eurogeneration

Seit 1970 arbeitet Massimo in Paris als Pizzabäcker. Damals musste er noch jedes Mal seinen Pass vorlegen, wenn er zwischen Italien und Frankreich hin- und herfuhr. Genauer: um ein- und wieder auszureisen. Denn das war immer eine aufwändige Sache, nicht so wie heute. Für Massimo aber scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. „Nach Neapel? Da fahre ich alle zwei oder drei Jahre mal wieder hin.

Aber länger als eine Woche halte ich es da nicht aus. Das letzte Mal habe ich niemanden mehr getroffen, alle Straßen in den Quartieri Spagnoli waren verwaist. Dann habe ich gehört, dass sie alle verhaftet worden sind.“

Das mag ein eher extremer Fall sein, aber dennoch: Für viele Einwanderer und Gastarbeiter scheint es, als hätte es Reisefreiheit, Schengen, der Euro, Billigflüge, Hochgeschwindigkeitszüge, Skype – also etwa zwanzig Jahre Eurevolution und Globalisierung – überhaupt nicht gegeben. Dass jemand, ob aus Lust und Laune oder aus Notwendigkeit, einfach woanders hinzieht, spontan verreist oder sich auf die E-Migration beschränkt, damit können sie nichts anfangen. E-Migranten, ja, das passt auf uns: Heute, wo das „e“ zur „E-Mail“ passt und das lateinische „ex“ in Vergessenheit geraten lässt.

Aber zurück zu Massimo. Während er, ganz traditionell, seine Pizza zubereitet (auch wenn die Mozzarella aus Frankreich kommt), trällert er neapolitanische Schlager aus den Fünfziger Jahren – und das mit der herzerweichenden Leidenschaft einer Laura Pausini zu ihren besten Zeiten („Marco se n‘è andato...“) sowie eines Eros Ramazzotti mit dem unvermeidlichen Dauerschnupfen („Ed ho imparaaatoo che nella vitaaaa...“). Trotzdem schleicht sich ab und zu ein französisches Wort dazwischen und es entsteht ein Gemisch, ähnlich dem wenig appetitlichen seiner geschmacklosen Tomatenpampe mit den traurigen, essigtriefenden Artischocken, die er eben aus einer Schachtel aus Wer-weiß-wo fischt. Zu Weihnachten hat mir mein Vater ein italienisches Wörterbuch geschenkt, weil er der Meinung ist, ich hätte mein Italienisch verlernt. Dabei macht er Fehler, die weit gravierender sind die von uns E-Migranten – aus Rache dafür lade ich dich bei deinem nächsten Besuch zu Chez Massimò ein, Papa.

Und wenn Massimo mal in der community von cafebabel.com vorbeischauen würde oder auf corriere.it? Wenn er das Festival von Sanremo verfolgen würde (auch wenn das eine ziemlich deprimierende Angelegenheit ist) oder sich wenigstens einen Wochenendtrip nach Venedig leistet, damit er Italien einmal von einer anderen Seite sieht? Wäre das nichts? Wenn alle Gastarbeiter – auch die Spanier in Frankreich, die Portugiesen oder die Türken in Deutschland – sich der europäischen Dimension ihrer Existenz bewusst würden, könnte die Eurogeneration einen wichtigen Verbündeten gewinnen für ihre Mission: einen modus pensandi von europäischem, ja babelischem Ausmaß durchzusetzen.

Also, liebe Leser von Eurogeneration, liebe E- und Ex-Migranten, wenn ihr das nächste Mal jemanden wie Massimo trefft: Erklärt ihm, dass die Welt sich verändert hat und dass eine bunte Mischung besser schmeckt als der alte Einheitsbrei.

P.S. Da fällt mir wieder ein ganz anderer Pizzabäcker ein...

Anmerkung: Die Namen Massimo und Chez Massimò habe ich erfunden.

Fotos: Veronica ArtMusic